»Naturgesetze machen jede Menge Ärger«

Wie lässt man Raumschiffe, Monster und Explosionen im Kino realistisch wirken? Regisseure holen sich Rat beim Wissenschaftsberater Sean Carroll.

Ob bei »Hulk«, »Thor« oder »Illuminati« mit Tom Hanks: Wenn es im Kino besonders eindrucksvoll kracht und scheppert, waren Wissenschaftler am Werk.

SZ-Magazin: Herr Carroll, Sie sind Astrophysiker. Was genau wollen Filmemacher von Ihnen wissen?
Sean Carroll
: Ganz unterschiedliche Dinge: Wie ein Raumschiff aussehen müsste, das mit Überlichtgeschwindigkeit fliegt. Wie groß ein Komet sein müsste, damit er die Erde zerstören könnte. Oder was mit jemandem passieren würde, der vom Rand eines scheibenförmigen Planeten ins Weltall geschubst wird.

Was würde denn passieren?
Das funktioniert gar nicht: Die Schwerkraft sorgt dafür, dass man einfach auf der anderen Seite der Scheibe landen würde. Aber schon die Scheibenform ist unlogisch: Es gibt ein Phänomen namens »Hydrostatisches Gleichgewicht«, das Planeten in eine runde Form zieht.

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Wie reagiert ein Drehbuchautor, wenn Sie sagen: Nette Idee mit dem Scheibenplaneten – aber wissenschaftlich ist das Unsinn?
Ich bin diplomatischer – ich sage eher: Ich habe ein paar Vorschläge, die der Story nicht schaden, aber plausibler sind. Die Sache mit dem Scheibenplaneten kam im Film Thor vor, in einer frühen Fassung des Drehbuchs. Im fertigen Film ist der Planet dann rund.

Glauben Sie wirklich, solche Fehler fallen Zuschauern auf?
Es reicht schon, wenn einer den Clip auf Youtube stellt und erklären kann, was die Filmemacher falsch gemacht haben. Dann wird ein Film schnell zur Lachnummer. Das Publikum ist viel kritischer geworden.

Wenn Sie auf solche Fehler hinweisen – fühlen Sie sich manchmal als Spielverderber?
Nein. Ich will die Ideen ja nicht kaputtreden. Mich interessiert: Was wollen Drehbuchschreiber und Regisseure erzählen? Und dann achte ich darauf, dass es innerhalb dieser Fantasiewelt halbwegs realistisch zugeht. Superman kann fliegen? Kein Problem. Aber dann sollte seine Flugbahn stimmen.

Wie schwer fällt es Ihnen, sich auf solche Gedankenspiele einzulassen?
Als Wissenschaftler frage ich immer: Welche Phänomene der Natur gibt es wirklich? Hollywood funktioniert anders, da kommt jemand daher und sagt: Hey, lasst uns einfach selbst bestimmen, was geht und was nicht. Ich muss diese innere Stimme überwinden, die ständig sagt: Eine Figur wie »Thor« mit seinem fliegenden Hammer widerspricht den Gesetzen der Physik.

Aber kein Mensch geht doch ins Kino, um physikalisch korrekte Superhelden zu sehen.
Schon klar. Aber damit eine Geschichte funktioniert, braucht es irgendwelche Gesetze, sonst wird die Handlung langweilig. Sonst könnte der Held einfach mit den Fingern schnippen, und alle Gegner sind tot und die Welt ist gerettet. Am Ende lassen sich viele Geschichten auf eine einfache Formel reduzieren: Naturgesetze machen jede Menge Ärger. Da sind sich Wissenschaft und Filme gar nicht so unähnlich. Wir machen daraus Experimente. Hollywood macht daraus Blockbuster.

Für Illuminati mit Tom Hanks mussten Sie sich überlegen, wie eine Bombe aus Antimaterie funktionieren würde. Wie gehen Sie so eine Aufgabe an?

Normalerweise würde ich Experimente machen, Fachliteratur auswerten und mit Kollegen diskutieren. Ging in diesem Fall alles nicht, denn technisch gesehen ist eine Bombe aus Antimaterie reine Fiktion. Das Material ist so schwierig herzustellen, dass man bisher nur winzige Mengen produzieren kann. Und die wären so gefährlich wie ein Streichholz.

