SZ-Magazin: Herr Teller, Sie haben sich vor Kurzem im österreichischen Maria Wörth elf Tage lang einer F.-X.-Mayr-Kur unterzogen. Aus welchem Grund?
Juergen Teller: Freunde haben total geschwärmt von dieser Kur. Ich dachte, wie kann man so schwärmen von so einem Scheiß? Jetzt bin ich auch voll begeistert. Die Kur hat mir super gut getan.
Zu einer Mayr-Kur gehört, dass einem eine Maschine literweise Wasser in den Darm pumpt.
Es tut unheimlich weh, aber es soll gesund sein.
Hatten Sie gesundheitliche Probleme?
Ja. Ich bin beim Fotografieren wie ein Tier, das sich anrobbt. Wegen dieser Verrenkungen habe ich Probleme mit meinem Rücken. Um die Schmerzen loszuwerden, habe ich während der Kur Yoga und Wassergymnastik gemacht. Abends war ich fix und fertig und bin um halb acht ins Bett gegangen, aber happy und unheimlich ausgeglichen. Dass ich heute zwölf Kilo weniger wiege, habe ich auch der Klinik zu verdanken.
Ein Foto aus der Kurklinik zeigt Sie in kurzer Hose und mit Pudelmütze beim Nordic Walking. Hipster senken bei dieser Disziplin den Daumen.
Deswegen ist das Foto ja so gut. Natürlich habe ich überlegt, ob ich jetzt der totale Depp bin, da mit so Stöcken langzulatschen. Das sieht ja total bescheuert aus. Es ist mir aber fucking wurscht, wie das ausschaut. Nordic Walking ist großartig, ich bin ein Riesenfan geworden.
Haben Sie Vorsätze gefasst?
Ich versuche, nicht mehr zu rauchen. Deshalb habe ich Akupunkturnadeln in den Ohren.
Wie viel haben Sie geraucht?
Dreißig am Tag, seit 35 Jahren.
Zum Thema Trinken sagen Sie: »Ich brauche Alkohol wie ein Auto Benzin.«
Mit dem Trinken habe ich jetzt auch aufgehört. Das war hardcore am Anfang, aber die Trinkerei fing an mich zu langweilen. Ich mag es extrem: entweder ganz viel trinken oder gar nicht. Zwei Glas Wein am Abend, das kann ich überhaupt nicht. Bei mir werden es zwei Flaschen, und dann kommt der Wodka auf den Tisch. Wenn meine Mutter dieses Interview nicht lesen würde, würde ich sagen, dass ich möglicherweise Alkoholiker bin. Statt der Sklave von Alkohol und Nikotin zu sein, will ich die Kontrolle über mein Leben zurückhaben. Ich habe erst in der Klinik gemerkt, wie fertig ich war. Saufen ist Arbeit. Saufen ist ein Beruf.
Sie haben eine 17-jährige Tochter und einen zehnjährigen Sohn. Gehört zum Kleingedruckten auf der Geburtsurkunde eines Kindes, dass die Eltern das Recht auf Selbstzerstörung verwirkt haben?
Früher habe ich alles ausprobiert, was neu und verrückt war, von Bungee-Jumping in der Ukraine bis sonst was. Als ich Vater wurde, habe ich mir gesagt, jetzt musst du vernünftig werden. Ich habe dann aber noch mehr getrunken, weil ich ständig zu Hause war und mich langweilte. Ich war auch ein bisschen schwanger. Man geht nicht mehr zum Friseur, zieht bequeme Joggingsachen an, sitzt essend vorm Fernseher und wird dick.
Ihr Vater war ein depressiver Alkoholiker.
Er hat Fröhlich-Bier getrunken, sehr viel. Als Kind konnte ich nicht begreifen, dass jemand solche Mengen in sich reinkriegt. Wenn es richtig losging bei ihm, kam natürlich Schnaps dazu. Wenn meine Mutter ihm zum Regenerieren Tee gab, ging er in sein Versteck und schüttete Stroh-Rum rein, die Mischung war halbe-halbe. Die Heimlichtuerei war total bescheuert, denn man roch den Rum ja. Aber wenn meine Mutter irgendwas sagte, hat er sie geschlagen.
