So richtig irritiert schaut heute niemand mehr, wenn Caitlyn Jenner sich mit dunkler Mähne und knappem Kleidchen für Vanity Fair fotografieren lässt. Ehemals Bruce, jetzt eben Caitlyn - ist doch keine große Sache, oder? Denn so inszeniert die Geschichte vom Zehnkämpfer, der zur Schönheitsikone wurde, manchmal auch wirken mag, Jenners quasi öffentliche Geschlechtsumwandlung 2014 markierte einen gesellschaftlichen Trend: Die Transsexualität rückt immer stärker ins Alltagsbewusstsein. Nicht umsonst wurde Eddie Redmanye im Frühjahr für seine Rolle in »The Danish Girl« für einen Oscar nominiert und große Modelabels werben mit transsexuellen Laufsteg-Models, die Geschlechtergrenzen verwischen.
Früher war das völlig anders. Wer damals das Gefühl hatte, im falschen Körper geboren worden zu sein, steckte dort erst einmal fest. In einer Zeit, in der Homosexualität noch per Elektroschock-Therapie »behandelt« wurde, galten Geschlechtsumwandlungen als medizinische Absurdität. Und die Vorstellung, dass ein Mann sein Mann-Sein loswerden, gar wegoperieren wollte, so oder so als unvorstellbar.
April Ashley jedoch konnte es nie ertragen, das Mann-Sein. Schon als Dreijähriger saß das spätere Fotomodel abends auf dem Fußboden und betete, am nächsten Tag doch bitte als Mädchen wieder aufzuwachen. Vergebens. Und da der liebe Gott sich nicht rührte, ließ Ashley, geboren als George Jamieson, schließlich den Pionierarzt Georges Burou ans Werk. Hinter den Kulissen des Travestie-Theaters »Le Carrousel« in Paris, in dem Ashley arbeitete, hatte sie nämlich das Gerücht aufgeschnappt, es gebe da einen Arzt, der Transsexuellen entgegen der konservativen medizinischen Praxis eine Geschlechtsumwandlung ermögliche. Das Gerücht stimmte: »Komm heute Abend wieder, wir operieren morgen früh«, sagte Burou, als das Model ihn im Mai 1960 in seiner Geburtsklinik in Casabalnca aufsuchte. Kurz vor dem Einsetzen der Narkose verabschiedete sich der Arzt dann stilsicher mit »Au revoir, Monsieur".
In unserem Interview erzählt April Ashley von den Auf- und Abstiegen, die sie nach ihrer Geschlechtsumwandlung in der Londoner Künstlerszene erlebte. Endlich auch anatomisch eine Frau, schwamm sie als geheimnisvolle Muse von Picasso und erklärtes Schmachtobjekt von Elvis Presley zunächst auf der Erfolgswelle - bis die Vorbehalte der Gesellschaft sie in die abseitigen Absteigen der nächtlichen Parallelwelt verbannten. Denn wenngleich die »fookin' duchess« ein gern gesehener Gast auf Society-Events war, einstellen wollte sie niemand mehr. So wurde aus dem Model eine Kämpferin für die Rechte der Transsexuellen – und ihr Kampf führte sie schließlich bis vor das britische Parlament.
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Foto: Bulls Press