Dass die Welt so klein geworden ist! Eben noch gingen Dutzende von Passagieren die Gangway der MS Deutschland hinunter, um sich Antwerpen anzusehen, die Barock- und Renaissancebauten, das Rubenshaus. Und mir nichts, dir nichts wird am Hafen ein bisschen umgebaut, hier ein US-Fähnchen, da eine schwarze Tafel, und schon ist aus Antwerpen New York geworden: »The City of New York welcomes MS Deutschland«, steht auf der Tafel.
Jetzt kommen Beatrice, die Chefhostess, und Kapitän Paulsen leicht angeschickert von der Besichtigung des Empire State Building zurück, und während die beiden an Bord gehen, dreht sich Kapitän Paulsen um und singt, mit Blick auf den Hafen von Antwerpen: New York, New York. Da ruft der Regisseur: »Aus und danke!« Und Wolfgang Rademann, der Traumschiff-Produzent, sagt: »Siegfried, das war ne sehr gute Idee von dir, noch New York, New York zu singen.« Ist der Regisseur zufrieden, freut das die Schauspieler; ist Rademann zufrieden, freut es sie noch mehr. Vielleicht, weil sie wissen, dass keiner ein feineres Gespür dafür hat, was die Leute wollen. Was er gut findet, das finden in der Regel zehn Millionen Menschen gut. Auf wen sonst trifft das zu? Seit 50 Jahren?
Vor ein paar Monaten, als die Außenaufnahmen im echten New York gedreht wurden, da herrschten 40 Grad, jetzt im August in Antwerpen sind es grade mal 17 Grad, der Himmel ist grau. Hilft nichts, heute müssen ein paar Szenen gedreht werden, die vor dem Schiff spielen, denn einige Schauspieler reisen ab. Die MS Deutschland wird am Abend ihre fahrplanmäßige Route fortsetzen, die vorgestern in Hamburg begonnen hat und in Lissabon enden wird. Das Schiff kann nicht warten, bis das Wetter wieder schöner ist. Schließlich sind in Hamburg 500 zahlende Passagiere an Bord gekommen, die einen luxuriösen Urlaub genießen wollen.
Routine. Theoretisch alles Routine für Wolfgang Rademann. Er macht ja nicht nur seit bald 50 Jahren Fernsehen, sondern ist seit 30 Jahren auch der Produzent des Traumschiffs. Normalerweise werden zwei neue Folgen im Jahr gedreht und gesendet – am 26. Dezember und am 1. Januar. Weil das Traumschiff aber nun 30 Jahre wird, zeigt das ZDF zusätzlich am 6. November die Jubiläumsfolge, die jetzt im August und September gedreht wird. Zwei Tage vor Antwerpen, als das Schiff den ganzen Tag im Hamburger Hafen lag, na, da war was los. Da musste selbst der Altmeister der Routine schauen, wo er bleibt und wo seine Schäfchen: Halb Schauspieldeutschland stand zur 30-Jahr-Feier bereit, um für ein paar Stunden und eine Minigage an Bord einzuchecken und eine Torte durchs Bild zu tragen: Michaela May kam und Ingolf Lück, Til Schweiger, Gaby Dohm, Dietrich Mattausch, Helmut Zierl, Otto Sander und noch ewig so weiter. Und Otto. Waalkes.
Die Zeit rannte. Unten checkten schon die echten Passagiere ein, um 19 Uhr sollte das Schiff ablegen und fast alle Schauspieler wieder von Bord gehen. Keiner drunter, der nicht sagte, es sei ihm eine Ehre und Selbstverständlichkeit, bei dieser Jubiläumssendung mitzumachen, also für ihren Radi – jederzeit.
Wolfgang Rademann ist natürlich die ganze Reise über dabei. Wie immer, seit 30 Jahren.
Herr Rademann, zählt man die Monate, die Sie auf dem Traumschiff verbracht haben, sind das etwa sechs Jahre. Lang, nicht?
Ach, so viel? Das überrascht mich.
Warum sind Sie immer dabei?
Na, weil es immer Probleme gibt. Einer muss schließlich entscheiden, einer muss bei Fragen ansprechbar sein und den Laden zusammenhalten. An Bord sind auch Drehbuchschreiber, die arbeiten an den nächsten Folgen. Da muss ich auch ein Auge drauf haben.
Die Geschichten, die Sie im Traumschiff erzählen, sind eher schlicht, oder?