Hat Ihr Vater Sie auch geschlagen?
Ganz wenig. Es hätte mir aber weniger wehgetan, von ihm geschlagen zu werden, als mit anzusehen, wie er meine Mutter schlägt. Das war grauenhaft. Als ich körperlich stärker wurde, habe ich mir vorgenommen, du haust dem eine aufs Maul, wenn er noch mal deine Mutter schlägt. Ich bin aber jedes Mal in meinem Zimmer geblieben. Ich war wie gelähmt. Ich fand mich fucking beschissen, weil ich ihr nicht geholfen habe. Wenn er wegen der Trinkerei am nächsten Morgen fix und fertig war, musstest du schleichend durchs Haus gehen, um ihn ja nicht aufzuwecken. Auch beim Mittagessen hat keiner ein Wort gesagt, weil er immer noch schlief. Wenn meine Mutter ein blaues Auge hatte, herrschte fürchterliche Stimmung, niemand kriegte den Mund auf. Wir wussten, dass er sich total schämt.
Sie sind in Bubenreuth in Mittelfranken aufgewachsen. Wie haben Sie mit 15, 16 ausgesehen?
Ich hatte lange Haare und trug Malerlatzhosen mit einem Atomkraft?-Nein-danke-Sticker. Den Spiegel habe ich von vorne bis hinten gelesen. Das gehörte zum Aufbäumen gegen die Eltern. Da wir auf dem Land wohnten, musste mit vierzehneinhalb ein Moped her. Das war das beste Gefühl überhaupt, mit dem Moped rumzueiern. Die Schule war nichts für mich. Statt in den Unterricht zu gehen, habe ich den ganzen Tag Fußball gespielt.
Ihr Vater arbeitete im elterlichen Betrieb, in dem Stege für Gitarren und Geigen hergestellt wurden.
Wir lebten mit der Verwandtschaft unter einem Dach, zur Werkstatt lief man nur zehn Minuten. Für meinen Vater war das eine klaustrophobe Situation. Er fühlte sich unterdrückt und war zu sensibel, um sich gegenüber der Verwandtschaft zu behaupten.
Sie sind ein Einzelkind. Hat sich Ihr Vater für Sie interessiert?
Wenn ja, hat er es nicht gezeigt. Außer Luftgewehrschießen hat er auch nie etwas mit mir unternommen. Fußball habe ich immer zusammen mit meiner Mutter geschaut. Zu Hause lief ich immer geduckt rum, denn jeden Moment konnten die Dinge explodieren. Diese Atmosphäre hat mich zu einem extrem guten Beobachter gemacht. Ein Blick genügte, und ich wusste, was los war. Heute kommt mir das beim Fotografieren zugute. Ich wittere die Aura eines Menschen, deshalb mache ich ziemlich gute Porträtfotos.
Wie hat sich Ihre Familie Ihre Zukunft vorgestellt?
Meine Mutter meinte, Mensch, so eine Zahntechnikerlehre, das wäre doch was. Ich habe dann aber in einer Werkstatt in der Nachbarschaft eine Bogenmacherlehre angefangen. Damals fand ich das exotisch. Wer ist denn schon Bogenmacher? Nach einem Jahr musste ich die Lehre wegen einer Holzstauballergie abbrechen. In null komma nichts schwoll alles an, und ich kriegte keine Luft mehr. Die Allergie war hundertprozentig psychosomatisch. In der Werkstatt war alles so richtig old-school-mäßig: Befehl und Gehorsam, und Arbeitsbeginn sieben Uhr hieß, dass man um sieben schon voll bei der Arbeit sein musste.
Sie haben sich dann an der Bayerischen Staatslehranstalt für Photographie in München zum Fotografen umschulen lassen.
