Alles eierlei

Denis Walecki sammelt seit 23 Jahren die Figuren aus den Überraschungseiern; Zehntausende hortet er bereits in Keller und Garage. Beim Eierschütteln im Supermarkt trifft man ihn trotzdem nie. Denn Überraschungen kann er als Sammler gar nicht gebrauchen.

SZ-Magazin: Herr Walecki, erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Überraschungsei?
Denis Walecki: An das erste nicht, da war ich ein Kind. Aber ich erinnere mich an die Figur, die bei mir die Sammelleidenschaft ausgelöst hat. Mit etwa zwanzig besuchte ich einen Flohmarkt in Bremen und sah eine Goofy-Figur auf einem der Flohmarkttische. Mensch, dachte ich, den kenne ich doch aus meiner Kindheit, aus dem Überraschungsei! Ich habe den Goofy gekauft, und es war um mich geschehen: Seitdem sammle ich – seit über 23 Jahren.

Wie viele Überraschungsei-Figuren besitzen Sie?
Schwer zu sagen, weil meine Frau und ich seit etwa zehn Jahren auch mit den Figuren handeln: Das heißt, wir kaufen von Händlern, die die Figuren auf Flohmärkten und aus Kellern einkaufen, und verkaufen sie weiter an Sammler und auf Börsen, meis-tens als komplette Sätze. Wir haben alle wichtigen Sätze parat von den etwa 200,
die es bislang gibt. Ein Zimmer und unsere Garage sind voll damit, Regale vom Boden bis zur Decke, ich schätze: 50 000 Überraschungsei-Artikel. Meine eigene Sammlung umfasst dagegen nur etwa 500 Figuren – aber mir geht es bei meiner Sammlung auch nicht um Masse, sondern um Spaß und Qualität.

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Das bedeutet?
Ich sammele sehr seltene Figuren. Davon gibt es zwei Kategorien. Erstens: Figuren mit Zubehör, das über die Jahre bei den Menschen in Kisten und Kellern verloren gehen kann. Der »Eierlauf-Schlumpf« von 1983 ist ein gutes Beispiel: Er hat einen Löffel in der Hand und balanciert darauf ein Ei – beide winzig. Löffel und Ei verliert man schnell. Alle drei Teile im Original zu finden ist selten.

Aber Sie haben einen?
Ich habe zwei.

Respekt. Wie viel ist einer wert?
Die Preise werden wie bei jedem Sammelgebiet von der Nachfrage bestimmt: Derzeit könnte man einen für 600 Euro verkaufen.

Und die zweite Kategorie seltener Figuren?
Figuren mit Fehlern. »Ferdi Fallobst« aus der Jahreszeitenzwerge-Serie von 1994 zum Beispiel. Ferrero stellte damals eine Serie Zwerge her, die im Winter einen Schneemann bauen, im Frühjahr Blumen pflanzen und im Sommer am Strand liegen. Nun muss ein Zwerg, der im Sommer auf der Strandliege döst, natürlich eine andere Hautfarbe haben als der, der im Herbst das Fallobst einsammelt. Also hat Ferrero die Sommeredition der Zwerge in einem dunkleren Braunton aus Plastik gegossen. Es muss wohl ein bisschen braunes Plastik übrig geblieben sein, denn es tauchten in der Herbstserie der Zwerge einige wenige Figuren auch mit dunklen, sonnengebräunten Gesichtern auf. Vielleicht wollte Ferrero das übrig gebliebene dunkle Material nicht wegwerfen. Alle anderen Herbstzwerge hatten helle Gesichter, nur ein paar wenige »Ferdi Fallobst« kamen dunkel aus dem Ei.

Wie viele kursieren unter Sammlern?
Wir wissen von zehn.

Zehn? Dann ist die Figur ja seltener als die »Blaue Mauritius«-Briefmarke, hinter der alle Philatelisten der Welt her sind!
Richtig. Von der Briefmarke gibt es zwölf. Ich darf mich glücklich schätzen, einen der zehn zu besitzen.

Wie wertvoll ist er?
Ich könnte ihn für 2000 Euro verkaufen – er ist derzeit eine der wertvollsten Figuren.

Man täte also gut daran, mal in seinen Keller zu schauen, ob da nicht noch irgendwo ein dunkler »Ferdi Fallobst« rumliegt?
Richtig. Jetzt hat Sie das Fieber auch schon ergriffen. Obwohl es den meisten Sammlern nicht ums Geld geht. So denken nur »Kapitalsammler«, wie wir sie nennen.

