Er hieß Mirko und er war Kroate, glaube ich. Er sprach nicht viel, und was er sagte, verstand ich meistens nicht. Er hatte schwarze Augen und eine Zahnlücke, er trug Jeans mit Löchern, und wenn ihm seine braunen Haare in die Stirn fielen, schnickte er sie mit einer beiläufigen Kopfbewegung nach hinten. Wir saßen gemeinsam auf Bäumen herum, das Armband aus bunten Glasperlen, das er mir geschenkt hatte, trug ich Tag und Nacht.
Mirko war die coolste Sau im Kindergarten. Als er holterdiepolter nach Stuttgart zog, weinte ich so sehr, dass mein Vater fragte: »Was soll das werden? Ein neuer Ozean?« Der Uli von gegenüber versuchte mich zu trösten. Er brachte mir seine Playmobil-
figuren vorbei und räumte mein Zimmer auf. Das war wirklich nett von ihm. Es ging mir auch bald besser, aber vor dem Schlafengehen vergoss ich immer wieder ein paar Tränen, weil ich Mirko nicht vergessen konnte. Damals ahnte ich noch nicht, dass es immer so weitergehen würde.
Ich bin überzeugt davon, dass man die Männer im Leben einer Frau in zwei Gruppen einteilen kann: Es gibt die Ulis und es gibt die Mirkos. Ein Uli ist einer, den man direkt seinen Eltern vorstellen kann. Das ist überhaupt kein Problem, denn so ein Uli spricht in ganzen Sätzen, ist freundlich und bringt Blumen mit. Einen Mirko hingegen kann man nicht einschätzen. An einem Tag schenkt er dir noch Glitzerkram, am nächsten hat er deinen Namen vergessen. Er spricht nie in ganzen Sätzen, er sagt nicht mal »Guten Tag«. Dafür sagt er aber »Hör mal« (meint: Liebling) und »Pussy« (meint: Frau) und »hä?« (meint: wie bitte?). Und wenn ihm danach ist, fasst er deiner Mutter an die Brüste.
Die Einteilung in Ulis und Mirkos ist keine Wertung. Ein Uli ist nicht schlecht. Jede Frau sollte ein paar Ulis in ihrer Biografie haben. Von einem Uli lernt man, dass Männer zuverlässig sein können, dass Frauen respektvolle Behandlung verdienen und dass man sich im Auto anschnallen sollte. Einen Uli kann man sogar heiraten, wenn man will. Vor allem, wenn man einfach gern seine Ruhe und ein schönes Haus hat und wenn man bereit ist, zügig auf jegliche Leidenschaft zu verzichten – es sei denn, es geht um eine gute Schule für die Kinder. Selbstverständlich findet es ein Uli auch super, wenn seine Frau einem Beruf nachgeht, der ihr dabei hilft, sich selbst zu verwirklichen.
Dem Mirko ist es egal, ob eine Frau arbeitet. Er hält nicht viel von Arbeit. Er will die Frau auch nicht heiraten. Er will nur mit ihr schlafen. Er will mit allen Frauen schlafen. Das ist nicht schlimm, denn jede Frau sollte sich zumindest einmal in ihrem Leben einem Mirko hingeben. Um zu begreifen, wozu er fähig ist, wie das Prinzip Mann funktioniert, und um einmal zu schauen, wie es auf der wilden Seite aussieht. Das ist es, was den Reiz der Mirko-Typen ausmacht, das ist ihr Geheimnis. Sie sind das Andere, sie sind all das, was Frauen nicht sind: erobernd, aus einem porösen Holz geschnitzt, immer ein bisschen Porno, bis oben hin voll mit Testosteron. Und wenn sie einen Stein sehen, müssen sie ihn treten. Ein Mirko ist unverdünnt männlich, wunderbar schlecht erzogen und kein bisschen domestiziert. Er ist archaisch, animalisch, von der Zivilisation unangetastet, eher eine Laune der Natur als ein durchdachtes Konzept.