Als ich meinem Vater gesagt habe, ich werde Fotograf, hat er mir fast eine runtergehauen. Diese Wahl hat er nicht verstanden. Fotograf war für ihn Passbilder und Hochzeitsfotos. Man muss sagen, dass ich aus einer extrem unkultivierten Familie komme. Auf meine Ideen und auf meine visuelle Sprache bin ich durchs Fernsehen gekommen und durch den Wald, der neben unserem Haus begann.
Nach Ihrer Umschulung zogen Sie 1986 nach London.
Ich hatte den Kriegsdienst verweigert und die Einberufung zum Zivildienst bekommen. Mein Drive zu fotografieren war aber so stark, dass ich aus Deutschland weg bin.
Sie hatten keine Ersparnisse und sprachen kein Englisch.
Ich verkaufte meine Fotoausrüstung und behielt nur eine Kleinbildkamera. Mit der fotografierte ich Bands. Für ein Einzelseitenfoto in Magazinen wie ID bekam man 45 Pfund. Wenn ich kein Geld für Miete hatte, schlief ich in meinem alten Mercedes 200 Diesel.
Zwei Jahre nach Ihrem Umzug nach London brachte Ihr Vater sich um.
Ich war total schockiert, aber aus allen Wolken gefallen bin ich nicht. Er war zuvor in einem psychiatrischen Krankenhaus, aber da hat er es nicht lange ausgehalten. Beim ersten Versuch, sich umzubringen, wollte er sich erhängen, aber der Haken ist aus der Decke gekracht. Am Tag seines Todes hat er sich ins Auto gesetzt und ist die Schnellstraße entlanggefahren, die an der Stegmacherwerkstatt vorbeiführt. Die Straße ist kerzengerade. Er ist dann genau gegenüber der Werkstatt gegen einen Baum gefahren. Ich bin sicher, das war symbolisch gemeint.
Auf Ihrer Toilette hängt eine Arbeit der britischen Künstlerin Sarah Lucas. Das Foto zeigt eine verdreckte Kloschüssel. Auf der Innenseite der Schüssel steht in roter Farbe die Frage: »Is Suicide Genetic?« Zu Deutsch: Ist Selbsttötung erblich?
Ich denke, es gibt ein Gen dafür, dass du eine suchtanfällige Persönlichkeit hast, und dieses Gen kannst du erben. Aber was Selbstmord angeht, komme ich nicht nach meinem Vater. Er musste mit 14 im Betrieb der Eltern anfangen und hat sich unterdrücken lassen, ich bestimme mein Leben selbst und lebe so frei wie irgend möglich.
Auf einem Ihrer Fotos stehen Sie nackt auf dem Grab Ihres Vaters. Sie halten eine brennende Zigarette in der Hand und trinken Fröhlich-Bier aus der Flasche.
Das Foto war mein Versöhnungsangebot an meinen Vater. Ich wollte meinen Frieden mit ihm machen und ihm zeigen, dass ich auch meine Probleme mit Sucht habe. Meine Mutter fand das Bild unmöglich und sagte, veröffentliche das nicht, ich will nicht blöd angeschaut werden, wenn ich zum Metzger gehe. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, als das Foto in einem Buch von mir erschien, aber das Bild hat eine Tür aufgestoßen und uns einander näher gebracht. Seither können wir besser miteinander reden.
Wann hatten Sie das erste Mal das Gefühl, so etwas wie Erfolg zu haben?
