SZ-Magazin: Heute früh habe ich mir auf dem Weg zu Ihnen nach London am Flughafen einen Tee bestellt. Ich bekam eine Tasse heißes Wasser und einen Teebeutel. Ist das in Ihren Augen schon das erste Problem?
Henrietta Lovell: Jeder soll seinen Tee trinken, wie er mag. Aber Ihr Tee hätte besser geschmeckt, wenn man ihn anders zubereitet hätte. Für eine Tasse Kaffee hätte geschultes Personal die richtige Menge Bohnen gemahlen, heißes Wasser wäre mit genau der richtigen Temperatur durch eine teure Maschine geströmt. Aber außerhalb von Asien gibt es wenige Orte, an denen Sie einen Tee mit einer Qualität bekommen können, wie wir sie inzwischen beim Kaffee erwarten.
Haben Sie grundsätzlich etwas gegen Teebeutel?
Einen wirklich köstlichen Tee werden Sie damit nie machen können.
Warum nicht?
Im Papier stecken Dinge, die nichts in der Tasse verloren haben: Klebstoff, Bleichmittel, Chemikalien. Hinzu kommt, dass sich der Tee im Beutel nicht entfalten kann. Wenn wir Teeblätter mit Wasser übergießen, quellen sie auf – ein guter Oolong so stark, dass die ganze Kanne voll ist. Im Beutel ist dafür aber kein Platz. Außerdem ist ein Teebeutel perfekt, um schlechten Tee darin zu verstecken.
Dennoch werden Teebeutel von Leuten benutzt, die sich sogar als Tee-Liebhaber sehen.
Ja, die Wertschätzung für wirklich guten Tee ist uns irgendwie abhanden gekommen. Das war früher ganz anders. Im 19. Jahrhundert war Tee der teuerste Bestandteil eines Essens. Die Leute haben mehr Geld für Tee ausgegeben als für Wein oder Champagner, und sie haben versucht, für ihr Geld die beste Qualität zu bekommen. Das hat sich alles geändert, als Tee im Zweiten Weltkrieg und danach rationiert werden musste. Seitdem gibt man sich mit Beuteltee zufrieden.
Wann haben Sie zum ersten Mal einen Tee getrunken, dessen Geschmack Sie umgehauen hat?
Ende der Neunzigerjahre, bei einem Geschäftsessen in China. Ich arbeitete damals in der Finanzabteilung eines großen Konzerns, und ein chinesischer Zulieferer hat eine Kanne Oolong für sechzig Dollar bestellt. Der Tee hat fantastisch geschmeckt. Mit jedem Aufguss wurde er besser.
Und prompt haben Sie Ihren Job hingeschmissen und sind Teehändlerin geworden?
Ganz so schnell ging es nicht. Aber meine Neugier war geweckt. Ich war beruflich oft in China, und wenn ich Zeit hatte, habe ich ein Auto gemietet und bin auf eigene Faust in die Anbaugebiete in Fuding gefahren. Das waren Reisen, bei denen ich das Gefühl hatte, mit jedem Kilometer ein wenig tiefer zurück in die Vergangenheit zu gelangen. Am Ende von Bergstraßen stieß ich auf wunderschöne Teegärten mit einer intakten, jahrhundertealten Handwerkstradition. Aber es hatte noch niemand versucht, den Tee, den sie dort machten, nach England zu bringen.
Also sagten Sie, ich mache es selbst?
Über diesen Schritt habe ich jahrelang nachgedacht. Dann starb plötzlich mein Vater – kurz bevor er in den Ruhestand gegangen wäre. Er hatte jede Menge Pläne gehabt, nun war er tot. Da wurde mir klar, dass ich nicht länger zögern darf.
Was machen Sie anders als andere Teehändler?
Der Tee, den Sie in Europa bekommen, ist auf dem Weg vom Strauch in die Kanne in der Regel bis zu sechsmal weiterverkauft worden, von Zwischenhändlern und Auktionshäusern, die alle mitverdienen wollen. Das beeinflusst nicht nur den Preis, sondern auch die Qualität, weil dabei unterschiedlich schmeckende Tees aus verschiedenen Teegärten vermischt werden. Ich kaufe immer nur direkt bei den besten Teebauern – so wie man ja auch einen guten Wein am besten direkt von einem Winzer kauft, dem man vertraut und der sein Handwerk versteht.
Gibt es wirklich so große Parallelen zwischen Tee und Wein?
Tee hat die gleiche geschmackliche Komplexität wie Wein, beim Anbau ist ebenfalls vieles ähnlich. Auch beim Tee hat jedes Detail einen Einfluss auf den Geschmack: Beschaffenheit des Bodens, Lage der Hänge, Sonneneinstrahlung, Entwässerung, Wetter, Pflückzeitpunkt und Pflücktechnik, Lagerung und Weiterverarbeitung. Wenn man die Menschen dazu bringen könnte, Tee wie Wein zu kaufen, nämlich mit Sinn für Qualität, könnten Teeplantagen ähnlich aufblühen wie Weingüter. Denn genau wie beim Wein oder Champagner gibt es beim Tee einige Könner, die es besser machen als alle anderen und deshalb in der Lage sind, ein Spitzenprodukt herzustellen. So wie Mr. Che, einer meiner Partner in China. Bis heute hat er keinen Strom auf seiner Farm, aber er macht den besten White Silver Tip Tea in Fuding.
White Silver Tip, was ist das?
Ein sehr kostbarer Tee, für den an nur fünf Tagen im Frühling die ersten Knospen des Teestrauchs gepflückt werden. Man muss den richtigen Zeitpunkt erkennen, und auch die Weiterverarbeitung ist sehr komplex.
