SZ-Magazin: Warum interessiert sich der Erfinder des Fernseh-Aliens Alf auf einmal für den Künstler Joseph Beuys?
Tom Patchett: Als ich Alf kreierte, hatte ich einen Gedanken im Kopf: Die Wahrheit, das heißt, die ganze Wahrheit, die ja auch wehtun kann, kann nur aussprechen, wer nichts zu verlieren hat. Das kann nur einer sein, der von außen kommt, den keiner kennt: ein Alien. ALF, eine alien life form. Ich hatte vor Alf schon einmal eine Fernsehshow produziert, Buffalo Bill, über einen Fernsehmoderator. On air war er überaus charmant, aber sobald die Kameras ausgingen, benahm er sich wie ein egoistisches Arschloch. Er verunglimpfte Minderheiten, machte jeden zur Sau, so ähnlich wie heute Donald Trump. Dabei war er aber unglaublich lustig. Seltsamerweise mochten ihn vor allem die weiblichen Zuschauer. Die Männer nicht so, denn Buffalo Bill sprach ein paar unangenehme Wahrheiten über Männer aus. So schreibe ich: Ich erfinde Vehikel für die Wahrheit.
Und Alf war so ein Vehikel?
Ein sehr lustiges! Ein Fremder von Nirgendwo, der nicht weiß, wie Menschen sich benehmen, der auf die Frage, ob er hungrig sei, antwortet: Habt ihr Katzen?, und der sich über die menschliche Dummheit und Zeitverschwendung mokiert.
Und über Toiletten.
Ja, in der ersten Episode sieht er sich die Toilettenspülung an und sagt: »Interessantes Konzept.« Alles, was Alf sagt, ist überraschend, angemessen rüde und nahe an der Wahrheit. Dabei hatte ich immer Sympathie für die Figur. Im Grunde war Alf ja eingesperrt auf der Erde. Er war nicht glücklich, er wollte nach Hause. Sein Humor war ein Verteidigungsmechanismus gegen Autorität oder miese Gefühle. Auch Comedy entsteht aus dem Schmerz – um ihn zu vermeiden oder abzuschütteln.
Sie haben schon zur Zeit der Alf-Serie Kunst gesammelt und die Szene in Los Angeles unterstützt. Die L.A. Times titelte in den Neunzigern: »Hat Alf die Kunst in Los Angeles gerettet?«
Ich habe damals gesammelt und erst später darüber nachgedacht. Wie sagt man? Jede Minute wird ein Dämlack geboren.
Wann haben Sie zum ersten Mal von Joseph Beuys gehört?
Als ich einmal das Walker Art Center in Minneapolis besuchte, sah ich diesen Filzanzug an der Wand hängen, in der Nähe lehnte ein silberner Besen an der Wand. Ich hatte keine Ahnung, was das soll. Ich dachte, da hat ein Bediensteter seinen Kram vergessen. Man erklärte mir, das seien Arbeiten von Joseph Beuys. Da wollte ich natürlich mehr wissen: Wer war dieser Typ? Auch als Sammler versteht man nicht sofort alles. Du kannst dir ein Bild von Mark Rothko anschauen und nicht begreifen, warum der Künstler beim Malen geweint und sich umgebracht hat. Hier fand ich endlich eine Figur, die eine Geschichte hatte und Humor zu haben schien.
Was war Beuys’ Geschichte?
Jeder ist doch daran interessiert, was während der eigenen Lebenszeit passiert. In meiner fand der Zweite Weltkrieg statt. Also habe ich versucht, mich in den jungen Beuys hineinzuversetzen. Du bist dieser Junge, zwölf Jahre alt, als Hitler an die Macht kommt. Der Genozid ist noch weit weg. Du trittst also der Hitlerjugend bei, denn du kennst nichts anderes. Kann man unter diesen Umständen eine andere Entscheidung erwarten?
Kann man?
Kann man nicht. Wenn ich damals in Deutschland gelebt hätte, wäre ich wahrscheinlich auch Teil der Bewegung gewesen. In Michigan spielten wir Kinder »Cowboys gegen Krauts«, und am Kriegsende 1945 rannten wir herum und schlugen Löffel auf Töpfe und Pfannen, aber wir hatten doch keinen blassen Schimmer, was vor sich ging! Und dann hörten wir im Radio Präsident Truman sagen, wir haben soeben die Atombombe abgeworfen … Ich glaube, Beuys wollte einfach irgendwie überleben, und das tat er. Und er litt. Er wurde im Krieg verletzt, kam nach Hause und beschloss schließlich, Künstler zu werden. Hier sehe ich Parallelen zu meinen Fernsehfiguren: im Aussprechen schmerzhafter Wahrheiten aus einer Position der Entfremdung heraus. Beuys wollte die Gesellschaft verändern, Gier und Korruption beenden, den militärisch-industriellen Komplex überwinden. Er hat’s zumindest versucht! Und das wirkt heute noch nach.