1991 fragte mich das US-Magazin Details, ob ich eine amerikanische Nachwuchsband fünf Tage lang auf einer Deutschlandtournee begleiten will. Ich fragte bei Bekannten in London rum, ob jemand schon mal von der Gruppe gehört hätte, aber keiner wusste was. Ich nahm den Job trotzdem an, denn ich hatte mal wieder kein Geld, und außerdem konnte ich umsonst meine Mutter besuchen. Die Band reiste in einem Kleinbus durch Deutschland. Ich war so schüchtern und introvertiert, dass ich erst nach drei Tagen den Mut hatte, ein Foto zu machen. Am Ende hatte ich zehn Rollen fotografiert. Heute würde ich auf 200 bis 400 Rollen kommen. Die Band hieß Nirvana, und als meine Fotos gedruckt wurden, kam Smells Like Teen Spirit raus. Durch diesen Zufall hatte ich plötzlich einen Namen, aber eigentlich war mir das ziemlich egal. Wichtig war, dass es sich richtig angefühlt hatte, die Band zu fotografieren, denn die Konzerte waren fantastisch gewesen.
Anfang der Nullerjahre begannen Sie, sich selbst zu fotografieren. Warum?
Es macht müde, ständig mit komplizierten Egos und bombastischen Eitelkeiten umgehen zu müssen und Wünsche nach Wasser mit Kokosnussgeschmack zu hören. Celebritys bedeuten unheimlichen Stress, und der geht mir auf den Magen. In Interviews erzähle ich immer, ich hätte einen easy Job und alles sei totaler Fun. Die Wahrheit ist, es ist fucking anstrengend. Wie fotografiert man eine neue Handtasche, wenn man wie ich seit 25 Jahren Handtaschen fotografiert? Ich leide, wenn ich solche Probleme lösen muss, und wache morgens um vier mit Panik auf, weil ich mir viel zu viel Druck mache. Ich kann keinen Job einfach so runterrotzen und mit dem Scheck nach Hause gehen. Deshalb habe ich mir gesagt, du fängst jetzt mal an, dich selber zu fotografieren, da kann dir niemand reinreden. Ich wollte auch mal wissen, wie es sich körperlich anfühlt, von mir fotografiert zu werden.
Jeder Mann beneidet dich darum, die Nacht mit der begehrenswerten Charlotte Rampling zu verbringen. Das gab mir das Gefühl von Macht und Befriedigung, aber gleichzeitig wollte ich mich zum Clown machen.
Wer drückt auf den Auslöser, wenn Sie Selbstporträts machen?
Ein Assistent oder meine Frau, manchmal auch meine Mutter. Ich bin aber der Regisseur des Bildes, deshalb steht mein Name drunter.
Warum sind Sie auf Ihren Selbstporträts oft nackt?
Ein großer Teil meiner Arbeit ist Modefotografie. Deshalb will ich mit Mode nichts zu tun haben, wenn ich mich selber fotografiere. Es soll keinen Dresscode geben, weil alles, was du anhast, ein Statement ist.
Machen Sie sich Gedanken, wie Ihr Penis auf Ihren Fotos aussieht?
Nee, überhaupt nicht. Mein Penis ist ein blinder Fleck für mich, er ist nicht auf meinem Radar. Wir hatten daheim eine kleine Sauna und einen Mini-Pool für 2000 Mark, und nebenan war der Wald. Ich bin immer nackt rumgezappelt. Das war für mich normal.
Zu Ihren bekanntesten Arbeiten zählt eine Fotoserie, die Sie mit der Schauspielerin Charlotte Rampling zeigt. Wie haben Sie sich kennengelernt?
1996 sollte ich sie für das Magazin der französischen Zeitung Libération fotografieren. Ich war mordsnervös, weil ein Traum von mir in Erfüllung ging. Charlotte Rampling, das war für mich Nachtportier und die berühmten Fotos von Helmut Newton. Sie war ein harter Knochen, es war überhaupt nicht lustig. Zur Begrüßung sagte sie: »Hallo. Sie haben zehn Minuten.« Ich dachte, fuck, das war’s. Aber dann war ich clever und sagte: »Wenn Sie zehn Minuten haben, nehmen Sie sich fünf Minuten und schauen mein Fotobuch an. In den verbleibenden fünf Minuten machen wir dann die Fotos.« Als sie das Buch zuschlug, sagte sie: »Nehmen Sie sich so viel von meiner Zeit, wie Sie brauchen.« Später haben wir uns auf der Beerdigung einer gemeinsamen Freundin wiedergesehen. Sie erzählte, ihre Schwester habe sich umgebracht, und dann habe ich halt gesagt, dass sich mein Vater auch umgebracht hat. So entstand eine Intimität zwischen uns.
