(Bundesaußenminister Klaus Kinkel (r.) im Jahr 1994 während seines Urlaubs auf der Nordseeinsel Juist mit seinem Schweizer Amtskollegen Flavio Cotti)
Männer in Badehosen sehen oft lächerlich aus, weil Männer überhaupt oft lächerlich aussehen. Je älter Männer werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die zunehmende Schwäche ihres Bindegewebes gewisse Körperpartien außer Form geraten lässt. (Bei den Frauen gibt es ähnliche Entwicklungen, über die wir hier aber nicht sprechen wollen.) Bei lebenserfahrenen, aber bindegewebsschwachen Männern wölbt sich der Bauch und flappt gleichzeitig nach unten, so dass er in den schlimmeren Fällen die Geschlechtsteile bedeckt. Ähnliches geschieht mit der Brustregion, die zwar fast nie bis zur Berührung der Schamgrenze erschlafft, dennoch verleiht das erweichte Brustfleisch manchem reiferen Mann etwas eher Feminines. Bedenkt man dann noch den oft unschönen Kontrast zwischen bleicher Haut und dunkler Behaarung, wird deutlich, warum wenig trainierte Männer jenseits des 38. Lebensjahres eigentlich nur noch hinter sichtversperrenden Umfriedungen baden sollten. Sie tun es aber nicht. Man sieht das zum Beispiel auch daran, dass zahlreiche Politiker mutwillig in der Öffentlichkeit baden. Sie wollen so sein wie du und ich.
Leider sieht man ihnen sehr deutlich an, dass sie so sind wie du und ich. Man will aber eigentlich nicht von Leuten regiert werden, die so sind wie du und ich. Man will seine Kanzler, Premierminister und Staatschefs respektieren. Das fällt einem schwer, wenn man sie in der Badehose sieht.
Zu Beginn der Weimarer Republik haben die Anti-Demokraten sich dieses Badehosen-Effekts bedient. Es gibt ein sehr berühmtes Bild von Reichspräsident Friedrich Ebert und Reichswehrminister Gustav Noske, entstanden im Sommer 1919: Die beiden Sozialdemokraten stehen darauf in Badehosen im seichten Wasser der Ostsee. Die Rechten setzten eine Postkarte in Umlauf. In der Mitte waren die halb nackten Demokraten zu sehen; unter und über ihnen jeweils ein Brustbild von Kaiser Wilhelm II. und Generalfeldmarschall Hindenburg in voller Uniform. Zwischen dem Kaiser und den Badenden stand die Zeile: »Einst und jetzt!«
Helmut Kohl kannte den Badehosen-Effekt genau. Nicht nur, weil er Historiker ist, sondern auch weil ihm wegen seiner individuellen Körperlichkeit die zu Beginn dieser kleinen Betrachtung beschriebenen geweblichen Degenerationserscheinungen vertraut waren und sind. Er also vermied es stets, sich badebehost ablichten zu lassen. Als es einmal im fernen Australien dennoch passierte, war er sehr wütend. Ein örtlicher Lichtbildner hatte sich angeschlichen und Kohl am Pool fotografiert. Heute ist diese Aufnahme ein historisches Dokument.
Kohls Nachfolger Gerhard Schröder konnte sich auch in Sachen Badehose nie so recht entscheiden. Einerseits wollte er es nicht, weil Privatleben. Andererseits aber ist Schröder ja wirklich einer von uns und deswegen gibt es auch etliche Bilder vom Urlaubs-Gerd. Das schönste ist jenes, auf dem er wie eine Mischung aus Mark Spitz und dem immer währenden NDR-Walross mittenmang auf die Kamera zuschwimmt. Nach Art des amphibischen Ochsenfrosches teilt er energisch die chlorklaren Wasser des Pools. In seinen blauen Augen ist Weltweisheit zu lesen. Vielleicht denkt er aber auch nur: »Was hat Doris denn da wieder für einen Badeanzug an?«
Das Bindeglied zu den außerordentlich zweifelhaften badenden Politikern stellt Silvio Berlusconi dar. Er lässt sich in nahezu allen Lebenslagen ablichten, sogar wenn ihm Haare transplantiert werden. Der italienische Mann als solcher ist ohnehin ein großer Bader, weil er sich nicht vorstellen kann, dass es irgendjemanden gibt, der oder die ihn am Strand nicht toll findet. Hat er Berlusconis Alter erreicht, ist sein im Sinne des Wortes herausragendes Merkmal der vorspringende Rippenbogen. Zieht man nämlich den Wanst ein, hebt das den Brustkorb. Der Mann mittleren Alters, vor allem aber der Italiener mittleren Alters, zieht in Badehose stets den Wanst ein.
Dem Chinesen wiederum ist das mit dem Wanst egal. Seitdem der große Vorsitzende Mao den Gelben Fluss durchschwamm, muss jeder Oberchinese Ähnliches tun. Er trägt dabei Badehosen, die meist bis zur Mitte des Rumpfes reichen und unter Kennern Deng-Slip genannt werden. Zwar lebt der Asiate stets in der Angst, sein Gesicht zu verlieren. Allerdings scheint sich diese Angst, betrachtet man die zahlreichen Fotos dengbeslippter KP-Chefs, auch physisch aufs Gesicht zu beschränken.
Große Verbrecher, unter ihnen auch Politiker, baden erstaunlicherweise gern öffentlich. Eines der berühmtesten Fotos von Al Capone zeigt ihn im Bademantel; ähnliche Aufnahmen gibt es auch von Lucky Luciano und anderen Mafia-Größen. Dies mag damit zusammenhängen, dass zu deren Zeit der Besitz eines Swimmingpools ein Zeichen großen Reichtums war.
Ihre politischen Kollegen wie Kaiser Bokassa, Saddam Hussein oder Idi Amin empfingen Besucher, Journalisten und Bittsteller auch hin und wieder im oder am Pool. Dies erinnert an das Hofzeremoniell der französischen absoluten Monarchen, bei dem ausgewählte Petenten vor dem Aufstehen oder nach dem Zubettgehen vorgelassen wurden. Der Herrscher ist sich seiner selbst und seiner Bedeutung so sicher, dass er nicht auf den Gedanken kommt, er könne lächerlich wirken im nassen Oberhemd oder im Nachtgewand.
Die marginal bekleideten Weltenlenker jedenfalls sollten sich für alle Zeiten ein Beispiel nehmen an Helmut Kohl. Er, der sich seiner Bedeutung mit zunehmender Amtsdauer so sicher war wie der durchschnittliche Sonnenkönig, wusste ganz genau, dass es gerade die kleinen Dinge sind, die eine große Reputation nachhaltig beschädigen können: sonderbare Kopfbedeckungen, dicke Zigarren und vor allem Badehosen.