Ist es verwerflich, Yoga in einem ehemaligen Gebetsraum zu machen?

Unsere Leserin besucht einen Yogakurs in einem Raum, der früher als Gebets- und Gedenkstätte diente. Ist diese kommerzielle Nutzung angemessen? Unsere Kolumnistin hat eine versöhnliche Antwort. 

Illustration: Serge Bloch

»Ich besuche einen Yogakurs, der in einem ehemaligen religi­ösen Raum mit tiefgreifender Geschichte stattfindet. Während der Zeit des Nationalsozialismus diente dieser Ort als Tauf- und Zufluchtsort für Menschen jüdischer Herkunft. 1941 wurde er jedoch vom NS-Staat geschlossen. Nach dem Krieg diente er als Gedenkort und für Flüchtlingsprojekte. Nach der Jahrtausendwende wurde das Gebäude von einem privaten Investor gekauft, renoviert und für eine kommerzielle Nutzung geöffnet. Der ursprüngliche Gebetsraum, einschließlich eines intakten Altars, dient nun als Übungsraum. Obwohl Yoga eine respektvolle und spirituelle Praxis ist und ich selbst nicht religiös bin, frage ich mich, ob es angemessen ist, einen Raum mit so einer Geschichte kommerziell zu nutzen.«
Anonym, per Mail

Es ist sehr einfühlsam und umsichtig von Ihnen, sich diese Gedanken zu machen. Generell wird es bestimmt so sein, dass man diesen Raum irgendwann entweiht hat. Profanierung ist das Fachwort, zum Ritus gehört unter anderem das Verlesen des Profanierungs­dekretes und das Löschen des »Ewigen Lichtes«. So wurde es zum Beispiel mit der Kirche St. Agnes in Berlin gemacht, einem unter Denkmalschutz stehenden brutalistischen Betonbau des Architekten Werner Düttmann aus dem Jahr 1967, der 2004 entweiht wurde und heute eine Galerie beherbergt, die Galerie König. Vor ein paar Jahren konnte man dort auch mal Yoga machen, was bis auf den extrem harten Boden sehr schön war. Oder denken Sie an die berühmte New Yorker Diskothek »Limelight«, die sich von 1983 bis zu ihrer endgültigen Schließung 2007 in einer ehemaligen, entweihten Kirche in Chelsea befand, 6th Avenue, Ecke West 20th Street. Später waren in dem neogotischen Bauwerk, das mit seinen asymmetrischen Türmen und spitzen Dächern aussieht, als wohne die Addams Family darin, auch mal eine Shopping-Mall, eine Pizzeria und ein Fitnessstudio.

Dagegen nimmt sich eine Einrichtung, in der sich einst Juden taufen lassen konnten und in der heute Yoga praktiziert wird, doch gar nicht so wahnsinnig despektierlich aus. Yoga ist Meditation in Bewegung, heißt es. Dabei lässt es sich, wenn man Interesse an Geschichte hat, doch voller Respekt der Vergangenheit jenes Ortes gedenken und der Menschen, die sich einst dorthin wandten in der trügerischen Hoffnung, eine christ­liche Taufe könne sie vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten bewahren. Es ist ja kein Ort, an dem Menschen umgebracht wurden. Auch kein ehemaliger Friedhof. Das wäre noch einmal etwas anderes. Aber so ist es einfach nur ein sonderbarer, womöglich aber auch ganz malerischer Ort, um etwas für die eigene Gesundheit zu tun.