Armee der Ähnlichen: Die Regale sind voller Produkte, die eigentlich genauso sind wie die Produkte daneben. Welches ist das beste? Die Stiftung Warentest will seit fünfzig Jahren Orientierung geben.
Die Stiftung Warentest wurde 1964 in Berlin gegründet, vielleicht nicht zufällig im bis heute geburtenreichsten Jahr der Bundesrepublik. Mit der Bevölkerung vergrößerte sich im prosperierenden Nachkriegsdeutschland auch das Sortiment der Warenwelt, und das Bundeswirtschaftsministerium, auf dessen finanzieller Unterstützung die Stiftung bis heute beruht, wollte den Konsumenten genauere Orientierung bieten. Das Editorial der ersten Test-Zeitschrift, 1966 erschienen, zeigt das Foto einer verunsicherten Großmutter mit ihrem staunenden Enkel vor einem Schaufenster. Daneben stehen die Sätze: »Das Warenangebot wächst von Tag zu Tag. Es gibt heute 150 Nähmaschinenmarken, 80 verschiedene Staubsauger, 70 Heizkissen. Test wird Ihnen künftig durch Marktberichte, Preisanalysen und Warenkunde das Einkaufen und Wirtschaften erleichtern.«
Im Jahr ihres großen Jubiläums erlebt die Stiftung Warentest, in Umfragen regelmäßig als vertrauenswürdigste Institution der Deutschen bezeichnet, ungewöhnlich raue Zeiten. Die Klage der Firma Ritter, die im Januar eine einstweilige Verfügung gegen die Testnote »mangelhaft« ihres Produkts »Ritter Sport Voll-Nuss« erwirkt hat, fand große Medienresonanz; Zeitungen und Talkshows berichten seither im Stil eines Tribunals über den Verdacht schlecht bewerteter Anbieter, die Auswahl und Benotung ihrer Produkte folge willkürlichen und selbstherrlichen Maßstäben. Die investigative Durchleuchtung des Unternehmens hat aber – im Gegensatz zu den kurz zuvor bekannt gewordenen Skandalen beim ADAC – bislang keine Unregelmäßigkeiten zutage gefördert. Woher rührt also das neue Misstrauen gegenüber der Stiftung? Große Institutionen, mit ihren Marktmonopolen und undurchschaubaren Entscheidungswegen, erwecken in einer Zeit, deren Leitbegriffe »Transparenz« und »Partizipation« heißen, offenbar zwangsläufig Verdacht. Im Fall der Stiftung Warentest kommt hinzu, dass sich seit dem Siegeszug des sozialen Internets praktisch jedermann zum Produktbewerter berufen fühlt. Noch vor zehn Jahren gab es nur die Test-Hefte, wenn man wissen wollte, ob eine Matratze, ein Orangensaft, ein Hotel empfehlenswert seien. Heute sind die durchschnittlich vergebenen Bewertungssternchen eine Ikone des Web 2.0, allgegenwärtig von Amazon bis TripAdvisor. Eine Behörde, die sich weiterhin als Zentralinstanz der Produktanalyse präsentiert, erscheint vielen als unzeitgemäß, auch wenn die bis zu vier Wochen dauernden Tests in ihrer höchsten wissenschaftlichen Sorgfalt nichts mit den bloßen Erfahrungsberichten der Netzportale zu tun haben.