Ihre Fotos entstanden in einer Suite des Pariser Luxushotels »Crillon«. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, nackt mit Rampling zu posieren?
Ich wollte Selbstporträts mit ihr machen für eine Kampagne von Marc Jacobs. Bei der Anprobe stellte sich heraus, dass ich viel zu dick war, um in die Klamotten von Marc zu passen. Deshalb stand ich nur in Shorts da. Als Charlotte fragte, was wir denn jetzt machen würden, sagte ich: »Ich könnte dich ja küssen und ein bisschen an deinen Brüsten rumfummeln.« Dann war totale Stille. Ich fing zu schwitzen an und dachte, Jesus Christus, das ist ja wohl das Blödeste, was du jemals zu einer Frau gesagt hast. Nach einer gefühlten Ewigkeit zündete sie sich ein Zigarillo an und sagte: »Gut, fangen wir an.« Ich bin dann erst mal aufs Klo gegangen. Und dann haben wir uns geküsst.
Was ließ Rampling Ja sagen?
Ich wollte halt unbedingt wissen, wie sie nackt aussieht, und dieses Naive und Unverstellte von mir hat ihr wohl gefallen. Ich bin dann ein halbes Jahr lang an den Wochenenden immer wieder zu ihr nach Paris geflogen. Ich wollte die Beziehung von einem Paar mit zwanzig Jahren Altersunterschied erkunden.
Ein Foto zeigt Rampling im Abendkleid am Flügel. Sie liegen nackt auf dem Flügel und strecken dem Betrachter Ihre gespreizten Pobacken entgegen. Wie kam es zu dieser Aufnahme?
Ich habe uns immer mehr gepusht, weil ich etwas sehen wollte, was ich noch nie gesehen habe. Ein Flügel ist ein Symbol für Bildung und Kultur, und plötzlich hatte ich Lust, so ein Ding mit meinem nackten Arsch in Verbindung zu bringen. Ich hatte jahrelang Ehrfurcht vor reichen Leuten, und auf einmal war ich in einer der teuersten Suiten eines Prunkhotels. Ich dachte, jetzt mach auch was draus. Jeder Mann beneidet dich darum, die Nacht mit der begehrenswerten Charlotte Rampling zu verbringen. Das gab mir das Gefühl von Macht und Befriedigung, aber gleichzeitig wollte ich mich zum Clown machen.
Ein anderes Nacktfoto aus der Serie zeigt Sie kaviarbeschmiert mit Rampling zu Ihren Füßen.
Ich dachte, wie ist denn das bei den reichen Leuten? Also rief ich den Roomservice an und bestellte Kaviar. Die Portion, die gebracht wurde, fand ich viel zu mickrig. Charlotte wusste natürlich, wo es in Paris Kaviar zu kaufen gibt. Ich marschierte los und kaufte für 1250 Euro Kaviar. Es war ein aufregendes Gefühl, das Zeug mit der Hand auf Bauch und Schenkeln zu verschmieren. In solchen Augenblicken ist die Kamera für mich wie der Schild eines Ritters. Ihr Schutz erlaubt einem Abenteuer, die man sich ohne sie nicht trauen würde. Sie ist die perfekte Entschuldigung, Dinge zu tun, die eigentlich nicht erlaubt sind. Man hat eine Kraft in sich, die man auf den anderen überträgt.
Mussten Sie Rampling die fertigen Fotos zum Autorisieren vorlegen?
Nein. Es gibt extrem wenig Leute, die auf Freigabe verzichten, aber ich frage ja auch nicht jeden Depp, solche Fotos zu machen. Es gibt natürlich Bilder, auf denen Charlotte unvorteilhaft ausschaut, aber die habe ich aussortiert. Ich kann ein Doppelkinn haben, sie niemals. Sie hat Charlotte Rampling zu sein.