Wir haben immer dasselbe Muster: 40 Prozent spielen an Land, 60 Prozent an Bord. Es werden drei Geschichten erzählt: eine Liebesgeschichte, eine lustige und eine spannende.
Sie ändern seit 30 Jahren nichts?
Warum sollte ich? Wir haben bei jeder Folge sieben bis zehn Millionen Zuschauer, die mögen das. Doch so viel Gespür traue ich mir schon zu zu merken, wenn die Serie nicht mehr ankommt.
Die Welt hat sich rasend verändert, nur das Traumschiff nicht.
Doch. Heute erzählen wir Episoden, da lernen sich zwei im Internet kennen und merken nicht, dass sie Kabinen nebeneinander haben. Auf der anderen Seite gibt es Themen, die kommen nicht mehr vor: der Juwelendieb zum Beispiel. Wer hat denn heute noch teure Juwelen dabei? Oder der blinde Passagier. Bei den Sicherheitsmaßnahmen, die es inzwischen gibt, schafft es keiner mehr heimlich an Bord.
Die Quote ist Ihr Maßstab?
Was wollen Se sonst nehmen? Ihre Bekannten? Zeitungen? Ich sage immer: Sobald ich in der Süddeutschen eine gute Kritik kriege, habe ich was falsch gemacht.
Er macht es einem leicht, ihn zu mögen, er ist uneitel geblieben in einem sehr eitlen Gewerbe. Macht wenig Gewese um sich, ist dennoch der Fixpunkt im Team. Sein Wort gilt und sein Handschlag. Seine Art: geradeaus. Seine Rolle bei den Dreharbeiten (außer der des Produzenten): Vati. Vati, der alles im Blick hat und für jeden das richtige Wort, der auch mal streng ist, aber niemals hintenrum, zum Geburtstag Blumen schickt, einen nicht vergisst. Alte Schule.
Während das Schiff vom Hamburger Hafen ablegte und fast alle Schauspieler von Bord gingen, holte er die, die noch da waren wie Hannelore Elsner und Hape Kerkeling, auf Deck 7. Sie gingen durch eine Tür, auf der »Crew only« stand, der Platz vor der Kapitänsbrücke. »Ach, wir dürfen das.« Dann fuhr das Schiff, und alle winkten, bald zeigte Rademann auf ein Haus: »Da wohnen Nadja Tiller und Walter Giller. Wissen Sie, was Walter Giller sagt, auf die Frage, ob er noch hübschen Mädchen hinterherschaut? Ja, aber er habe vergessen, warum.« Da muss er richtig lachen.
Otto hat jetzt im Kaisersaal des Schiffs einen Auftritt mit Harald Schmidt, der seit fünf Jahren den Kreuzfahrtdirektor Oskar Schifferle spielt. Das Schiff fährt bereits, aber Otto muss noch arbeiten. Er sitzt am Klavier auf der Bühne des Kaisersaals, Harald Schmidt in weißer Uniform kommt dazu, der Regisseur sowieso und durch eine Seitentür auch Wolfgang Rademann. Setzt sich. Schaut zu. Geht dann zu Otto und sagt was. Und Otto antwortet: »Ja, das ist wirklich besser.«
Weil das Traumschiff sich ja nicht selbst zu 30 erfolgreichen Jahren gratulieren kann, lautet die dramaturgische Krücke: Oskar Schifferle bereitet heimlich die Feier zum 30-jährigen Dienstjubiläum der Chefhostess Beatrice vor, die tatsächlich vom ersten Tag an von Heide Keller gespielt wird. Otto soll dazu das passende Lied spielen, macht die Faxen, die man von ihm erwartet, lässt einen mittelguten Witz ab und hopst dann Otto-mäßig von der Bühne.
Was man im Fernsehen wohl nicht sehen wird: Er seilte sich nach dem Abendessen mit einer Strickleiter vom fahrenden Schiff ab, ein Boot brachte ihn irgendwo hinter Hamburg an Land.
