Kinder, Betrunkene und neu ins Amt berufene Minister sagen die Wahrheit. So war der zufällig Bundesumweltminister gewordene Peter Altmaier ganz erstaunt, als ihm gleich nach Amtsantritt der Sachverständigenrat für Umweltfragen seine neueste Studie vorlegte und damit die Forderung an die Regierung verband, sie möge doch bitte dafür sorgen, dass künftig das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppelt werde. Altmaier sagte, das höre sich ja gut an, er könne sich aber nicht recht vorstellen, wie das gehen solle. Mit diesem Zweifel lag der Minister in der Sache durchaus richtig, aber schon wenige Wochen später, auf dem Weltrettungsgipfel »Rio + 20« im Juni 2012, verkündete er, dass die Zukunft von der Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch abhänge. Peter Altmaier hat also das Falsche dazugelernt. Das Motto des Erdgipfels, auf dem dieser Lernprozess stattfand: »Green Growth«.
Kapitalismus, da geht noch was. Bislang sah ja alles danach aus, dass das historisch einzigartig erfolgreiche Wirtschaftsmodell, das den frühindustrialisierten Ländern Wohlstand, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, soziale Fürsorge und natürlich viele schöne und nützliche Produkte gebracht hat, rasant an sein Ende kommt. Denn das System der Wachstumswirtschaft ist zutiefst unökonomisch: Es zerstört die Voraussetzungen, auf die es gebaut ist. Allein im 20. Jahrhundert ist die Wirtschaft global um das 14-fache gewachsen, der Energieverbrauch hat sich versechzehnfacht, die Produktion ist um das 40-fache gestiegen. In nur hundert Jahren wurde mehr Energie verbraucht als während der kompletten 40 000 Jahre Menschheitsgeschichte davor. Und zehnmal so viel wie in den 1000 Jahren vor dem 20. Jahrhundert. Und das ging weitgehend nur auf das Konto von Europa und Nordamerika. Inzwischen hat sich das Prinzip der Wachstumswirtschaft über den ganzen Globus verbreitet.
BIS ZUM LETZTEN BRÖCKCHEN ROHSTOFF
Da wurde es höchste Zeit, die Zauberformel von der green economy zu erfinden, wahlweise auch green new deal oder »qualitatives Wachstum« genannt. Mit diesem magischen Instrument soll der Kollaps des Erdsystems verhindert werden. Gleichzeitig soll es weiterhin von allem für alle immer mehr geben. Auch mehr Design, »Ecodesign« dann eben. Dabei konzentriert sich alle Aufmerksamkeit auf die »erneuerbaren« Energien, die eine unbegrenzte Energieversorgung durch Wind, Sonne, Wasserkraft und Biomasse gewährleisten sollen. Nicht nur, dass das Wort »erneuerbar« ganz in der Programmatik der industriellen Moderne liegt, die ja angetreten ist, die natürlichen Grenzen und Endlichkeiten zu überwinden: Der Sieg der Erneuerbaren würde den Raubbau am System Erde nur noch weiter beschleunigen. Denn kein Ölfördermaximum, kein zu hoher Energiepreis stünden dem kapitalistischen Furor mehr im Wege, auch noch das letzte Bröckchen Rohstoff aus der Erde und aus dem Meer zu holen.
Die Steigerung von Effizienz ist die Essenz des Kapitalismus. Ob die nun »grün« gesteigert wird oder »grau« oder »rosa« tut nichts zur Sache. Die »große Transformation«, die im Augenblick in aller Munde ist und die sich auf die »Energiewende« und die green economy stützt, ist also gar keine. Anders gesagt: Solange man im Rahmen des gegebenen Systems denkt, bleibt jede Effizienzsteigerung Teil des Problems. Lösungen liegen jenseits des Gegebenen. Sie zu suchen und zu finden: Das ist Transformationsdesign. Die gestalterische Aufgabe lautet: Von allem weniger. Denn das bisherige Kulturmodell ist in jeder Hinsicht expansiv. Es beizubehalten löst keine Probleme, sondern schafft immer neue. Transformationsdesign bedeutet also die Gestaltung eines radikalen Richtungswechsels.
WO BLEIBT DAS RE-DESIGN UNSERER ZUKUNFTSBILDER?
