Dem Geglitzer des Showbusinesshält Kerkeling gern seine eigene Normalität entgegen – auch mal in Form eines etwas legeren Schals.
SZ-Magazin: Herr Kerkeling, das Motto Ihres Films Kein Pardon von 1993 war: »Das ganze Leben ist ein Quiz«. Nun legen Sie den Stoff als Musical in Düsseldorf neu auf. Müsste es mittlerweile nicht heißen: »Das ganze Leben ist eine Castingshow«?
Tja, stimmt eigentlich. Das Fernsehen braucht den Amateur – und wenn der gar nichts kann, ist es sogar besonders interessant. Zu brillieren ist nicht mehr das Besondere, sondern danebenzuhauen und sich möglichst peinlich aufzuführen.
Das Fernsehen braucht also Deppen?
Im Grunde ja. Wir haben damals mit dem Film versucht, ein Prinzip zu erklären. Und das hat sich nicht verändert: Das Fernsehen braucht und verbraucht Gesichter. Es gibt Gesichter, die sind schnell verbraucht, es gibt Gesichter, die halten sich länger. Das ist das Prinzip, ganz simpel gesagt. Die größte Veränderung ist, dass es früher schwer war, ins Fernsehen zu kommen. Man sah nur das Ergebnis, nicht das Casting. Dafür war es, wenn man drin war, leichter, sich zu halten. Heute ist es umgekehrt.
Sie wollten schon als Kind zum Fernsehen, Sie haben sich für die Rolle des Dickie Hoppenstedt bei Loriot beworben. Wären Sie auch zu Bohlen in die Castingshow gegangen, wenn es sie gegeben hätte?
Wer weiß? Ich bin nun mal in einer Zeit geboren, als das Fernsehen auf seinen Höhepunkt zustrebte. Heute erlebe ich seinen Niedergang. Es verliert an Bedeutung. Die meisten Jugendlichen, die mich ansprechen, kennen mich von YouTube.
Für jemanden, der zurzeit als möglicher Retter des großen Fernsehabends gepriesen wird, klingt das ganz schön pessimistisch.
Das Medium wird eben missbraucht. Allein der Output an Nachrichten! 24 Stunden rund um die Uhr auf allen Kanälen. Und dann läuft in der Nachricht selber noch eine Nachricht als Laufband untendrunter. Nachrichten sind eine Ware geworden, das ist irre und vulgär. Und was die Unterhaltungsshows angeht – während Peter Alexander oder Peter Frankenfeld noch Haute Couture machen konnten, sind wir heute längst bei Prêt-à-porter angelangt.
Sie werden als ideale Nachfolge von Thomas Gottschalk bei Wetten, dass...? gehandelt, wollen aber nichts dazu sagen. Trotzdem: Fühlen Sie sich geschmeichelt, dass das ganze Land mit Ihnen gern den Samstagabend verbringen würde?
Tja, die Umfragen, mal sind es 80 Prozent, dann sind es aber auch nur 47. Ich weiß nicht, wie ernst ich das nehmen soll. Ich gebe zu, dass mir das sehr schmeichelt. Aber es entsteht auch ein unheimlicher Druck. Über Monate gingen da jetzt die dollsten Spekulationen durchs Sommerloch, ich plötzlich auf der Titelseite großer Blätter, da habe ich mir gedacht: Wie soll ich je die Kontrolle über mein Leben wiedergewinnen?
Sie würden gewisse Erfahrungen in den Samstagabend mitbringen. Höflich gesagt: Sie haben aus nächster Nähe mitgekriegt, was nicht funktioniert.
Oh ja, ich weiß mit Flops umzugehen, ich hatte viele davon! Ich muss leider sagen: Die Dinge, von denen ich dachte, dass sie nie funktionieren würden, sind die, mit denen ich besonders erfolgreich war. Als ich meine erste Figur Hannilein erfand, habe ich gedacht: Na ja, mach das mal so nebenbei, das will doch kein Mensch hören! Das war dann der erste Erfolg. Dann haben wir die Beatrix gedreht – und lang diskutiert, ob man das überhaupt senden kann. Ich fand es selber nicht komisch, ob Sie es mir glauben oder nicht. Bis dann die Redaktionssekretärin sagte: Probiert’s doch mal! Auch bei Horst Schlämmer dachte ich: Na ja, das wird nicht so gut funktionieren …
Sie stellen sich auch mit Nina Hagen und Otto Waalkes vor die Kamera und singen das Lied der Schlümpfe. Muss man sich etwas Kindliches bewahren, um in diesem Geschäft durchzukommen?