Wer hat bei den Fotos auf den Auslöser gedrückt?
Meine Frau. Es war wichtig, dass sie dabei war. So standen wir auf sicherem Boden. Durch ihre Anwesenheit sind wir weiter gegangen, als wir es zu zweit gemacht hätten.
2009 haben Sie die damals 68-jährige Modedesignerin Vivienne Westwood nackt fotografiert. Wie haben Sie das hingekriegt?
Ich kenne Vivienne seit zwanzig Jahren und habe ihr immer von ihrer milchweißen Haut vorgeschwärmt. Als ich sagte, dass ich sie gern nackt fotografieren würde, antwortete sie: »Nacktaufnahmen? Darüber habe ich noch nie nachgedacht.« Nachdem sie Ja gesagt hatte, lud sie meine Frau, meinen Sohn und mich zu einem frühen Sonntagsdinner in ihr Haus ein. Mitten beim Essen fragte sie: »Machen wir jetzt eigentlich diese Fotos oder nicht?« Ich war mordsnervös und hätte lieber noch weitergegessen, aber sie ging zur Couch und zog sich aus.
Zur Pointe der Fotos gehört, dass das Orange der Sofakissen perfekt mit dem Orange von Westwoods Schamhaar korrespondiert. Haben Sie die Kissen anfertigen lassen?
Nein, die Kissen lagen da. Ich brauchte sie nur ein bisschen hin und her zu schieben. Das war höhere Fügung.
Zu Ihren doppelbödigsten Bildern gehört das Foto einer überdimensionalen Marc-Jacobs-Einkaufstüte, aus der die Beine einer Frau ragen, als würde sie auf einem Gynäkologenstuhl sitzen. Unter dem Bild der Frau ohne Gesicht steht: »Victoria Beckham photographed by Juergen Teller«.
Victoria ist eine sehr clevere Frau, ich bin mir aber nicht sicher, ob sie den tieferen Sinn des Fotos so ganz verstanden hat. Ihr Kalkül war, wenn ich mich auf dieses Spaßfoto einlasse, werde ich in der Modewelt endlich ernstgenommen. Ich verschaffe mir eine neues Image, indem ich beweise, dass ich mich über mich selbst lustig machen kann.
Jacobs und Sie galten lange als Traumpaarung. Jetzt wurde die Zusammenarbeit Knall auf Fall beendet. Warum?
Mit Charme kann man mich leicht rumkriegen, aber sobald jemand autoritär wird, blockiere ich. Statt wie bisher gemeinsam über Ideen zu diskutieren, hielt mir Marc plötzlich einen Revolver an den Kopf. Ich bekam von ihm eine SMS, dass ich dann und dann Miley Cyrus für die neue Kampagne zu fotografieren hätte. Miley Cyrus? Fuck, warum sollte ich die fotografieren wollen? Meine Tochter hat mir dazu gratuliert, dass ich Nein gesagt habe.
Wo endet Ihre Freiheit, wenn Sie für Modekonzerne fotografieren?
Deine Freiheit stirbt in der Sekunde, in der du einen kommerziellen Job annimmst. Ich habe gerade für Louis Vuitton gearbeitet. Mein Lieblingsbild zeigte das Model von hinten. Es hieß, sorry, aber es ist unmöglich, dieses Bild zu verwenden. Chinesen empfinden es als respektlos, eine Frau von hinten abzubilden, und Monsieur Arnault, der Eigentümer von Louis Vuitton, mag so etwas auch nicht. Da habe ich gedacht, spinne ich jetzt? Bist du etwa der Einzige, der es ab und zu großartig findet, Frauen von hinten zu vögeln?
Was war die seltsamste Situation, in die Sie Ihr Beruf gebracht hat?