Also berechnen Sie, was bei so einer Explosion theoretisch passieren würde?
Genau. Ich will das so präzise wie möglich hinbekommen, aber alles, was ich weiß, ist: Es würde explodieren. Aber wie genau? Mit einer Flammenwolke? Oder als heller Blitz? Also habe ich versucht zu berechnen, wie sich die Antimaterie in der Luft ausbreiten würde und welche Energien dabei freigesetzt würden. Am Ende wird das kaum ein Zuschauer merken. Aber immerhin: Die Explosion sieht anders aus als alle andere Explosionen im Kino.

Über welchen Film haben Sie sich zuletzt geärgert?
Sosehr ich den Star Trek-Film von J. J. Abrams mochte: Er hatte ein paar ziemliche Patzer. Es gibt da eine Substanz, die sogenannte rote Materie, die Planeten zum Explodieren bringen kann. Im ganzen Film geht es darum, wie man diese Materie stoppen könnte, aber man erfährt nie, was genau das für ein Material ist. Also bleibt es völlig rätselhaft, wie sich die rote Materie besiegen lässt. Da fühle ich mich irgendwie für dumm verkauft. Schau, da ist dieses magische Zeug, wir müssen es aufhalten – dann eine Verfolgungsjagd, am Ende gewinnen die Guten, fertig.

Die häufigsten Fehler

Sean Carroll unterrichtet Astrophysik an der angesehenen Universität California Institue of Technology und interessiert sich für Raumschiffe, Explosionen und Sagengestalten. Weil er komplizierte Dinge so erklären kann, dass auch Laien sie verstehen, ist er einer der wichtigsten Wissenschaftsberater Hollywoods. Seine bekanntesten Aufträge: »Tron«, »Thor«, »Illuminati«, »The Avengers« und »The Big Bang Theory«.

Welcher Fehler kommt im Kino besonders häufig vor?
Sobald es um Zeitreisen geht, wird es fast immer dubios. Klar kann man im Film in die Vergangenheit reisen – aber man kann dort nichts verändern. Denn die Vergangenheit muss ja irgendwie mit dem zusammenpassen, was wir heute über die Vergangenheit wissen. Sie können also theoretisch Ihre eigenen Eltern als Kinder besuchen – aber Sie können nicht Ihre eigene Zeugung verhindern. Denn Sie existieren ja.

Aber genau das ist doch an Filmen so toll: dass sie etwas zeigen, was eigentlich nicht geht.
Aber ich will auch bei Zeitreisenfilmen das Gefühl haben, dass die Drehbuchautoren sich auch etwas dabei gedacht haben – so wie bei 12 Monkeys, wo man merkt: Hier sind die Zeitebenen so logisch angeordnet, dass wirklich alles zusammenpasst.

Welche Regisseure genießen unter Wissenschaftlern einen besonders guten Ruf?
Am meisten hat mich der Chef der Marvel Studios beeindruckt, der sich bei Actionfilmen wie Der unglaubliche Hulk, Iron Man oder The Avengers wirklich Mühe gibt, dass alle Details stimmen. Auch Ridley Scott ist ein ziemlicher Wissenschaftsnerd, der sich gern zeigen lässt, woran Forscher gerade arbeiten. Da hat sich einiges getan: In alten Science-Fiction-Filmen stand im Drehbuch an manchen Stellen einfach: Hier bitte Techno-Geschwafel einfügen. Da haben Autoren dann irgendwelche Versatzstücke aus Gebrauchsanweisungen und Physikbüchern reingeschrieben, nur damit die Dialoge irgendwie technisch klingen.

Wenn heute in Filmen wissenschaftliche Fachbegriffe vorkommen, kann man davon ausgehen, dass sie alle stimmen?
Ja, denn Filmemacher freuen sich immer, wenn sie exakt beschreiben können, was gerade in der Handlung vorkommt. Wenn zum Beispiel Leute im Film Thor sehr schnell durchs Universum reisen, lässt sich das theoretisch mit einem Prinzip erklären, das man in der Wissenschaft »Einstein-Rosen-Brücke« nennt. Sie sollten mal sehen, wie die Augen der Drehbuchautoren leuchten, wenn sie solche Wörter zum ersten Mal hören.