Sie haben ein Stück über Beuys geschrieben, Jeder Hase ein Künstler, das im Oktober in Berlin unter der Regie von Georg Nussbaumer im Vollgutlager der Alten Kindl Brauerei uraufgeführt wurde. Weitere Aufführungsstationen in Deutschland und den USA sind angedacht. In dem Stück findet Beuys’ Beerdigung statt, eine Menge Hasen und Friedrich Nietzsche treten auf. Was soll das?
Ursprünglich wollte ich Beuys einem breiteren Publikum näherbringen. Er ist ja vor genau dreißig Jahren gestorben. Aber ich wollte auch keine Lesung veranstalten. Deshalb habe ich unterhaltende Elemente integriert. Und Joseph Beuys’ Aktionen, in denen er einem toten Hasen die Kunst erklärt oder einem toten Hasen das Herz herausreißt, sind nicht nur wichtig für die Kunstgeschichte, sie haben auch etwas ziemlich Ekliges, oder? Ich bewundere Beuys, aber ich male seine Welt auch nicht rosiger, als sie ist. In unserem Stück spielen Menschen in Hasenkostümen mit. Die schauen sich Beuys’ Aktion mit dem toten Hasen an und sagen: Krass, vielleicht war das die Großmutter von jemandem, den wir kennen. Und kaum taucht der zweite tote Hase auf, kommentieren sie: Wo kommen die alle her, bewahrt er die in einem Kühlfach auf?
Typischer Alf-Humor.
Die entscheidende Frage ist: Verstehen die Leute die Botschaft? Oder wird der Entertainmentfaktor das verhindern?
Wie lautet die Botschaft?
Eine lautet, dass Beuys’ Kunst viel mehr mit dem Holocaust zu tun hat, als man denkt. Viele meiner Freunde in Hollywood sind jüdisch. Beuys hatte es in den USA immer schwer, weil er Wehrmachtssoldat gewesen war. Das zu wissen reichte den meisten Kunstleuten, sie haben Beuys nicht mal mit der Kneifzange angefasst. Aber im Buch Occultism in Avant-Garde Art. The Case of Joseph Beuys, das nach seinem Tod erschien, werden die Einflüsse auf sein Werk erstmals deutlich. Ich meine nicht nur die Kriegsverletzung, den Flugzeugabsturz, die Tartaren, die ihn angeblich mit Fett und Filz warmgehalten und gepflegt haben. Beuys hat bereits in den Fünfzigerjahren an einem Wettbewerb für ein Holocaust-Mahnmal teilgenommen, wussten Sie das? Seine Installation Plight im Centre Georges Pompidou in Paris besteht unter anderem aus Filzsäulen, die an die Haarbündel erinnern, die in Auschwitz gefunden wurden und bekanntlich zu Filz verarbeitet wurden. Was immer im Krieg vor sich gegangen war, es floss in sein Werk mit ein.
Und doch hat man das Gefühl, Joseph Beuys ist heute vielen nicht mehr gegenwärtig als Künstler. Sein Werk steht für ein tristes, graubraunes Nachkriegsdeutschland, das vergessen scheint.
Ich denke, Kunst, die zu einem spricht, wird überdauern. Und wenn Sie an die Arbeit Das Rudel mit den Schlitten denken, die einem deutschen Volkswagen folgen, oder an die 7000 Basaltblöcke, die zusammen mit 7000 Eichen gepflanzt wurden, in deren Schatten niemand aus unserer Generation sitzen wird – dann sind das ganz starke Bilder. Der amerikanische Dramatiker David Mamet hat mal gesagt: Selbst wenn der Kampf gegen den Lauf der Welt verloren geht, der Künstler muss es weiter versuchen.
Ihre Begeisterung für Kunst ist auch in die Alf-Serie eingegangen. Alf will Maler werden, scheitert aber zunächst und sagt, ich bin eine Null, ein Nichts. Am Ende isst er seine abstrakten Leinwände auf, produziert eingängigen Kitsch – und ist damit erfolgreich. Machen Sie sich über das Künstlerklischee lustig?
Natürlich. Alf ist hier eine Karikatur von Salvador Dalí in seinen letzten Jahren, der alles signiert, was ihm unter die Hände kommt. Kein Wunder, dass Künstler wie Martin Kippenberger Alf liebten. Kippenberger hat Alf sogar mehrfach in seinen Bildern verewigt, ich habe mit ihm korrespondiert über die Galerie Max Hetzler, die damals in Los Angeles ansässig war. Ich wusste ja nicht, wie populär Alf in Deutschland war! 1995 saß ich mit Max in der »Paris Bar« in Berlin, er zeigte mit dem Finger auf jemanden und sagte: Das ist Tommi Piper, Alfs deutsche Synchronstimme. Die Leute sagten, er sei lustiger als das Original. In vielen anderen Ländern waren Alfs Lippen total asynchron zur jeweiligen Stimme. Vor allem in Spanien, weil sie dort doppelt so viele Wörter für alles haben. Ist denen aber egal, die fanden die Serie trotzdem gut.
