Die Mutter aller Schlachten

Als im Internet Nacktbilder ihrer Tochter auftauchten, glaubte Charlotte Laws erst an einen Irrtum. Dann sagte sie dem Betreiber der Seite den Kampf an.

Steht da wie eine Mauer: Charlotte Laws verteidigte ihre Tochter gegen einen Kerl, den ein Magazin den »meistgehassten Mann im Internet« nannte.

Am zehnten Januar 2012 hört Charlotte Laws am Telefon den Satz, vor dem alle Eltern Angst haben: »Mama, es ist etwas Schreckliches passiert«, sagt ihre Tochter Kayla. Dann bricht sie in Tränen aus. Jemand hatte ihren Computer gehackt, private Bilder gestohlen und im Internet veröffentlicht, samt ihrem Namen und ihrer Adresse. Vor allem ein Bild macht ihr Sorge: Darauf posiert sie oben ohne vor dem Spiegel.

Die Fotos hatte sie von sich selbst gemacht an einem langweiligen Nachmittag, niemand sollte sie zu sehen bekommen, nicht mal ihr Freund wusste davon. Was würde er dazu sagen, dass seine Freundin halbnackt im Internet zu sehen war – auf einer Seite, die mit 350 000 Besuchern pro Tag ein viel größeres Publikum erreicht als jede Zeitung in ihrer Heimatstadt Woodland Hills, einem Vorort von Los Angeles? Was würden ihre Kolleginnen in dem Restaurant sagen, in dem sie kellnert? Und was ihr Chef?

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Charlotte Laws antwortet: »Mach dir keine Sorgen, Schatz, das kriegen wir schon hin.« Charlotte Laws ist 53 Jahre alt, promovierte Sozialwissenschaftlerin, war lange in der Kommunalpolitik aktiv und hat als Moderatorin und Maklerin gearbeitet. Sie versteht etwas von Menschen. Von Computern versteht sie nicht besonders viel. Sie denkt: Jemand hat diese Bilder versehentlich hochgeladen. Eine nette Mail an den Seitenbetreiber, und das Problem ist aus der Welt. Heute sagt sie: »Ich hatte keine Ahnung, auf welchen Kampf ich mich da eingelassen habe.«

Das wurde ihr erst bewusst, als sie den Mann googelte, auf dessen Seite die Bilder ihrer Tochter gelandet waren: Hunter Moore, ein feierfreudiger 27-Jähriger mit Tattoos und Stoppelbart, den das Magazin Rolling Stone als »meistgehassten Mann im Internet« bezeichnet hat. Moore gilt als Mitbegründer eines besonders fiesen Trends im Internet, sogenannten »Revenge Porn«-Seiten, auf deutsch: Rachepornos. Die Idee: Frustrierte Ex-Freunde laden Nacktbilder ihrer ehemaligen Partnerinnen hoch und fordern dazu auf, die Frauen zu beleidigen. Unter den Bilder stehen dann Kommentare wie: »Was für ein fetter Wal!« Mindestens zwei Frauen haben sich schon das Leben genommen, weil sie die Demütigungen nicht mehr ertrugen. Rechtlich sind solche Webseiten eine Grauzone, zumindest in Amerika: Weil die Betreiber von Webseiten nicht für deren Inhalt verantwortlich sind, und die Behörden davon ausgehen, dass solche Nacktbilder freiwillig entstanden sind, kann ihre Verbreitung nicht so einfach verboten werden. Dass das Foto von Kayla Laws nie für die Öffentlichkeit bestimmt war, spielt keine Rolle. Denn es wirkt wie eines von Tausenden Selbstporträts von leicht bekleideten Menschen, die weltweit auf Handys und Computern gespeichert sind, entstanden in einem romantischen Moment, nach zu viel Alkohol, als Mutprobe oder Liebesbeweis.

Vor dem Anruf ihrer Tochter hatte Charlotte Laws noch nie von Rachepornos gehört. Danach sollte sie monatelang kaum über etwas anderes reden.

Ihr Mann weiß nicht, was die ganze Aufregung soll. Irgendwann werden die Bilder von allein verschwinden, glaubt er. Laws versteht zwar nicht viel von Computern, aber sie weiß, dass das Internet kaum etwas vergisst. Ist ein Bild einmal hochgeladen, ist es fast unmöglich, es wieder zu löschen.