So sehr sich die Stiftung Warentest in ihren Äußerungen allerdings um Neutralität und Objektivität bemüht: In den Berichten scheint immer wieder eine klare Weltanschauung durch, eine bestimmte Haltung im Umgang mit Produkten und der Sphäre des Konsums. Das lässt sich alleine daran erkennen, dass es in den Überschriften und Vorspännen der Zeitschrift Test seit fünfzig Jahren eine Konstante gibt: das Misstrauen gegenüber edlen Marken. Schon im allerersten Heft wird ein Bericht über Stabmixer mit den Worten eingeleitet: »Auch unbekannte Geräte können
gut sein«; ein paar Hefte später heißt es über Sekt: »Unter den besten: der billigste«. Dieses Schema hat sich bis heute erhalten. In einer aktuellen Ausgabe der Zeitschrift lautet das Fazit des Waschmaschinentests: »Die zuverlässigsten Geräte sind auch in den einfachen Kategorien zu finden!«
Die Projektleiter der Stiftung sagen gerne, ihre Aufgabe liege in der »Entzauberung von Produkten«. Das Credo des Unternehmens ist also strikt aufklärerisch – für die Herausbildung des mündigen, vernünftigen Verbrauchers, gegen das Blendwerk des Markenglamours. In der Philosophie der Stiftung muss die schöne Oberfläche der Dinge immer gedeckt sein von substanzieller, nachweisbarer Qualität, sonst würde man einem Trug aufsitzen; die Urteile in Test bilden damit die genaue Antithese zu den vollmundigen Slogans der Werbung, wo Versprechen formuliert werden, die nichts mit dem qualitativen Kern der Produkte zu tun haben müssen.
Diese kritische, manchmal gehässige Beziehung zu kostspieligen Marken offenbart aber auch eine empfindliche Lücke im Kosmos der Stiftung Warentest: Denn auch wenn das Parfüm eines teuren Designers und das aus der Drogerie laut chemischer Analyse aus identischen Inhaltsstoffen bestehen können, bleibt dennoch ein elementarer Unterschied erhalten – ein Unterschied, der die Aura dieser Produkte betrifft, die soziale Zugehörigkeit, die sie versprechen, und die sich in der Verpackung des Parfüms genauso zeigt wie in der Lage und Ausstattung des Geschäfts, in dem es verkauft wird. Für die Projektleiter der Stiftung sind das alles vernachlässigbare Randerscheinungen, flüchtige Komponenten, die nicht an die messbare Substanz von Warenqualität reichen. Aber genügt reine Messbarkeit, um die Logik des Konsums zu verstehen? Lässt sich über die Warenwelt verlässlich urteilen, ohne den Bereich der sozialen Distinktionen, die mit jeder Kaufentscheidung verbunden sind, miteinzubeziehen?
Hubertus Primus, der eloquente Vorstand der Stiftung und alles andere als ein verknöcherter Bürokrat der Warenwelt, stellt sich diese Fragen natürlich auch selbst: »Ja, das stimmt, diese Ebene können wir nicht leisten«, sagt er. »Ich schaffe es ja nicht mal bei meiner eigenen Frau, das Bewusstsein für Produktqualität durchzusetzen. Nehmen Sie das Beispiel Hautcreme: Ich selbst benutze nur preisgünstige, von uns gut bewertete Cremes, die, nebenbei gesagt, genau die gleichen Bestandteile haben wie die teuersten. Aber bei meiner Frau habe ich damit keine Chance: Da muss es Clinique sein. Und sie sagt immer: ›Ihr könnt den Unterschied nicht testen, ihr versteht das nicht!‹« Ist seine Frau eine sehr auf Glamour bedachte Person? »Nein, ganz im Gegenteil, bei anderen Produkten folgt sie der Stiftung bedenkenlos. Aber bei Kosmetik eben nicht. Obwohl sie als Tiermedizinerin auch lange im Labor gearbeitet hat. Ihr letztes Totschlagargument ist dann immer: der Geruch! Die billigen Cremes, sagt sie, würden auch billig riechen.«
Testkategorien wie »Stil« oder »Design«? »Da würden wir an Grenzen stoßen.«
Hubertus Primus, Vorstand der Stiftung Warentest, und Birgit Rehlender, Projektleiterin für den Bereich Ernährung, in dem kleinen Museum, das die Stiftung zum 50. Jubiläum in ihrer Berliner Zentrale eingerichtet hat. (Foto: Norman Konrad)
In den Gesprächen mit Hubertus Primus, über die Perspektiven und Grenzen der Stiftung Warentest, landet man immer wieder bei derselben Frage: Was ist ein Produkt? Aus welchen materiellen und immateriellen Schichten setzt es sich zusammen? Das stoffliche Fundament der Dinge wird durch die Tests seines Unternehmens bis ins Innerste durchdrungen, Matratzen oder Laufschuhe werden buchstäblich aufgeschnitten, auf Herz und Nieren untersucht. Aber für alles, was im Symbolischen bleibt, für all jene Distinktionen der Konsumwelt, über die der Soziologe Pierre Bourdieu einst sein berühmtes Buch Die feinen Unterschiede geschrieben hat, bleibt das Prozedere der Stiftung taub.