Um was geht es Ihnen?
Sammeln bedeutet auch: Jagen! Das heißt, die einzelnen Serien vollständig zu bekommen. Oder eben: alle Fehler einer Figur zu bekommen. Zum Beispiel die »Springseil-Schlumpfine«: Sie hat nicht nur ein Springseil, das man leicht verliert. Es gibt sie auch mit verschiedenen Fehlern: ohne gelbe Schuhe, ohne rote Zunge, ohne weiße Augen, mit falsch bemalten Socken. Meistens sind die Figuren mit Fehlern auch die eher älteren Figuren, weil die Massenproduktion mit der Zeit immer besser wurde. Das macht die Suche schwierig.

Warum üben gerade diese Spielzeug-Figuren so eine Faszination auf Erwachsene auf?
Weil sich jede Epoche jeder Kindheit in Deutschland in den Figuren wiederspiegelt: Der Blick ins Ei ist auch ein Blick in die deutsche Geschichte: Erst kamen die Soldatenfiguren, als die Großväter oder Väter wohl noch mit Zinnsoldaten gespielt haben. Dann die »Chinesen aus dem Ei«-Figuren, ein Blick in die Ferne. Es folgten Micky Maus, Pinocchio, Robin Hood, Dschungelbuch, Bernhard und Bianca, Pumuckl, Asterix und Obelix – alle Helden, die Kinder aller Jahrzehnte kennengelernt haben.

Irgendwann fing Ferrero auch an, den Alltag der Deutschen mit den Figuren ironisch zu brechen: So sollen die ersten »Happy Hippos« eine Parodie auf den Aerobicwahn der späten Achtzigerjahre gewesen sein. Stimmt das?
Ja. Die Figuren spiegeln bis heute das wider, was uns bewegt: Gerade gab
es die »Happy Hippo«-Serie »Talent Show« mit Figuren wie »Goldie Goldkehlchen«, »Louis Luftgitarre«, »Ronny Rhythmus« und einem Dieter-Bohlen-Verschnitt: »Max M. Macher«. Ferrero greift auch Sportereignisse auf, wie die »Olympiade der Schlümpfe« 1983/84 oder die Fußball-Weltmeisterschaften. Überhaupt wurden die Figuren mit der Zeit immer witziger, frecher, auch das gefällt Erwachsenen: Die Star Wars-Figuren kommen mit so lustigen Namen wie »Luke Eiwalker«, »Aubacca« oder »Obi Wan Hippobi« aus dem Ei. Da schwingt viel Humor mit. Kinder können die Ironie manchmal gar nicht entschlüsseln: bei Figuren wie »Humphrey Heartbreaker« oder »Marylinchen« etwa, deren echte Filmvorlagen viele Kinder nicht kennen. Deswegen steht auf den Eiern auch »Für Kinder von 3 bis 99 Jahren«. Auch die Details mögen die Sammler: »Marylinchen« zum Beispiel kommt mit einem Gullydeckel aus dem Ei, auf den man sie stecken muss. Ohne die Luft von unten durch den Gullydeckel würde ihr Rock ja nicht hochfliegen! Soeben ist »Marylinchen« übrigens zur beliebtesten Figur aller Zeiten gewählt worden: Zur Wahl hatte Ferrero anlässlich des 40. Geburtstages des Eis im nächsten Jahr aufgerufen.

Werden auch die Spielsachen aus dem Ei gesammelt oder nur die Figuren?
Die Figuren werden viel mehr gesammelt, obwohl die Spielsachen auch toll sind: Ich sammle auch Türme und Autos. Die Spielsachen sind sehr kreativ: ein Mikroskop, das mit einem Tropfen Wasser sogar funktioniert oder eine zwölf Zentimeter lange Flöte, die aus dem kleinen Ei kommt. Aber wir Sammler brauchen ein abgestecktes Terrain. Wenn eine neue Figuren-Serie auf den Markt kommt, wissen wir: Jetzt kommen zwölf neue Hippos. Das ist bei den Spielsachen nicht so. Obwohl es natürlich auch Sammler dafür gibt, sogar für die gelben Kapseln, in denen der Inhalt kommt.

Warum bitte für die Kapseln?
Auch sie haben sich in der Geschichte verändert: Die wertvollste ist eine der ersten Kapseln, die es mit Steg zum Aufklappen gab, sie ist oben ein wenig abgeflacht. Es sind aber eher wenige, die nur die Kapseln sammeln.