Wim Thoelke hat in seiner Biografie über mich geschrieben … oh Gott, wie klingt denn das? Na ja, es war nun mal so: Wim Thoelke hat geschrieben, er glaube, ich würde am meisten über mich selbst lachen. Und das ist tatsächlich so. Ich bin ein Amateur, ich falle auch mal aus der Rolle und weiß dann nicht mehr, wie es weitergeht.
Wäre Wetten, dass...? da nicht eine viel zu starre Form für Sie?
Ach, ich moderiere gern Shows, die in eine starre Form gegossen sind, dann ist es umso einfacher, die Form aufzubrechen.
Welche Ihrer Figuren mögen Sie selbst am liebsten?
Den Schlämmer. Dazu gibt es eine Geschichte: Anfang der Achtzigerjahre beim Sprungbrett-Theater, einer Talentbörse, sagte der damalige Programmdirektor zu mir: Sie können Karriere machen, Sie haben das Zeug dazu. Aber kreieren Sie eine Figur, und achten Sie darauf, dass diese Figur ein Requisit hat. Wenn dieses Requisit allein auf der Bühne steht, müssen die Zuschauer schon wissen, dass Sie dahinterstecken! Beim ersten Schlämmer-Dreh sah ich mich im Spiegel und dachte: Das ist die Figur! Das hat der gemeint! Und dann habe ich spontan zur Aufnahmeleiterin gesagt: Hol mir eine Herrenhandtasche! Irgendeine billige Herrenhandtasche! Wenn heute die Herrenhandtasche allein auf der Bühne steht, weiß man: Schlämmer kommt.
Hat Schlämmer die Chance, eine zeitlose Figur wie Loriots Müller-Lüdenscheidt zu werden?
Ich versuche, alles so zeitlos wie möglich zu gestalten. Aus einem doofen Grund: Ich habe meine allererste Fernsehsendung in einem sehr modischen Outfit gemacht – das war so ein schriller Achtziger-Style. Entsetzlich. Seitdem achte ich darauf, dass meine Sendungen eventuell auch mal wiederholt werden könnten.
Ist der Hape Kerkeling, den wir im Fernsehen sehen, auch eine Kunstfigur wie Schlämmer?
Nee, der ist keine Figur. Ich bin weitgehend unverstellt, würde ich sagen. Ich glaube, ich bin auch nie so sehr auf die Starseite gewechselt. Ich habe kein Imperium hinter mir, keine Produktionsfirmen. Hape Kerkeling, das sind nur meine Managerin Elkechen und icke! Fertig.
»Glauben Sie im Ernst, ich dachte, dass das so gut läuft?«
Große Momente:Harpe Kerkeling als Königin Beatrix.
Es hat Sie nie interessiert, daraus was Größeres zu machen, andere zu produzieren?
Ach, um Himmels willen, nein, mich interessiert das nicht. Ich möchte keine große Firma. Genauso wenig möchte ich eine Villa oder so. Es gibt Fernsehproduktionen, da hat man einen Fahrer. Der hält einem die Tür auf. Eigentlich ist mir das eher unangenehm.
Einer dieser Fahrer war Jörg Pilawa. Haben Sie beide so eine Art Beckmann-Kerner-Verhältnis, so ein Ich-hab-dich-entdeckt-ohne-mich-wärst-du-Nichts?
Nee, das war eher kollegial. Eigentlich war Pilawa damals der Assistent eines zuständigen Managers.
Sie sagen, Sie seien vor der Kamera unverstellt. Lernt der Zuschauer also den echten Hape Kerkeling kennen?
Ich befinde mich ja ständig in einer verrückten Situation, und das ist den meisten nicht bewusst: Mein Job besteht darin, in ein schwarzes Loch hineinzusprechen. Und innerhalb dieses Vorgangs muss man versuchen, so authentisch zu bleiben, wie es eben geht. Völlig absurd!
Wo ziehen Sie die Grenze zwischen der Medienfigur Kerkeling und dem Privatmann Hape?
Schauen Sie, der Zahnarzt rennt auch nicht den ganzen Tag im Kittel rum. Wenn der abends im Kittel noch in der Pizzeria säße, würde ich denken: Nun ist aber langsam gut. So ähnlich müssen Sie sich das auch bei mir vorstellen. Wenn ich aus der Praxis gehe, ziehe ich den Kittel aus.
Vor diesem Interview hieß es: Private Fragen jeglicher Art sind verboten.
Sie können sie gern stellen, ich werde sie nicht beantworten. Weil sie in keinem Bezug zu meiner Arbeit stehen. Ich weiß aber, dass es in der Medienwelt mittlerweile ein eigener Beruf ist, nur sein Privatleben zur Schau zu stellen. Und da versuche ich dagegenzuhalten.