Man muss sich den vielleicht vorstellen wie ein Bier, das das Prädikat Urtyp trägt: harzig, holzig, rau, krass gebraut. Und wenn man zu viel davon erwischt, wird einem schlecht. So ein Mirko ist für jede Frau eine schöne Möglichkeit, sich grenzenlos weiblich zu fühlen, eine Art sexuelle Identitätstablette, aber man muss mit der Dosierung aufpassen, denn ein Mirko macht abhängig. Und leider steht er nicht
brav im Giftschrank rum, er will raus auf den Asphalt, er entzieht sich dem Zugriff.
Er ist ein räudiger Köter, sein Zuhause ist die Straße. Nur dort fühlt er sich wohl, nur dort kann er seiner Kunst nachgehen: breitbeinig flanieren wie ein Gangster, Furchen ins Gesicht bauen, verschlissene Anzüge oder enge Jeans und Lederjacken tragen, verknitterte Stiefel klacken lassen, Verführung ausdünsten. Und, ja, das ist eine Kunst. Ein richtig guter Straßenköter sein, einer, den die Frauen begehren und nicht belächeln. Doch trotzdem wandert er immer auf einem sehr schmalen Grat zwischen Verehrung und Verachtung, zwischen geilem Typ und peinlichem Hanswurst. Und meistens bezahlt er für seine Kunst mit einem schlimmen Ende. Mit einer einsamen, unverstandenen Raucherlunge und dem merkwürdigen Geruch eines alten Baumes.
In meinem Leben gab es jede Menge Straßenköter. Diese Mirkos, die immer wieder verhindert haben, dass ich mit einem Uli glücklich werde. Um nur die wichtigsten zu nennen, hier eine kleine, unfeine Liste:
Als ich 15 Jahre alt war, trieb sich für ein paar Monate ein Punk aus Berlin an unserem Kleinstadtbahnhof herum. Er hatte Ketten an den Hosen, schlechte Zähne im Mund, und ich lernte, dass es auch noch andere Jungs gab als die vom Gymnasium, ich war begeistert.
Mit 17 verbrachte ich drei Wochen an der Côte d’Azur, im Hauszelt eines hübschen französischen Gigolos, der auf Urlaubsbildern durchaus vorzeigbar, in echt aber eine Gefahr für die Gesellschaft war, denn er hatte neben mir noch drei andere Mädchen und benutzte seinen dreckigen alten Käfer bevorzugt dafür, Drogen zwischen Cannes und St.-Tropez hin- und herzukarren.
Nach dem Abitur arbeitete ich als Thekenkraft. Der Stammgast an meinem Tresen war gut zehn Jahre zu alt für mich und ließ sich in einer Werbeagentur ausbeuten. Er trug Trenchcoat, eine pomadige Frisur, aufdringliches Rasierwasser und hatte eine Stimme wie Lee Hazlewood. Er hätte dringend Sport treiben sollen, nahm aber lieber Espresso und Cognac in einer Endlosschleife zu sich. Wenn ich Feierabend hatte, schlossen wir die Bar ab, er nannte mich »Baby«, und meine Eltern wunderten sich, dass ich immer erst in den Morgenstunden nach Hause kam. Mir ist erst Jahre später aufgefallen, wie gern ich diesen Kaputtnik hatte.
Genau, auch das kann passieren: aufrichtige Zuneigung. Denn Straßenköter sind ja nicht nur Abenteurer, Piraten und Dreckschleudern. Manchmal sind sie einfach nur ewige Jungs, aber auch hier wieder unverdünnt männlich – dann haben sie etwas irre Zartes an sich, etwas zutiefst Menschliches. Wenn sie einem Ball hinterherlächeln, wenn sie in ihrem Bierglas nach der Wahrheit suchen, wenn sie gerade aufwachen. Dann kann man in ihren Augen ihre Seele sehen, ihre Ängste und ihre Hoffnungen. Und das ist, was Männeraugen und ihre Durchsichtigkeit angeht, ein kleines Wunder, das die Straßenköter natürlich nur noch gefährlicher macht. Denn auf so etwas reagieren wir nicht nur mit Appetit, sondern auch noch mit Herzflimmern, Rührung und Muttergefühlen, kurz: unserem ganzen Programm. Nachdem ich das erkannt hatte, schwor ich mir, nie wieder einem Mirko zu verfallen.