Dann müssten sich die Leute doch eigentlich um seinen Tee reißen?
Tun sie auch. In China gibt es eine große Nachfrage nach gutem Tee und die Bereitschaft, angemessene Preise zu zahlen. Anders sieht es leider in Indien und Ost-Afrika aus, zum Beispiel in Malawi, wo auch viel von meinem Tee herkommt.
In Malawi wird Tee angebaut?
Ich hatte Malawi auch nicht auf dem Schirm, bis ich eines Tages ein Paket vom »Satemwa Tea Estate« bekam. Darin befand sich eine leere Cornflakes-Packung mit einem Plastikbeutel voller Tee. Der war so gut, dass ich zwei Wochen später nach Malawi gereist bin, um den Teebauern und Züchter Alexander Kay kennenzulernen. Dort wurde mir klar, dass das Thema viel größer ist, als ich vorher gedacht hatte.
Warum?
Weil guter Tee nicht nur ein Genuss für den ist, der ihn trinkt, sondern auch in den Anbauländern viel zum Besseren verändern kann.
Das müssen Sie erklären.
Tee ist das zweitwichtigste Exportgut von Malawi, und auch in Ländern wie Kenia ist der Teeanbau ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Aber das ganze Geschäft befindet sich in einer Abwärtsspirale, weil es von Lebensmittelkonzernen dominiert wird, die die Produktion industrialisieren, mit Pestiziden und Herbiziden die Umwelt verpesten und den verbliebenen Arbeitern einen Hungerlohn zahlen. Diesem System steht ein engagierter und kenntnisreicher Züchter wie Alexander Kay gegenüber, dessen Familie seit drei Generationen eine Teeplantage betreibt, die für den Lebensunterhalt von mehr als 8000 Menschen sorgt, ihr Wissen immer weiter verfeinert hat und nun den besten Tee in ganz Afrika anbaut, mit wunderbaren Lychee- und Aprikosennoten. Und dennoch ist es ihnen kaum möglich zu überleben, weil für Spitzentee aus Malawi kein Markt existiert.
Wer könnte daran etwas ändern?
Nur die Konsumenten im Westen.
Aber sind solche Teespezialitäten nicht sehr teuer?
Eigentlich nicht – vor allem wenn man sie mit dem Preis für guten Kaffee vergleicht. Ein wirklich guter Oolong kostet pro Tasse vielleicht zwanzig Pence mehr als Beuteltee aus dem Supermarkt. Es ist ein erschwinglicher Luxus, der viel verändern kann. Und es muss unbedingt etwas geschehen. In den 14 Jahren, die ich im Geschäft bin, habe ich an vielen Orten gesehen, wie sich die Lebensbedingungen in den Tee-Anbaugebieten verschlechtern. Das Gleiche gilt für Kaffee und Schokolade.
Welcher ist der teuerste Tee, den Sie im Angebot haben?
Ich hatte dieses Jahr die Gelegenheit, in China an einen Ort zu reisen, wo man normalerweise gar nicht hindarf. Da habe ich für 6000 Pfund zwei Kilo eines sehr begehrten schwarzen Tees gekauft, handgerollt von einem großen Meister.
Wer trinkt so teuren Tee?
Es gibt gar nicht so wenige reiche Tee-Liebhaber. Darunter sind einige Spitzensportler, die keinen Alkohol trinken, sich aber in einem anderen Bereich das Beste vom Besten kaufen. Bei diesem besonderen Tee wollte ich allerdings, dass ihn möglichst viele trinken, deshalb habe ich ihn an das Londoner Luxushotel »Claridge’s« verkauft.
Ihr Tee wird im »Noma« in Kopenhagen serviert, das viermal zum besten Restaurant der Welt gekürt wurde. Wie kamen Sie mit dem Chefkoch René Redzepi zusammen?
Als das »Noma« ein Pop-up-Restaurant in London eröffnete, wollte er Kräutertees von mir. Ich hatte aber noch andere Proben in meinem Köfferchen. Ich weiß, wie Chefköche ticken: Wenn man zu denen sagt, probier das mal, das ist Wahnsinn, dann sagen sie nicht Nein. René stand da und stöhnte vor Freude – solchen Tee hatte er noch nie getrunken. Im alten »Noma« hat schließlich die Hälfte der Gäste eine von mir kreierte Teemischung getrunken. Und auch wenn sie das Restaurant neu eröffnen, wird es dort wieder meinen Tee geben.
Wie schmeckt die »Noma«- Mischung?
René hat mir kein geschmackliches Profil, sondern eine emotionale Reaktion beschrieben, die der Tee bewirken sollte.
Was genau hat er gesagt?
Hm, das ist ein bisschen heikel. Er redet auf eine Art mit mir, von der er, glaube ich, nicht will, dass ich sie Journalisten verrate. Die Unterstützung von ihm und anderen Spitzenköchen wie Heston Blumenthal war sehr wichtig für mich. Das sind die Tastemaker, denen die Leute heutzutage vertrauen. Viele von ihnen kochen auch mit meinen Tees oder nutzen sie als Geschmackszutat bei der Fermentation anderer Lebensmittel.
Wenn von Ihnen die Rede ist, dann meistens mit dem Zusatz »The Tea Lady«. Sind Sie in dieser Figur aufgegangen?
Ich fürchte, ja. Eine Trennung zwischen Privatleben und Arbeit gibt es bei mir nicht. Tee ist mein Leben.
Foto: Mathilde Agius; Henrietta Lovell/Flickr