In Filmen sind Wissenschaftler oft durchgeknallte Typen mit schlecht sitzender Kleidung. Stört Sie das?
Wie Wissenschaftler aussehen, ist mir egal – außerdem gibt es ja Leute wie Tony Stark in Iron Man: einen Forscher-Playboy mit Unmengen Geld. Sehr schmeichelhaft für uns Wissenschaftler. Was mich eher stört: Oft wissen Drehbuchschreiber nicht, wie ein Labor funktioniert. Die denken: Da sitzen Genies an ultrateuren Geräten, ballern mit Lasern rum, und alles blinkt und funkelt.

Was tun Sie gegen solche Klischees?
 Ein Kollege und ich haben die Autoren von The Big Bang Theory einfach mal in ein echtes Labor eingeladen – und die waren schockiert, wie schäbig es dort aussieht. Aber seitdem zeigt die Serie ein ziemlich realistisches Bild: Wir arbeiten fast immer knapp am Limit, da gibt es eher zusammengeschustertes Zeug als riesige Flachbildmonitore.

Was sagen Ihre Wissenschaftskollegen, wenn Sie erzählen: Nebenbei mache ich mir Gedanken über die korrekte Flugbahn magischer Hämmer?
Vielen ist das suspekt, auch wenn mir das noch niemand ins Gesicht gesagt hat. Aber es gibt, gerade bei jüngeren Kollegen, die mit Science-Fiction aufgewachsen sind, auch viel Begeisterung für Hollywood. Für sie war das Kino der erste Berührungspunkt mit Wissenschaft. Und wenn ich mich bemühe, dass Wissenschaft halbwegs plausibel ist, und Forscher nicht rüberkommen wie Freaks, hat das auch einen einfachen Grund: Wir brauchen mehr Nachwuchswissenschaftler. Wenn ich dadurch nur ein paar Schüler dazu bringe, Wissenschaftler zu werden, hat sich die Arbeit schon gelohnt.

Kann ein Film das schaffen – Menschen für Wissenschaft begeistern?

Na sicher. Eine reine Frage der Masse: Wenn ich ein Buch über das Higgs-Boson schreibe, lesen das vielleicht 20 000 Leute. Eine Comicverfilmung wie Thor schauen Millionen. Darin spielt Natalie Portman eine junge Astrophysikerin, obwohl sie eigentlich als Krankenschwester eingeplant war. Ich habe die Filmemacher überzeugt, dass eine Physikerin besser in die Story passt. Dafür hat Portman viel Fanpost von Mädchen bekommen, die sagen: Das ist cool. Das will ich später auch mal machen. Aber ein bisschen enttäuscht war ich von ihrer Rolle trotzdem.

Warum?
Sie findet den Donnergott Thor in der Wüste, als es ihn auf die Erde verschlägt. Kein echter Wissenschaftler würde das einfach so hinnehmen – sondern Thor ständig ausfragen: Wie funktioniert euer Sonnensystem? Was weißt du über dunkle Materie? Diese Neugier, die fehlt ihr.

Bekommen Sie eigentlich Geld für Ihre Arbeit?

Disney hat mir einmal 250 Dollar Aufwandsentschädigung gezahlt. Ansonsten arbeite ich gratis. Dass Wissenschaftler und Hollywood-Leute zusammenarbeiten, ist ja eine neue Entwicklung. Seit vier Jahren gibt es in Hollywood den »Science and Entertainment Exchange«, ein staatlich gefördertes Programm, in dem Wissenschaftler ehrenamtlich Tipps für Filmemacher geben. Da mache ich gern mit. Ich sehe das als eine Art Hobby.

An welchem Film arbeiten Sie gerade?
Das darf ich nicht sagen, ich muss seitenlange Verträge unterschreiben, bevor ich ein Drehbuch überhaupt lesen darf. Nur so viel: Wenn Thor 2 in die Kinos kommt, will ich mal behaupten, dass sich darin keine wissenschaftlichen Fehler finden lassen.

Fühlen Sie sich bei den Premierenpartys als Wissenschaftler deplatziert?
Ich werde nicht mal eingeladen. Bisher bin ich noch nicht mal im Abspann erwähnt – aber ich hoffe, das wird sich bei meinen nächsten Projekten ändern.

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Obwohl es nur ein Trickfilm ist, stimmen viele Details - als ein Baby herunterfällt und gerettet wird, ist die Geschwindigkeit genau berechnet.

2001: Odysse im Weltraum
Stanley Kubrick hat für den Film mit 65 Experten gesprochen - seitdem glauben Skeptiker, dass er die Mondlandung inszeniert hat.

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Illustration: Gluekit