Aber Sie haben …
Das hat im Übrigen nichts mit meiner Homosexualität zu tun! Nur weil mich das auch oft Journalisten fragen.
Aber Sie haben ein sehr erfolgreiches Buch geschrieben, das von etwas sehr Privatem handelte: Ich bin dann mal weg, ein Mann auf der Suche nach sich selbst, unterwegs auf einem Pilgerweg. Es hat sich 3,2 Millionen Mal verkauft.
Glauben Sie im Ernst, ich dachte, dass das so gut läuft? Mir war das wirklich unangenehm, als mich in einer Fernsehsendung ein Politiker ansprach und genau wusste, wann ich wo meine Socken gewaschen hatte. Ich dachte nur: Mann, ist das peinlich!
Aber Sie hatten sich entschieden, etwas Privates nach außen zu tragen.
Weil ich dachte, dass ich selbst bestimmen kann, wie lang und wie weit ich die Tür öffne. Aber wissen Sie, was mir vor Kurzem aufgefallen ist? Es ist interessant, dass Charlotte Roche und ich damals zur gleichen Zeit Bücher rausgebracht haben, die sich mit den größten Tabus unserer Gesellschaft beschäftigen: Sex und Religion. Wir haben beide einen gewissen Voyeurismus bedient.
Wird es nicht irgendwann zu schwierig, die Grenzen zu ziehen? Sie haben der Bild am Sonntag erzählt, wie Sie sich in einer spiritistischen Sitzung in ein früheres Leben zurückversetzen ließen.
Wollte ich nie! Aber nachdem ich fünf Tage am Stück auf dem Titel war, dachte ich: Es bleibt dir nichts anderes übrig. Du musst irgendwas dazu sagen. Also habe ich drei Sätze gesagt, die es aber auch nicht mehr haben geraderücken können. Damit muss man leben. Diese Öffentlichkeit habe ich nun wirklich nicht gesucht. Es geht einfach darum, dass Privates privat bleiben muss und soll. Jemand wie Herr Grönemeyer macht es auch nicht anders.
Interessantes Beispiel. Der Mann hatte den größten Erfolg seiner Karriere mit einer Platte, in der er öffentlich den Tod seiner Frau besingt. Die Menschen wollten also wissen, wie es ihm geht, wie sein Leben weiter verläuft. Als darüber aber die Medien berichteten, hat sich Grönemeyer gewehrt.
Das widerspricht sich für mich überhaupt nicht. Ein großer Künstler wie Herbert Grönemeyer speist seine Kreativität aus seinem Erleben. Dass er diese schlimme Geschichte öffentlich macht und in eine Kunstform gießt, das ist seine Aufgabe. Aber er muss darüber hinaus nicht sein eigentliches Leid zur Schau stellen. Das ist was ganz anderes.
Warum haben Sie dann ausgerechnet mit Bild über die Trennung von Ihrem Lebensgefährten gesprochen?
Ich möchte Ihnen nicht im Detail erläutern, warum ich damals diesen Entschluss gefasst habe. Ich bin mir im Nachhinein auch nicht sicher, ob das wirklich klug war.
Muss sich jemand in Ihrer Position immer wieder neu überlegen, wie er mit den Boulevardmedien umgeht?
Das hat man gar nicht im Griff. Man kann immer nur gucken: Wie ist die Gesetzeslage? Was geht, was geht nicht? Ich führe im Moment … wie viele Klagen? Drei, vier – ich weiß es nicht.
Gibt es Momente, in denen Ihnen das alles zu anstrengend wird?
Das Einzige, was da hilft, sind Auslandsaufenthalte. An den Grenzen des deutschen Sprachraums endet meine Popularität abrupt.
Fühlen Sie sich dann wieder wie ein völlig unbekannter Mensch?
Ich mache das alles schon so lang, den permanenten Ausnahmezustand werde ich nicht mehr los. Aber das Thema wäre mal eine psychologische Studie wert: Was macht die Bekanntheit mit einem Menschen? Wie verändert sie ihn? Das müsste eigentlich mal an irgendeiner Universität erforscht werden.
Gute Idee.
Andererseits … Wenn ich das jetzt sage, rufen gleich irgendwelche Studenten an und wollen mich beforschen. Das sollen die mit dem Jauch machen. Oder Gottschalk, der hat ja jetzt Zeit.
Apropos Gottschalk: Angenommen, Sie würden die Sendung übernehmen, die er sehr erfolgreich moderiert, dann wäre das, was Sie jetzt erleben, erst der Anfang. Dann wären Sie das bekannteste TV-Gesicht Deutschlands.
Möglicherweise.