Im Moment stellt man sich die Zukunft »wie jetzt, nur besser« vor: also mit mehr Windrädern statt Kohlekraftwerken, mit mehr Autos, nun aber mit Elektro, mit mehr Produkten, aber alle A++. Die Utopie dieser grünen Moderne ist vollgestellt mit Produkten und Aggregaten und sieht noch genauso aus wie die technischen Utopien aus der Zeit des Wirtschaftswunders: Da gab es glückliche Menschen in schönen Umgebungen, die gesunde Dinge aßen und es schön warm hatten, wenn im Wohnzimmer der Fernseher lief. Die Energie kam aus der Wundertechnologie Kernkraft, und die Zeichnungen sahen immer ein bisschen so aus wie später die Fernsehwerbung von Rama.
Die Zukunftsbilder von heute sehen merkwürdigerweise genauso aus, nur dass hier der Saft, an dem die Ramawelt hängt, aus Sonne und Wind und Biomasse kommt, weshalb dann auch immer überall schicke Anlagen herumstehen, die das grüne Bild der Zukunft aber genauso wenig stören wie früher die Atommeiler. Das zeigt nur, dass die Welt, in der wir leben, unseren utopischen Horizont so eng gemacht hat, dass man sich die Zukunft nur als Gegenwart mit anderen Mitteln denken kann. Zu transformieren wäre also zunächst erst mal eins: wir selbst.
Der notwendige Richtungswechsel stellt das Design nicht nur vor ganz neue Aufgaben, es stellt das Design, wie wir es kennen – als Formensprache der Konsumwirtschaft, als Styling von Produkten –, im Kern infrage. Es kommt nämlich nicht darauf an, grundsätzlich falschen Produkten wie einem SUV ein gutes oder gar grünes Design zu verpassen. Sondern es geht um das Re-Design des Verhältnisses zwischen Rohstoff und Erzeugnis. Denn die heutigen Designs verbergen ja perfekt, welche Wertschöpfungsketten, welcher Ressourcen- und Transportaufwand, welche Arbeit und Energie in allem steckt, was man konsumiert. Nur im Ausnahmefall, wenn zum Beispiel die Selbstmordrate bei Foxconn, dem weltgrößten Handyhersteller, wegen der grausamen Arbeitsbedingungen mal wieder angestiegen ist und man davon in der Zeitung liest, denkt man kurz, ob der wohl noch lebt, der die gesundheitsschädliche Substanz auf das Display des iPhones aufgebracht hat, über das die eigenen Finger nun so sanft und elegant streicheln können. Ansonsten bleibt unsichtbar, dass alles, was unsere komfortablen Lebensverhältnisse sicherstellt, aus irgendeinem Boden, irgendeinem Wald, irgendeinem Ozean kommt und von irgendwem gemacht worden ist.
Wir brauchen also ein transformatives Design. Nicht nur andere, sondern weniger Energie. Nicht bessere, sondern weniger Produkte. Keine neuen Aufwände, sondern Wiederverwenden. Umnutzen. Nachnutzen. Mitnutzen. Diese reduktive Moderne bedeutet nicht das Auswechseln einer altmodisch gewordenen Technologie gegen eine andere, sondern: ein ganz anderes Leben. Dazu bräuchte es Designer, die mehr im Blick haben als nur den Markt. Mehr als nur form und function. Sie müssten neue Utopien entwickeln, wie so ein Leben in der Postwachstumswelt aussehen könnte.
REDUCE, REUSE, RECYCLE!
Auf dem Weg dahin wäre es schon mal eine schöne Aufgabe für das Design, die Eigengeschichte der Produkte wieder kenntlich zu machen. Nicht in Form von Apps, die Carbon Footprints ausrechnen, sondern von Produkten, die ressourcenleicht sind und denen man das auch ansieht. Designern käme nicht mehr die Aufgabe zu, unablässig zusätzliche Dinge in die Welt zu bringen, sondern die, die man nicht braucht, aus der Welt zu schaffen. Also: nicht eine coole Flasche für ein Mineralwasser aus Fidschi entwerfen, sondern den Hinweis auf den nächsten Wasserhahn. Nicht die Verarbeitung der neuesten Materialien zu den neuesten Produkten, sondern die Umnutzung von alten, die es im Überfluss gibt. Das Thema des deutschen Pavillons auf der Architekturbiennale in Venedig 2012 lautet »Reduce, Reuse, Recycle«. Dabei geht es um Beispiele architektonischer Metamorphosen: Statt Bauten abzureißen, baut man sie um, weiter, anders. Die Ergebnisse sind vielfach erstaunlich, schon vergleichsweise unaufwendige Eingriffe führen zu tiefen Nutzungsveränderungen.