»Die Deutschen sind begeisterte Abnehmer des Eis.«

Wenn eine Serie auf den Markt kommt: Wie versuchen Sammler die Figuren zu finden – im Supermarkt unter Hunderten anderen Eiern?
Zuerst gibt es auf Internet-Seiten Mitteilungen, in welchen Städten die neuen Serien bereits aufgetaucht sind: Die Sammler verraten dann die Seriennummern. Oft werden die neuen Eier nämlich mit älteren auf den Paletten im Geschäft gemischt – deshalb muss man auf die Nummern unter dem Barcode achten. Dann geben die Sammler auch die genaue Grammzahl an, welche Figur im Ei wie viel wiegt. Viele Sammler haben eine elektronische Briefwaage dabei, aber die Gemüsewaage im Supermarkt tuts auch.

Man hat also kaum eine Chance, wenn man nicht gut informiert und vorbereitet ist?
Stimmt. Wenn man zum Beispiel im Internet gelesen hat, dass eine Figur magnetisch ist, findet man die Figur, wenn man einen Kompass mitbringt: Es gab mal ein paar Fußballfiguren wie »Ferdy Flankützü«, bei denen der Ball mithilfe eines Magneten am Fuß abstößt. Eine andere Fraktion der Sammler, die »Schüttler«, kann durch bloßes Schütteln und Drehen und Wenden des Eis hören, welche Figur drin ist. Einer der bekanntesten Schüttler, ein Berliner, ist so gut, dass man ihn sogar mieten kann. Er soll ein erstaunliches Gespür für das richtige Schütteln haben. Ein anderer Sammler, selbst Kioskbesitzer, soll tatsächlich auch mal auf die groteske Idee gekommen sein, die Paletten zu einem befreundeten Arzt zu fahren und zu röntgen. Aber das ist kriminell, finde ich! Die Schokolade ist für Kinder gedacht und geröntgte Schokolade sicher nicht gesund.

Geht beim Schütteln das Ei nicht kaputt?
Nein, eigentlich nicht. Trotzdem waren plötzlich die Figuren mit Plastikstäben im Ei so befestigt, dass sich die Figur nicht mehr bewegen konnte. Ob Ferrero das wegen den Schüttlern gemacht hat, wissen wir nicht. Irgendwann verschwand das wieder.

Welche Ordnungssysteme gibt es, um die Figuren aufzubewahren?
Die meisten legen sie in durchsichtige Setzkästen, mit ein bisschen Watte. Oder in Schraubenkästen. Man kann Sammelboxen aus Material mit Sonnenschutz auf den Sammlerbörsen kaufen. Die Beipackzettel heben wir in Briefmarkenalben auf, die sind auch wichtig. Alte Beipackzettel kosten heute bis zu 250 Euro.

Es existieren viele Handbücher, die einem erklären, wie man gefälschte Figuren von Originalen unterscheiden kann. Sind Fälschungen in der Überaschungsei-Szene ein Problem?
Oh ja, es kursieren viele Fälschungen. Echte Sammler erkennen sie: Etwa an den Pinselstrichen. Ferrero lässt die Figuren in bis zu 40 Arbeitsschritten von asiatischen Keramikmalerinnen bemalen, die mit vier Pinseln gleichzeitig arbeiten – sie stecken sich die Pinsel zwischen die Finger, wie ein Pinselrad. Manche Pinsel sind so dünn
wie ein Haar. Der Schwung mit diesen Pinseln ist einzigartig und schwierig zu fälschen, trotzdem gelingt es immer wieder. Unter uns Sammlern gibt es aber einen Spezialisten, der mithilfe von ultraviolettem Licht und Dichte-Tests die Echtheit der Figuren einwandfrei bestätigen kann.

Wer fälscht denn so was? Die Mafia?
Nein, viel einfacher: Alle, die sehr kleine Ersatzteile herstellen, können so etwas theoretisch, zum Beispiel Dentallabore. Für die ist so eine Figur relativ einfach zu duplizieren. Wir nennen diese Art der Fälschungen deswegen »Dentalreplika«. Wenn man auf Ebay sieht, wie viel manche Figuren kosten, denkt man sich, ja klar, mach ich die doch schnell mal nach. Fälschungen kursieren schon sehr lange, seit 1990, seit es mit der Sammelei richtig losging. Manche Sammler reagieren entrüstet, wenn man ihnen erklärt, eine Figur sei eine Fälschung: »Diese Figur ist schon zwanzig Jahre in meinem Besitz, das kann nicht sein.« Kann es eben doch. Und dabei werden nicht nur die kostbarsten Überraschungsei-Figuren oder deren Zubehör gefälscht, sondern auch günstige: Der Hula-Hoop-Reifen von »Babsy Baby« zum Beispiel. Das Original hat nur einen Katalogwert von zehn Euro. Jeder Sammler muss sich mit Fälschungen auseinandersetzen.