Alf ist immer noch sehr populär. Als im Frühjahr Michu Meszaros starb, der ins Alf- Kostüm geschlüpft war, wurde das überall vermeldet.
Jetzt kann ich Ihnen ja die Wahrheit sagen: 95 Prozent der Zeit, in der Alf im Fernsehen zu sehen war, steckte niemand in dem Kostüm. Er war eine Handpuppe und wurde hinter einer Couch gefilmt oder hinter einem Tisch – und war fast nie mit dem ganzen Körper zu sehen. Mein brillanter Partner Paul Fusco, ein Puppenspieler, kontrollierte den Mund und den rechten Arm, eine zweite Person den linken Arm. Die Ohren und Augenbrauen wurden mechanisch bewegt, das hatten wir Jim Hensons Muppets abgeschaut. Nur Fusco konnte Alf so real erscheinen lassen. Und alles analog! Wir mussten eine Bühne bauen, hinter der sich die Puppenspieler versteckten. Nach jeder Bewegung von Alf – cut! Neue Perspektive, neues Loch für die Puppenspieler, alles auf Anfang. Für jede Minute Sendezeit haben wir 22 Stunden gedreht. Natürlich ohne Studiopublikum.
Die Kritiker hassten Alf anfangs. Einer schrieb: Nicht Alf ist der Alien, sondern sein Autor.
Oha. Das gefällt mir! Ein Glück, dass Alf sofort zum Erfolg wurde. Es war gewagt, eine Figur für Kinder zur Sendezeit für Erwachsene ins Fernsehen zu bringen. Andererseits war Alf im Grunde mehr für Erwachsene geschrieben, denn die Kinder verstanden die Witze nicht, die Eltern schon. Und, ganz wichtig: Alf wurde zum Thema für den typischen Arbeitertypen im Blaumann, der American Football liebt. Und montags um acht Uhr abends ging Alf auf Sendung, genau zu der Zeit, wo das Spiel der Woche der National Football League übertragen wurde. Die Leute sammelten sich in Bars – und sagten: Wir schauen das Spiel erst, wenn Alf vorbei ist. Das muss man sich mal vorstellen! Es war ein Phänomen.
Das die Kritik nicht einordnen konnte.
Ich wusste, Alf würde provozieren. Ich hatte zuvor einige Sendungen produziert, die von der Kritik frenetisch gefeiert wurden. Als Alf startete, hieß es plötzlich: Jetzt verkauft Patchett sich. Was ja nichts anderes bedeutete als: Jetzt hat er Erfolg. Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir im Jahr 2016 noch über Alf sprechen. Es hält mich jung! Und anderen hilft es.
Inwiefern?
Manchmal gab es Kinder, denen es nicht so gut ging und deren letzter Wunsch es war, Alf zu sehen. Oder es meldete sich eine Frau aus Iowa, und ihr Ehemann, er hieß Ray oder Dwayne, war ein Riesenfan von Alf. Er hatte einen Schlaganfall gehabt, lag nun einfach da, und das Einzige, worauf er reagierte, war die Stimme von Alf. Sie bat uns, ihr Tonbänder der Sendung zu schicken. Drei Wochen später schrieb sie erneut und bedankte sich überschwänglich. Ihr Mann sei immer noch nicht bei Bewusstsein, aber es scheine, als fühle er sich deutlich wohler. Wieder drei Wochen später eine neue Nachricht. Er war friedlich gestorben. Er wurde in seinem Alf-Hut begraben. Wundervoll, oder?
Stimmt es, dass Sie Sandra Bullock entdeckt haben?
Na ja, ich verschaffte ihr ihren ersten Fernsehjob, in einer Serie, die auf dem Film Working Girl mit Harrison Ford beruhte. Sie war wirklich gut, sehr professionell, sie wollte unbedingt ein Kinostar werden. Ehrlich gesagt, war ich ein wenig überrascht, wie populär sie wurde. Sie ist nicht gerade das Mädchen von nebenan. Ein bisschen zu tough, zu resolut für meine Begriffe. Ich habe auch Michael Keaton und David Letterman ihre ersten Fernsehjobs gegeben, das war so 1978, 1979.
Und stimmt es, dass ein großes Waschbecken neben Ihrem Bett steht, ein Kunstwerk von Robert Gober?
Das stimmte, bis ein Künstler sich hineinsetzte und es herunterkrachte. Aber nun ja, es ist Kunst, es hat keinen Sinn, sie verstecken zu wollen, indem man sie farblich passend zur Couch kauft.
Fotos: Andy Kania