Ich habe mal für Details O.J. Simpson in einem Hotel in Florida fotografiert. Er sagte, ich solle mir ein paar Mädchen aufs Zimmer bestellen, denn er habe noch ein, zwei Stunden zu tun. Dabei zeigte er auf eine blonde Frau, die sehr deutsch aussah. Als ich die ersten Fotos gemacht hatte, fragte er aus heiterem Himmel: »Juergen, was glaubst du, wer hat meine Frau umgebracht?« Ich kriegte Panik und sagte, keine Ahnung, ich war nicht dabei. Er brach in höllisches Gelächter aus und sagte: »Nur Gott kennt den Täter.«
Zur Kernidee von Mode gehört, jemanden für out zu erklären. Fürchten Sie den Tag, an dem es heißt: »Juergen Teller? Nicht der schon wieder!«
Nein. Ich steuere meine Arbeit so, dass ich nicht zum Sklaven der Mode-Industrie werde. Deshalb kann es mir fucking egal sein, ob mich jemand für out erklärt. Als ich Vater wurde, fing ich an, Kinder zu fotografieren. Dann habe ich ein Buch über das Essen im Hotel »Il Peliccano« in der Toskana gemacht. Für ein anderes Buch bin ich ein Jahr lang über das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg gekrochen. Jetzt hat mich die Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg für fünf Jahre als Gastprofessor akzeptiert.
Ihre Lehrtätigkeit haben Sie mit einem Seniorensatz begründet: »Das hält mich jung.«
Ich will mich selbst überraschen, und der Enthusiasmus und die Naivität der Studenten tun mir gut. Es erinnert mich daran, wie ich früher war, und regeneriert mich. Ich füttere die Studenten, und sie füttern mich.
Warum gerade Nürnberg?
Ich hatte Angebote aus Yale, Paris und London, aber das hat mich nicht interessiert. Ich mag es, dass viele meiner Studenten aus Niederbayern kommen und mit schwerem Akzent sprechen. Außerdem wird meine Mutter auch nicht jünger, und man hat ein bestimmtes Heimweh.
Es gibt zwei Fotos, auf denen Sie vor Glück strahlen. Das eine zeigt Sie in einer Kneipe beim Finalspiel der deutschen Mannschaft bei der letzten Fußball-WM, auf dem anderen legt Ihnen Pelé den Arm um die Schulter.
Beides hat eben mit Fußball zu tun. Pelé war mein Ersatzvater. Außerdem hat er meine Frau überzeugt, meine Frau zu werden. Nachdem wir uns ein paar Mal verabredet hatten, sagte Sadie, wir sollten das mit uns besser bleiben lassen, ein herumreisender Fotograf mit Kind und eine herumreisende Galeristin, das werde nichts. Ich fand das voll Scheiße, aber du kannst einer Frau ja nicht hinterherkriechen, da machst du dich zum Depp. Zwei Monate später habe ich Pelé fotografiert und ihn gebeten, Sadie anzurufen und ihr viel Glück zu wünschen für das Spiel von Arsenal London. Sadie ist nicht so ein Fußballfan wie ich oder mein Sohn, aber sie geht öfter mit Freunden zu Arsenal ins Stadium. Pelé hat dann zwanzig Minuten lang sehr galant mit ihr gesprochen und gesagt, dass er mich für einen netten Typen hält. Sadie dachte, sie trifft der Schlag, als sie begriff, mit wem sie sprach. Sie war so geschmeichelt, dass sie mich anrief. Wir haben dann das nächste Wochenende gemeinsam verbracht. Als ich sie sechs Wochen später fragte, ob sie mich heiratet, sagte sie Ja.
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Juergen Teller Fotograf
Aufgewachsen ist Teller in Bubenreuth bei Erlangen. Seine Bilder der Band Nirvana machten den damals 29-Jährigen international bekannt. Heute ist er 51 und zählt zu den berühmtesten Fotografen der Welt. Er ist verheiratet mit der Londoner Galeristin Sadie Coles.
Fotos: Juergen Teller