Also hat sie beschlossen, den meistgehassten Mann des Internets auf ihre Art zu bekämpfen, mit den Mitteln einer Mutter: Geduld und Überredungskunst.
»Ich wollte mit vielen Menschen aus seinem Umfeld sprechen, um sie davon zu überzeugen, wie schlimm die Website für die Opfer ist«, sagt Laws, ihre Stimme klingt weich, aber bestimmt. So will sie Verbündete finden, mit denen sie Druck auf Moore ausüben kann. Erst sanft, dann immer stärker. Irgendwann würde er nachgeben und die Bilder von seiner Seite nehmen. Einen Namen für ihre Aktion hatte sie schon: Operation No Moore.

Charlotte Laws will einen Mann in die Knie zwingen, der aus seinem Image als Fiesling einen Job gemacht hat: Moore verdient mit seiner Seite pro Monat mehrere Tausend Euro durch Werbung und tritt als DJ auf, seine Partys haben das Motto »Pure Evil«, das pure Böse. Er stellt die Bittbriefe seiner Opfer regelmäßig online, um sie in ihrem Leid noch weiter zu verhöhnen. Als ihm eine junge Frau auflauert und aus Wut einen Kugelschreiber in die Schulter rammt, bloggt er darüber und macht so den Namen seiner Seite noch bekannter. Hunter Moore ist unsympathisch, aber er hat kapiert, wie man sich im Netz einen Namen macht. Mehr als 600 000 Menschen folgen ihm auf Twitter.

Laws geht den Kampf gegen Moore an, als würde sie eine Spendengala organisieren: Sie räumt ihren Schreibtisch auf, kauft sich ein paar Aktenordner, erstellt eine Liste mit Namen und ruft sie der Reihe nach an: die Firma, auf der Hunter Moores Seite gespeichert ist, seinen Anwalt, die Agentur, die seine Website programmiert hat. Sie alle hatten bisher nur mit Opfern zu tun gehabt, die verzweifelt waren, am Telefon heulen mussten und irgendwann aufgegeben hatten. Eine Frau wie Charlotte Laws war ihnen noch nie begegnet, die sachlich und klar erklären kann, welchen Schaden die Nacktbilder in ihrer Familie angerichtet haben: Ihre Tochter traut sich kaum noch aus dem Haus.

Demütigungen im Internet werden von Eltern gern kleingeredet, dabei ist das Problem sehr verbreitet: Laut einer Studie der Universität Landau sind etwa 20 Prozent aller jungen Internetnutzer schon einmal Opfer von digitalem Mobbing geworden, genaue Zahlen über Rachepornografie gibt es nicht. Doch es werden mehr, auch in Deutschland, warnt der Weiße Ring. Und die Opfer wagen sich nur selten an die Öffentlichkeit, denn sie leiden doppelt: zum einen durch das Gefühl, dass fremde Menschen intimste Bilder von ihnen sehen können. Zum anderen, weil ihnen auch von der eigenen Familie Vorwürfe gemacht werden: Wer so freizügige Fotos von sich schießt, braucht sich nicht zu wundern, wenn sie im Internet landen.

Diesen Spruch bekommt auch Kayla Laws zu hören. Allerdings nicht von ihrer Mutter, sondern von einer Beamtin der Polizei in Los Angeles, als sie dort Anzeige gegen Hunter Moore erstattet. Ihr Fall kommt zu den Akten. Also meldet sich Charlotte Laws beim FBI, hängt stundenlang in der Telefonwarteschleife und lässt sich nicht abwimmeln. Zu einem Beamten sagt sie: »Wenn Hollywoodstars wie Scarlett Johansson gehackt werden, ist sofort das FBI zur Stelle – aber normale Mädchen sind euch egal.« Irgendwann stehen dann doch zwei Ermittler bei den Laws vor der Tür. »Da war meine Akte über Rachepornos schon 300 Seiten stark«, sagt Laws. Die Polizisten machen ihr keine großen Hoffnungen. Um juristisch gegen Hunter Moore vorgehen zu können, braucht es genug Opfer, die bereit sind, gegen ihn auszusagen. Bisher haben die Frauen lieber geschwiegen, aus Angst vor noch mehr Demütigung. Aber Laws bringt sie zum Reden, mehr als 20 von ihnen: Die Frau aus streng islamischer Familie, die Angst hat, von ihren Eltern verstoßen zu werden. Die Lehrerin, die um ihren Job bangt. »Sie haben mir vertraut, weil ich die Mutter eines Opfers bin.« Ihre Operation No Moore kommt in Fahrt, aber das Nacktbild ihrer Tochter ist nach wie vor online.

