Man kann Suppen nicht hassen, was daran liegen mag, dass möglicherweise alles Irdische aus einer Suppe kommt, der sogenannten Ursuppe, einer Mischung aus Wasser, Methan, Ammoniak und Wasserstoff. Auch wenn diese Theorie umstritten ist, so ist doch klar: Suppe ist Leben.
Und Suppe ist Gemeinschaft. Kein anderes Gericht lässt sich so leicht für viele Menschen herstellen und nahezu unbemerkt strecken, sodass sie für noch ein paar Mäuler mehr reicht. »Fünf sind geladen, zehn sind gekommen, gieß Wasser zur Suppe, heiß alle willkommen.« Der Spruch hing an der Küchentür meiner Großmutter, mit blauem und rotem Garn auf ein Leintuch gestickt. Er hängt da auch heute noch, mehr als dreißig Jahre nach ihrem Tod. Das Wort Suppe ist für mich deshalb gleichbedeutend mit: Kommt alle, es hat genug für jeden, egal, ob ihr angemeldet seid oder nicht, egal, ob ihr noch einen Freund oder eine Freundin mitbringt, egal, ob ihr viel oder wenig Hunger habt. Um einen Suppentopf finden alle Platz, und man muss nicht aufpassen, ob man eine Scheibe von irgendetwas zu dick oder zu dünn schneidet, damit jeder etwas abbekommt.
Ich kann gar nicht zählen, wie viele Töpfe dampfender Suppe auf dem alten Holztisch hinter dieser Tür schon standen: gefüllt mit Gaisburger Marsch, Schwäbischer Hochzeitssuppe, Linsensuppe mit Saitenwürstle, klarer Brühe mit Maultaschen, mit Käse-Lauch-Hack-Suppe oder Tafelspitzbrühe mit Spätzle. Kein Mensch, der diesen Tisch je verlassen hatte, musste hungrig gehen. Weil Suppe auf magische Weise immer genug ist. Wenn der Inhalt des Topfes sich dem Ende zuneigt und die paar letzten Klößchen wie Miniwale auf dem Grund gestrandet sind, kann man mit ein wenig schnell aufgesetzter Brühe noch eine zweite Portion anschwemmen. Oder, umgekehrt, wenn noch Flüssigkeit da ist, die Einlage aber knapp wird, können ein paar Nudeln von gestern oder eine Handvoll Backerbsen aus der bloßen Brühe wieder eine ganze Mahlzeit ergeben, die Kinder mehr lieben als jedes stundenlang zubereitete Gericht. Dafür eignen sich nicht nur klare Suppen. Bleibt in der schwäbischen Küche meiner Großmutter, in der heute vor allem meine Tante kocht, ein Rest von Linsen mit Spätzle übrig, dann werden durch gekonnte Streckung gleich zwei flüssige Gerichte daraus: aus dem ursprünglich eher dicken Linseneintopf mit etwas Brühe und einem Schuss Essig eine dünnere Suppe, die hervorragend mit Graubrot schmeckt. Und aus den Spätzle eine klare Gemüsebrühe mit herzhafter Einlage.
Suppe ist die sozialste Speise von allen, eine Sozial-Speise im besten Sinn – nicht umsonst heißen die Orte, an denen bedürftige Menschen etwas Warmes zu essen bekommen, in den meisten Städten »Suppenküche«, auch wenn dort längst nicht immer nur Suppe ausgegeben wird. Suppe ist ein Synonym für: Jemand kümmert sich um dich. Es kann kein Zufall sein, dass das überlieferte Rezept von Miraculix’ Zaubertrank, in den Obelix als Kind gefallen sein soll und der ihm für immer übermenschliche Kräfte verliehen hat, einer deftigen Wildkräutersuppe gleicht: Neben Misteln stecken darin Wurzeln, Gräser, Feldblumen, Salz, Pfeffer und angeblich auch Erdbeeren. In Suppen, diesen nie versiegenden Zaubertränken des Alltags, findet zusammen, was sonst nicht immer zusammenpasst. Weich gekocht, gemixt und abgebunden ergeben sich ungeahnte Kombinationsmöglichkeiten: Süß, sauer, salzig, alles geht, und das in nahezu allen Kulturen der Welt. Sogar eher unappetitliche Reste können in Suppentöpfen so unter- und dann aufgehen, dass sie frisch und neu schmecken. Aus fast nichts machen Suppen so viel, dass man wieder mit vollen Kellen daraus schöpfen kann.
Und das eigentlich bis in alle Ewigkeit. Andere Gerichte sind darauf ausgelegt, dass sie früher oder später komplett in den Mägen verschwinden. Suppen nicht: Wenn die letzte Bratkartoffel und das letzte Stückchen Gurke eines Festessens verputzt sind, wartet irgendwo in der Küche sicher noch ein kleiner Rest Suppe, der sich mit ein paar wenigen Handgriffen, ein bisschen Brühe und ein paar Schnipseln Schnittlauch oder Petersilie zu einem aufrichtigen und aufrichtenden Mitternachtsmahl frisieren lässt. Das kann man so lange durchziehen, bis die Suppe fast nur noch aus Wasser besteht, und selbst das ist irgendwie nützlich, denn ohne Wasser kein Leben. Womit wir wieder bei der Ursuppe wären.