Kurz nach meinem 30. Geburtstag genehmigte ich mir doch noch mal einen, aus rein sportlichen Gründen natürlich. Einen Zweitliga-Fußballer aus dem Osten. Er war gerade mal so groß wie ich, dafür aber fünf Jahre jünger, er hatte diesen schwierigen Akzent und trug Miami Vice-Sonnenbrillen und Lederschuhe ohne Socken. Da schüttelten dann sogar meine Freundinnen den Kopf:
»Was willst du denn von dem?« –
»Ihr hättet dabei sein müssen!«, rief ich.
»Wobei?«, fragten sie.
Bei seinen unstoppbaren Dribblings von der Mittellinie, dachte ich, bei seinen unter die Latte gezimmerten Toren, bei unseren nächtlichen Spaziergängen durchs Industriegebiet, beim Flaschenbier an der Bushaltestelle. Und seine Art, mich anzusehen – verboten war das. Von einem auf den anderen Tag unterschrieb er bei einem neuen Verein und verschwand aus meinem Leben.
Ich wette, das ist alles nichts Besonderes. Das ist eine völlig normale Folge von gescheiterten Versuchen, mit windigen Typen glücklich zu werden. Jede x-beliebige Frau auf der Straße hat wahrscheinlich zumindest eine ähnliche Geschichte erlebt. Frauen sind so. Taucht irgendwo ein Mirko auf, drehen sie durch und legen sich hin. Das kann man auch sehr schön in Funk und Fernsehen beobachten.
Aktuell: Pete Doherty (ein wirklich hässliches, aber auch lupenreines Exemplar, und man fragt sich langsam wirklich, ob Kate Moss den Schuss noch gehört hat). Hollywood Hall of Fame: Richard Burton (über sein prominentestes Opfer Liz Taylor soll er auf dem Sterbebett gesagt haben: »Ich wünschte, die fette Schlampe wäre hier«, und sie liebte ihn und liebte ihn und liebte ihn). Deutschland: Gerhard Schröder (eine spezielle Unterart, ein Mirko im Uli-Kostüm, ein Brioni-Anzug tragender Asphalttiger, der mit den Russen dealt, nachts am Kanzleramt rüttelt, manchmal den Rüpel rausholt und ordentlich Schlag bei den Ladys hat). Und die Damenkapelle: kreischt.
Ich habe allerdings die Hoffnung, dass sich diese Mirko-Faszination bei Frauen mit der Zeit legt. Mit dem Alter und mit der Bequemlichkeit.
Ich zum Beispiel interessiere mich jetzt wirklich nicht mehr für Mirkos. Ich behaupte: Ich bin drüber weg. Ich lebe mit einem Mann, der einen anständigen Beruf ausübt, der mir im Bett aus der Zeitung vorliest, der einen guten Satz Anzüge im Schrank hat und ein paar Krawatten.
Gut, er rasiert sich nur einmal die Woche, aber das finde ich super. Okay, seine Krawatten trägt er eher nicht so häufig, und wenn, dann nur widerwillig. Sonst noch was? Zigaretten, Bier, Fußball? Ohne Filter, aus der Flasche, SSC Neapel. Na ja. Aber als ich ihn meinen Eltern vorgestellt habe, lief das prächtig: Mein Vater und er haben erst mal dem Mercedes unter die Motorhaube geschaut, und meiner Mutter gefiel er so gut, dass sie sich haltlos betrank und sagte, den könne ich ihr auch mal allein vorbeischicken. Verdammt.
Sie: Kleid von Strenesse, gesehen bei Ludwig Beck; Tasche und Schuhe von Salvatore Ferragamo; Schmuck von Noble Necklaces; Brille von Dior.
Er: Hemd von Konen; Jeans und Gürtel privat; Schuhe von Boss, gesehen bei Bartu; Brille von Ray-Ban.
Styling: Marion Kistler-Iadil c/o LOOX; Haare/Make-up: Uli Wissel c/o LOOX; Casting: Brigitta Hughes.