Ein Produkt, das nicht ersetzt wird, erfordert keinen Herstellungsaufwand. Je mehr sein Lebenszyklus verlängert wird, desto nachhaltiger werden die Ressourcen genutzt, die zu seiner Herstellung verbraucht wurden. Daher tauchen in den vergangenen Jahren vereinzelt wieder Reparaturläden in den Metropolen auf, dort also, wo sich kulturelle Innovationen am schnellsten verbreiten. In Berlin zum Beispiel gibt es in bester Lage eine Änderungsschneiderei mit dem schönen Namen »Bis es mir vom Leibe fällt«, in dem alle Erhaltungsmaßnahmen vom stylischen Upcycling eines Designerkleids bis zum Sockenstopfen durchgeführt werden. Upcycling ist eine Strategie, aus »alten« Dingen neue zu machen. Ein ähnliches Prinzip verfolgt die Herforder Recyclingbörse, die in Kooperation mit Künstlern und Designern aus alten Möbeln vielfach prämiierte Designerstücke formt. Manche mögen diese Ideen belächeln, weil sie so klein wirken angesichts der großen Probleme. Aber sie sind ein Anfang, ein Zeichen dafür, dass das Umdenken schon begonnen hat.
VON DER EXPANSIVEN IN DIE REDUKTIVE MODERNE
Transformationsdesign ist auch, wenn man aus innerstädtischen Brachen Gärten macht oder aus Autobahnen Trassen für Windräder und Solarpanels, damit sie nicht unberührte Landschaften zustellen. Dann muss man natürlich die Autos loswerden, das Drittwagendenken, und dafür ein modulares Mobilitätssystem designen, in dem der Individualverkehr nur noch eine Restgröße ist. Unvorstellbar? Vielleicht sollte man sich noch mal die Worte eines großen Designers der Moderne vor Augen führen: »Was sind die Grenzen des Designs?«, wurde Charles Eames einmal gefragt. »Was sind die Grenzen der Probleme?«, lautete seine Antwort. Bis dahin wäre schon mal gut: nicht nur anders unterwegs sein, sondern weniger oder gar nicht. Eine Ästhetik der Reduktion und des Verschwindens – was für eine gestalterische Aufgabe! Dabei darf der Weg von der expansiven in die reduktive Moderne nicht als dröge ökodiktatorische Pflichtveranstaltung zum Verzicht gestaltet werden, sondern als Gewinn an Lebensqualität durch Loswerden von Ballast. Ressourcenleicht, das heißt: sich nicht die Wohnungen und Häuser und Landschaften mit Dingen vollstellen, die den eigenen Bewegungsraum einschränken. Es gibt Leute, die müssen auf den Balkon gehen, um das Bild auf ihrem 60-Zoll-Plasma-Flatscreen scharf sehen zu können.
Dagegen eine ästhetische Haltung zu stellen, die ihr Ziel im Weglassen und nicht im Hinzufügen sieht und zugleich die Schauseite einer reduktiven Moderne entwirft, das würde erheblich zu einer wirklichen Transformation beitragen. Zumal wir keinen Masterplan dafür haben, wie so eine reduktive Moderne eigentlich aussieht. Die expansive Moderne jedenfalls gerät immer mehr unter Stress. Klimawandel, Ressourcenkonkurrenz, Landraub, überfischte Meere, steigende Nahrungsmittel- und Energiepreise engen die gefühlten und realen Handlungs- und Gestaltungsspielräume immer weiter ein. Die Welt transformiert sich so oder so. Zu entscheiden bleibt nur, ob dieser Wandel by design or by disaster verläuft. Ich wäre für Design. Transformationsdesign. Fangt doch bitte schon mal an damit.
Foto: Franziska von Stenglin und Olga Kessler