Das FBI verspricht Ermittlungen, erste Zeitungen berichten über den Kampf der Mutter gegen das Ekel aus dem Internet. Sie schickt Briefe an mehr als 50 Politiker und freundet sich mit einem Facebook-Manager an – »so konnte ich mit nur einem Anruf dafür sorgen, dass Hunter Moores Profil dort immer wieder gesperrt wird«. Über einen Kontakt zum Internet-Bezahlsystem PayPal kann sie verhindern, dass Racheporno-Fans Geld an Hunter Moore spenden können. Der Druck nimmt zu.

Ein paar Monate später hat auch das FBI, mit Unterstützung von Charlotte Laws und inzwischen Hunderten Opfern, genug Beweise gegen Moore gesammelt. Ein Richter ordnet eine Hausdurchsuchung an. Dabei stellt sich heraus, dass Moore noch bei seinen Eltern lebt. Als er herausbekommt, dass Charlotte Laws die Hausdurchsuchung angezettelt hat, kündigt Moore in einem Interview an, dass er ihr am liebsten eine Kugel in den Kopf jagen würde. Laws montiert Sicherheitsschlösser an ihrer Haustür und lässt ihre beiden Terriermischlinge Sammy und Snowball nicht mehr in den Garten, aus Sorge, dass sie jemand vergiften könnte. Aber mit Operation No Moore macht sie weiter. »Ich war besessen«, sagt sie heute, »mein Leben hatte nur noch ein Ziel: diesem Typen das Handwerk zu legen.«

Charlotte Laws wird in die kalifornische Hauptstadt Sacramento eingeladen, um vor dem Kongress über Rachepornos zu sprechen. Ihre These: Wenn einer normalen kalifornischen Mutter so etwas passiert, dann sind auch die Kinder der Politiker nicht mehr sicher. Das wirkt: Erste Politiker erkennen das Thema und versprechen eine Gesetzesänderung, um Rachepornos zu verbieten

Im Dezember 2012 klingelt ihr Telefon. Ein Mann, der sich als Jack vorstellt, bietet seine Hilfe an. Er sei Mitglied der Online-Aktivisten Anonymous, einem losen Verband aus Hackern, die für spektakuläre Angriffe auf Websites von Diktatoren berühmt sind. Charlotte Laws hatte noch nie von ihnen gehört. »Aber mein Gefühl sagte mir: Die wollen mir nichts tun, die wollen mir helfen.« Sie erzähle Jack alles, was sie über Hunter Moore und seine Seite wusste. Ein paar Tage später ist Moores Homepage nicht mehr erreichbar, die Seite gehackt, alle Bilder offline.

Der Angriff kam zu einem perfekten Zeitpunkt, denn Moore war angezählt. Gegen ihn liefen mehrere Gerichtsverfahren, da einige Opfer nachweisen konnten, dass ihre Bilder von Hackern gestohlen waren. Damit war die These unhaltbar, dass die Frauen die Bilder freiwillig hochgeladen haben könnten. Seine Seite ging nie mehr ins Netz.

Ende Januar diesen Jahres wurde er festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft – ihm wird vorgeworfen, einem Hacker namens Charles Evens Hunderte gestohlene Nacktbilder abgekauft zu haben, darunter auch das Foto von Kayla Laws. Wenige Monate zuvor hatte der Staat Kalifornien ein Gesetz verabschiedet, das Rachepornoseiten verbietet und Täter wie Moore für bis zu fünf Jahre ins Gefängnis bringen kann. Bei Charlotte Laws haben sich Dutzende Opfer für ihr Engagement bedankt.

»Ich hatte Glück, viele Leute haben mir geholfen«, sagt sie und lacht. »Dabei habe ich meinen größten Trumpf gar nicht ausgespielt.« Sie hatte sich die Nummer von Hunter Moores Mutter Jeanette besorgt. »Wenn ihn das FBI oder Anonymous nicht dazu gebracht hätten, seine Seite aus dem Netz zu nehmen, hätte ich seine Mama angerufen.« Sie ist sich sicher: So ein Gespräch von Frau zu Frau hätte Hunter Moore, das meistgehasste Muttersöhnchen des Internets, zur Vernunft gebracht.

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Marina Weisband: »Ich bewundere Charlotte Laws - weil Sie gezeigt hat, dass man kein Computerprofi sein muss, um sich gegen Attacken aus dem Netz zu wehren.«
(Foto: dpa)

Foto: Graham Walzer