»Es ist wirklich nicht so einfach«
Dann wären Sie endgültig öffentliches Eigentum. Keine Angst davor?
Wenn mich das wirklich schrecken würde, hätte ich längst alles drangegeben.
Ihre Homosexualität ist seit Jahren auch immer wieder Thema in den Medien. Sie haben aber oft gesagt, dass Sie sich von der Schwulenbewegung nicht vereinnahmen lassen wollen. Wäre es trotzdem denkbar, dass Sie sich da engagieren?
Ich werde nicht zu Kundgebungen gehen und Schriften verlesen. Aber ich sage: Ich finde alles, was die Schwulenbewegung fordert, richtig. Und ich unterstütze das, soweit ich kann.
Der Papst war gerade in Deutschland. Viele Schwule haben protestiert. Ihre Meinung dazu?
Wir sind eine Demokratie, insofern ist es legitim, gegen den Papst zu protestieren. Ich finde das richtig.
Sie sind mit 16 aus der Kirche ausgetreten – aber Sie bezeichnen sich selbst als gläubigen Menschen. Wie viel hat das Christentum, das Sie leben, mit dem Papst und seiner Kirche zu tun?
Schon noch eine ganze Menge, vor allem mit dem, wofür die Bibel steht und wofür auch der Katholizismus steht. Aber da erlaube ich mir immer meine eigenen Interpretationen. Ohne dass wir das jetzt unnötig vertiefen wollen.
Auch Ihre Art von Spiritualität steht in der Kritik. Die Sektenexpertin Ursula Caberta hat in ihrem Schwarzbuch Esoterik …
… behauptet, dass ich Menschen ins Verderben treibe. Ja. Aber Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich dazu ein Statement abgebe und der Dame auch noch helfe, ihre Bücher zu verkaufen! In diesem Land herrscht Religionsfreiheit. Punkt.
Wäre eine Figur wie der Papst auch gutes Material für eine Parodie – oder ist Ihnen das zu ernst?
Bin schon dabei! Ich schaffe ihn mir gerade drauf. Ist aber gar nicht so leicht. Auf Italienisch kriege ich ihn schon gut hin, aber im Deutschen …
Welche Imitation haben Sie bis jetzt der Öffentlichkeit vorenthalten?
Berlusconi.
Dürfen wir mal hören?
Auf gar keinen Fall! Da muss ich mich vorher sammeln.
Sie haben oft gesagt: Mit fünfzig ist Schluss. Kein Fernsehen mehr.
Hm …
Das wären jetzt noch drei Jahre.
Lassen Sie sich doch überraschen!
Also geht’s doch weiter?
Ich werde sicher nicht weit über dieses Datum hinaus planen.
Wenn Sie Wetten, dass...? machen, wird man erwarten, dass Sie es lang machen.
Das kann sein, ja. Ich weiß, dass Sie da gern eine Antwort drauf haben wollen. Und im Prinzip ist es ja auch wurscht, ob ich »Ja« oder »Nein« oder »Ich weiß nicht« sage. Aber ich äußere mich dazu so lange nicht, wie Thomas Gottschalk seine letzte Sendung nicht gedreht hat. Weil: Egal, was ich sage, ich heize weitere Spekulationen an. Es wird irgendwann im Dezember ein Statement geben, und das wird wahrscheinlich nicht von mir kommen, sondern eher vom ZDF, das ist ja auch deren Aufgabe.
Interessant: Ihnen ist in diesem Moment wirklich nicht anzumerken, in welche Richtung Sie tendieren.
Vielleicht weiß ich es ja nicht …
Oder Sie trainieren auch das. Erst den Papst und Berlusconi – und dann üben, doofen Journalisten nichts zu sagen.
Das muss ich nicht üben, ich habe da Erfahrung.
Verraten Sie uns so viel: Gibt es schon eine Entscheidung?
Ja.
Angenommen, Sie würden Gottschalks Nachfolger – wäre dann die Sendung ein guter Ort, den Staffelstab zu übergeben?
Es steht seit fast zwei Jahren fest, dass ich Gast in seiner vorletzten Sendung sein werde.
Aha.
Nein, nein, als das vereinbart wurde, wusste noch niemand, dass es die vorletzte Sendung ist.
Wann ist die?
Am 5. November. Aber jetzt frage ich Sie mal was. Würden Sie mir denn raten, die Sendung zu übernehmen?
Na ja, es ist der größte Job, den das deutsche Fernsehen bietet. Also eine Ehre. Andererseits könnte es sein, dass Sie als Hape Kerkeling in dem riesigen Rahmen etwas untergehen.
Na, sehen Sie. Es ist wirklich nicht so einfach.
Fotos: DPA (1)