Wieso ging es mit der Sammelei erst seit den Neunzigern los? Das Überraschungsei gibt es doch schon seit 1974 in Deutschland?
In den späten Achtziger- und den beginnenden Neunzigerjahren machte Ferrero viel Fernsehwerbung, weil viele Serien auf den Markt kamen: »In jedem siebten Ei …«. Gerade die Serien sind für Sammler interessant. Außerdem kam der Sammelleidenschaft auch die Entwicklung des Internets zugute. Sammler und Händler haben umfangreiche Kataloge im Netz aufgebaut mit allen Figuren, die es jemals gab. Jeder kann in seinem Schuhkarton voller Figuren mal eben nachschauen: Ist das was wert? Hab ich was Seltenes?

Wie viele Sammler gibt es heute?
In Deutschland etwa 300 000. Die Deutschen sind begeisterte Abnehmer des Eis. Bei uns kommen auch viel mehr Serien auf den Markt als in anderen Ländern, vier
bis fünf im Jahr, in anderen nur zwei bis drei. Gesammelt wird aber auch in der Schweiz, in Österreich, Russland, Italien, Holland, Japan – auf der wichtigsten Messe in Dreieich bei Frankfurt sieht man viele Nationalitäten.

Trifft man als Sammler auf den Messen auch auf Entwickler der Figuren?

Ja. Gerade auf die Freiberufler: Ferrero vergibt auch Aufträge für die Gestaltung von Figuren an Fremdfirmen oder freie Grafiker und Designer. Sie müssen eine zehnjährige Schweigepflicht einhalten. Ich hatte einmal das Glück, denjenigen kennenzulernen, der die »Happy Hippos« erfunden hat, das war toll: Seine Schweigepflicht war abgelaufen, und er hat mir mal eben aus dem Handgelenk einen Hippo gezeichnet – sehr sympathischer Typ. Ganz selten liest man auch mal ein Interview von einem Entwickler: In einer Zeitschrift stand, dass der Verantwortliche der Herr der Ringe-Serie Probleme mit einer der Hollywoodschauspielerinnen bekam. Sie fand sich als Überraschungsei-Figur zu dick. Er musste sie dünner machen.

Ferrero hält sich bedeckt, was die Überraschungsei-Inhalte und ihre Entwicklung angeht: Soll ja alles eine Überraschung sein, heißt es.
Wir wissen nur so viel: Auf eine Figur kommen etwa hundert Entwürfe. Die »Happy Hippos« sollen auf einer Reise erfunden worden sein, wo der Grafiker eine Nilpferdstatue gesehen hat.

Warum sammeln Menschen nicht auch die Spielzeuge anderer Süßigkeitenhersteller mit ähnlichen Konzepten wie das »Kinder-Überraschungsei«, so wie die »Nestlé Wunderkugel«?
Die Figuren aus der Wunderkugel, einem Schokoball mit Spielzeugfiguren, werden ebenfalls gesammelt – aber lang nicht so intensiv wie die Überaschungsei-Figuren. Ich habe auch einige Wunderkugel-Figuren. Vielleicht ist dabei das Problem, dass in allen Kugeln Figuren steckten. Da macht das Sammeln und Finden nicht so viel Spaß.

Es wurde immer mal wieder diskutiert, das Überraschungsei zu verbieten wie in den USA, weil Kinder das Ei samt Spielzeug verschlucken könnten. Lächerlich?
Diese Diskussion gibt es immer wieder, ja. Der amerikanische Zoll nimmt Reisenden jedes Jahr an der Grenze Zehntausende Überraschungseier ab, weil sie nicht nach Amerika eingeführt werden dürfen: In den USA darf kein Spielzeug in einer Süßigkeit stecken. Tatsächlich gibt es dort jetzt aber ein neues Produkt, »Choco Treasure«, das erlaubt ist: Die Schokoladenhülle rund um die Kapsel ist ein wenig unterbrochen, so dass man von außen sieht, dass es sich um zwei Eierhälften handelt. Für uns wäre es schlimm, wenn das Überraschungsei verboten werden würde – wir hätten nichts mehr zum Sammeln, und junge Sammler kämen auch nicht mehr nach.

Haben Sie schon mal gesehen, wie und wo die Überraschungseier hergestellt werden?
Nein. Aber es wäre ein Traum.

Was macht man als Sammler mit den vielen übrig geblieben Schokoladenhälften? So viel Schokolade kann doch keiner essen!
Es kursieren Backrezepte für die Schokoladenhälften. Ansonsten: Einfach auf heißem Toast schmelzen lassen.

Fotos: Markus Burke