Dass Anziehungskraft und messbare Qualität eines Produkts weit auseinanderklaffen können, erlebt das Unternehmen an einer Marke ganz unmittelbar: »Apple«, erzählt Primus, »ist immer so ein Problem im Haus. Das Preis-Leistungs-Verhältnis der Geräte ist schlecht, keine Frage. Wenn wir die Produktauswahl bei einem Test festlegen, sagen unsere Journalisten immer: ›Ihr müsst Apple mit reinnehmen, das hat jeder, das ist ein stylishes Produkt.‹« (Der Stiftung-Warentest-Chef sagt tatsächlich »stylish«.) »Aber den Projektleitern sind die Geräte zu teuer, sie sagen, die würden das ganze Preisspektrum unseres Tests sprengen.« Bekommt Apple von der Stiftung immer eine schlechte Bewertung? »Jedenfalls sind sie nicht die Testsieger.« Und welches Telefon oder Tablet verwendet er selbst? Bei dieser Frage kommt Hubertus Primus ein einziges Mal ins Stocken, wählt seine Worte mit Bedacht: »Ich habe, wie die meisten Kollegen, als Diensthandy ein iPhone, kein Samsung, obwohl das viel besser bewertet wird bei uns. Das ist schon ein Widerspruch. Aber das iPhone … nun ja … es ist von seiner Bedienerfreundlichkeit sehr gut. Und ich kann mich ja auch mit dem Wort vom mündigen Verbraucher rausreden.« Aber wenn die Vorstandsrunde vor ihren schlecht bewerteten iPhones und iPads sitzt: Überlegt man da nicht, ob weitere Testkategorien nötig wären, wie »Stil« oder »Design«? »Da würden wir an Grenzen stoßen.«
Nur ein einziges Mal in seiner 50-jährigen Geschichte hat die Stiftung versucht, diese »weichen«, symbolischen Kategorien in einen Produkttest zu integrieren. Anfang 2003 bewerteten Teenager zusammen mit professionellen Testern Schulrucksäcke. »Was gut für den Rücken ist und das Gewicht besser verteilt«, heißt es in dem Artikel, »spielt keine Rolle. Sie tragen den Rucksack sowieso möglichst tief hängend, fast schon in den Kniekehlen.« Die Untersuchungen im Labor, auf Schadstoffe und Wasserdurchlässigkeit, widersprachen natürlich den Vorlieben der Schüler: »Wohl überraschend für die Jugendlichen – ihre Top-Favoriten konnten nicht recht überzeugen.« Doch genau darum geht es den Teenagern ja nicht, was der Autor von Test auch eingesteht: »Ihr Rucksack muss in erster Linie cool sein. Sonst ist man bei den Freunden schnell unten durch. Die Marke muss stimmen.« Es ist folgerichtig, dass die Herangehensweise des Artikels eine Ausnahme blieb, eine »Einzelgeschichte«, wie Primus sagt. Denn mit dieser Perspektive auf Produkte würde sich die Stiftung Warentest selbst überflüssig machen.