»Die Leute wissen, was sie kriegen«
Am nächsten Morgen sitzt Rademann beim Frühstück in beigefarbener Hose und kurzärmligem Hemd, selbstbewusst, freundlich, völlig lässig. Er fällt überhaupt nicht auf in der Schar der Passagiere, auch seine Haare sind grau. Da platzt Hannelore Elsner an seinen Tisch, die nachher mit Harald Schmidt in einer Szene als Blumendekorateurin auftreten wird, und sagt: »Also ich lasse Haralds Satz: ›Wenn die Frauen verblüht sind, verduften die Männer‹ nicht so stehen, das ist ja frauenverachtend. Ich antworte lieber: ›Wenn die Männer verduftet sind, blühen die Frauen auf‹. Das ist doch gut, nicht?« Da lacht Rademann: »Ja, ja, echt gut.« Als Hannelore Elsner zufrieden gegangen ist, sagt er: »Sehen Se, sehen Se, drum bin ich immer dabei: Wenn man nicht aufpasst wie ein Schießhund, schmuggeln die einem alles in den Text. Das eben war ja gut, aber darauf kann ich mich nicht verlassen.«
Er liebt, was er macht. Dazu ist der Erfolg so immens, dass ihm eh keiner an den Karren fahren kann. Das Traumschiff mag sehr schlicht gestrickt sein, aber es macht niemanden lächerlich, verletzt weder Tabus noch die Grenzen der Scham. Die Nischen, die 400 000 Zuschauer um Mitternacht, haben Wolfgang Rademann nie interessiert.
Im Grunde ist sein Fernsehen eine Art Parallelfernsehen: Zehn Millionen Zuschauern, die es kaum erwarten können, bis wieder eine Traumschiff-Folge kommt, stehen mindestens so viele gegenüber, die gar nicht wissen, dass es die Serie noch gibt. Er macht, um es böse zu sagen, Oma-Fernsehen, betuliche Geschichten, keine schnellen Schnitte, keine Neuerungen – und alles ohne jede Ironie. Selbst den Musikantenstadl hält man ja für viel zynischer als das Traumschiff.
Man könnte das Fernsehen, für das er steht, auch freundlicher benennen: Westberlin. Das, das es eigentlich nicht mehr gibt – außer im Film. Grunewald, Männer in roten Pullovern und mit Afghanenhunden an der Leine, Mercedes-Coupés mit verschlungenem Monogramm an der Fahrertür, Rolf Eden. Irgendwie rührend und altmodisch. Nein, Rademann hat natürlich keinen Afghanen, er steht nur für eine Zeit und ein Fernsehen, die es bald nicht mehr gibt.
Ein kurzer Ritt durch sein Leben zeigt, wie oft er schon Fernsehgeschichte geschrieben hat, das verdrängt man ja leicht: 1934 in Berlin geboren, Journalist geworden, 1958 aus Ostberlin geflohen, im Westen bei der B.Z. und dem Stern gearbeitet. Er war »Pressesprecher von Pierre Brice, als der noch Winnetou war«, hat die sagenumwobene Peter Alexander Show erfunden, die Comedyserie Ein verrücktes Paar mit Harald Juhnke und Grit Boettcher, dazu die Schwarzwaldklinik, Hotel Paradies, eine Serie, die auf Mallorca spielt, und eben das Traumschiff – und das war nur eine Auswahl.
Er lebt so: Erledigt alles in seinem »Einmannbetrieb« mit einem ziemlich alten Handy, wohnt in Berlin-Zehlendorf, hat keine Frau, keine Kinder, keinen Chef, das alles wollte er nie. Man sagt, er führe seit über 30 Jahren eine Beziehung mit Ruth-Maria Kubitschek, die am Bodensee lebt. Und dass sie nie länger als eine Woche gemeinsam verbringen. Und noch eine Vorliebe hat er, die man gut in Westberlin 1988 ansiedeln könnte: Er verabredet sich in Hotelbars, auch tagsüber, in München natürlich im »Bayerischen Hof«. Sich selbst nennt er einen »Unterhaltungsfuzzi«.
Seit Harald Schmidt den Kreuzfahrtdirektor spielt, seit fünf Jahren, wurde das Image der Serie aufgewertet. Schmidt weiß das, damit kalkuliert er: »Ich bin hier wegen meines Promifaktors, ich mache PR für das Schiff und erfülle leichte künstlerische Aufgaben. Rademann sieht das genauso.« Schmidt hat sich übrigens bei Rademann beworben, »der wäre sonst nie auf die Idee gekommen, mich zu besetzen«.
Auf den ersten Blick und auf den zweiten gibt es kaum Unterschiede zwischen dem Traumschiff und der MS Deutschland. Rademann sagt, er habe noch nie gehört, dass ein Passagier wegen der Dreharbeiten nicht mitgefahren sei, oft aber, dass jemand nur wegen der Dreharbeiten mitgefahren ist. Eine Reise wie diese kostet immerhin mindestens 3625 Euro pro Person.