Die sphärischen Codes der Mode, das Schöne und Elegante, »Coole« und »Sty-lishe«, vermag die Stiftung Warentest nicht zu bewerten. In die Analyse fließt nur ein, was wissenschaftlich dingfest gemacht werden kann, ein im Zweifel justiziabler Messwert, und sei er noch so tief im Innern des Produkts vergraben. Manchmal, wie im Fall von »Ritter Sport Voll-Nuss«, ist dieser entscheidende Messwert für die Konsumenten nicht einmal wahrnehmbar. Der Grund, warum die Schokolade in der Dezember-Ausgabe von Test die Note »mangelhaft« bekam und bis heute zum Gegenstand eines Rechtstreits wurde, hing von einer winzigen Zutat ab, vom Aromastoff »Piperonal«, den die Packung der Schokolade als »natürliches Aroma« ausweist, die Labortests der Stiftung aber als synthetisch hergestellt einstuften. Diese Analyse führte zu dem, was in der Sprache der Produkttester »Durchschlagseffekt« heißt: Ein einziges Messergebnis fällt so stark ins Gewicht, dass es zwangsläufig die gleiche Gesamtbewertung nach sich ziehen muss.
Eine Tafel Ritter-Sport-Schokolade enthält die abstrakte Dosis von 0,03 Milligramm Piperonal; kein Verbraucher würde bemerken, ob der Vanillegeschmack des Aromas tatsächlich aus natürlicher Quelle gewonnen wurde, aus dem Wurzelöl einiger tropischer Pflanzen, oder durch chemische Synthese; eine Gesundheitsgefahr besteht ebensowenig. Im Test wurde allein der Formverstoß gegen die europäische Aromenverordnung geahndet. Sind solche Urteile noch verhältnismäßig? Oder verschärft dieses unerbittliche Notariat der Warenwelt nicht den Vorwurf der Selbstherrlichkeit, dem die Stiftung gerade im Jubiläumsjahr immer wieder ausgesetzt ist? Hubertus Primus weiß zweifellos selber, dass kein Verbraucher am Schokoladenregal im Supermarkt entlanggeht, die Tafeln umdreht und kontrolliert, ob natürliches oder künstliches Aroma darin enthalten sei. Nach den Stiftungsregularien sei die Note »mangelhaft« für einen Deklarationsverstoß zwar »in Ordnung« gewesen, wie Primus sagt. Aber die Relevanz für den Verbraucher geht gegen null. Über diesen Zwiespalt wird die Stiftung in Zukunft nachdenken müssen. Im Rechtsstreit mit der Firma Ritter jedenfalls versuchen Gutachter nun seit Monaten zu klären, ob die Menge an Piperonal, die der Schokoladenhersteller für seine Gesamtproduktion benötigt (sechs Kilogramm pro Jahr), überhaupt aus natürlichen Ressourcen stammen könne. Die Stiftung ist inzwischen sehr optimistisch, dass sie den Prozess gewinnen wird.
Der Grund, warum eine schlichte Zensur in einer Zeitschrift zum Ausgangspunkt eines langen Rechtsstreits werden kann, ist zweifellos die eminente Macht, die Urteile der Stiftung Warentest bis heute haben. Ein Verpackungshinweis, dass ein Produkt mit der Note »sehr gut« bewertet worden sei, kurbelt die Verkäufe an wie keine noch so aufsehenerregende Werbekampagne (was dazu geführt hat, dass die geschäftstüchtige Stiftung diese früher kostenfreien Hinweise inzwischen an die Unternehmen verkauft, für 7000 Euro im ersten Jahr). Produkte, die schlecht abschneiden, verschwinden andererseits oft sofort vom Markt.
Die Stiftung Warentest fördert und bedroht Existenzen, angetrieben auch nach fünfzig Jahren von einer eigentümlichen Mischung aus Behördenstrenge und Konsumkritik. Ein unerbittlicher TÜV im Geist von 1968.
Foto: Bobby Doherty