Merkwürdig, auch an Bord fallen die Dreharbeiten kaum auf. Man muss sie meist richtig suchen, obwohl viele Menschen dazu Kilometer von Kabeln und Tonnen von Scheinwerfern und Aufnahmegeräten transportieren. Die Atmosphäre ist angenehm unaufgeregt. Die Schauspieler, der Regisseur, Wolfgang Rademann – alle gehen in die Restaurants, in die auch die Passagiere gehen: Frühstück und Abendessen auf dem Lidodeck.
Ab und zu werden die Schauspieler von Gästen angesprochen: »Ich wollte Ihnen sagen, dass ich nur wegen Ihnen mitfahre.« Oder: »Die Serie gefällt mir so gut, da habe ich jetzt mal eine Reise gebucht.« Die Schauspieler antworten freundlich. Weil Heide Keller die Chefhostess Beatrice spielt, hat die MS Deutschland die Stelle einer Hostess geschaffen; die war nur in der Serie vorgesehen. Aber die Passagiere wollten dann auch in Wirklichkeit eine haben.
Herr Rademann, wie viel haben Sie für den Tourismus getan?
Och, ne ganze Menge. Für die Kreuzfahrt, für den Schwarzwald, für Mallorca durch Hotel Paradies.
Gehen Sie eigentlich zwischendurch an Land?
Nee, ich kenn alles. Ich räume Städte in 48 Stunden uff und Länder in fünf Tagen, dann kenn ich die Natur, die besten Restaurants, und das reicht mir. Ich mach ja auch sonst nie Urlaub, Urlaub langweilt mich.
Der Schauspieler Christoph Maria Herbst hat über die Dreharbeiten ein unfreundliches Buch geschrieben, Ein Traum von einem Schiff. Sind Sie noch wütend?
Er sagte mir, ihm sei langweilig auf dem Schiff, drum werde er was schreiben. Das wurde dann immer länger. Trotzdem hätte von dem Buch keiner was gemerkt, wenn nicht die Bild-Zeitung daraus eine große Geschichte gemacht hätte. Er ist ein guter Schauspieler, aber man beißt nicht die Hand, die einen füttert.
Was macht das Traumschiff aus?
Die Palmenstrände, immer wieder, und dass die Leute wissen, was sie kriegen. Nur den Tatort gibt es länger als uns. Aber im Unterschied zum Tatort sind wir das letzte Lagerfeuer. Nur bei Wetten, dass . . ? und bei uns können Sie abends die Oma mit dem Enkel vor den Fernseher setzen und sicher sein, dass es weder Mord noch Totschlag gibt.
Im Bordfernsehen läuft auch jeden Tag eine Folge Traumschiff.
Darum will ich, dass die Kleidung zeitlos ist, ja nichts Modernes. Nicht dass die Zuschauer bei einer Wiederholung denken: Mensch, ist das von vorgestern.
Man erzählt, dass Sie immer im Januar und Februar drehen, weil das Schiff dann in die Karibik fährt und Sie sich keinen Wintermantel kaufen müssen.
Jetzt machen Sie mir meine Pointe kaputt. Die kam eigentlich immer gut an.
Machen Sie das Traumschiff bis an Ihr Lebensende?
Sie sind gut. Aber ja, von mir aus kann das noch lang weitergehen. Ich bin stolz darauf, alle Serien immer von mir aus aufgehört zu haben. Mich hat noch kein Quotentief beendet. In einer Fernsehkritik stand mal: »Wenn das Schiff im Bermudadreieck verschwände, würde es niemand vermissen.« Alles Käse, zehn Millionen Zuschauer würden es seit 30 Jahren vermissen.
Nur Hape Kerkeling hat sich in diesen Tagen nie unter das Publikum gemischt. In Antwerpen dann, das an diesem Vormittag am Hafen auch noch zu Savannah in Georgia wird, hat er seinen Auftritt. Die Requisite hat ein schwarzes amerikanisches Auto organisiert, Kerkeling spielt einen Meeresbiologen, der seine Schildkröte Hilde an Bord schmuggelt, um sie am Ende der Reise in Brasilien auszuwildern, aber erwischt wird. Jetzt soll er sie in einer Kiste von Bord und ins Auto tragen.
Nur so viel sei hier verraten: Es geht ganz anders aus, als mancher jetzt vielleicht denken mag. Spannung bis zum Schluss. Am 6. November wissen wir mehr.
Fotos: Dirk Bartling