Weihnachten im SZ-Magazin - Best of

DIE GEWISSENSFRAGE - Dr. Dr. Rainer Erlinger hilft auch an Weihnachten

    FRAGE:
    "Die Eltern meines fünfjährigen Patensohnes sind recht liberal, auch in der Erziehung, nur an einem Punkt nicht: Sie lassen ihr Kind an den Weihnachtsmann glauben. Da wird jedes Jahr ein riesiges Tamtam gemacht, es werden Briefe zum Nordpol geschickt, und wenn der Kleine Wünsche äußert, heißt es, "schauen wir mal, was der Weihnachtsmann bringt". Ich finde das nicht nur total überholt, sondern mir kommt es auch falsch vor, ein Kind so zu belügen. Deshalb überlege ich, ob ich ihm - als verantwortungsvoller Pate - die Wahrheit sagen soll. Darf ich das? Muss ich es gar?" RUPRECHT Z., POTSDAM

    ANTWORT:
    In den allermeisten Fällen werden Sie finden, dass an dieser Stelle eine Lanze für die Wahrheit gebrochen wird. Und auch in diesem Fall hege ich naturgemäß große Sympathie für sie. Allerdings sind hier auch das Recht der Eltern, die Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen, und - über allem stehend - das Wohl des Kindes zu beachten. Es gibt durchaus Situationen, in denen Sie gehalten wären einzugreifen, auch wenn es sich nicht um Ihr eigenes Kind handelt. Wenn die Eltern in der Vorweihnachtszeit dem Kind vom süßen Glühwein abgeben, weil es dann erst so lustig ist und später so gut schläft - das wäre zum Beispiel eine Situation, in der das Kindeswohl in einem Ausmaß gefährdet ist, welches das Recht der Eltern auf Bestimmung der Erziehung zurücktreten lässt. Anders ist es jedoch mit dem Weihnachtsmann. Ob der Glaube daran positiv oder negativ für das Kind ist, scheint selbst eine pädagogische Glaubensfrage zu sein, auf jeden Fall ist da nichts eindeutig oder eindeutig falsch. Deshalb überwiegt im Prinzip das Recht der Eltern, die ja auch die restlichen 364 Tage im Jahr Sorge für das Kind tragen, und sie können bestimmen, wie sie ihrem Kind Weihnachten nahe bringen. Am Ende bleibt aber noch der Wert der Wahrheit als solcher. Ich verstehe nicht, warum man den Kindern völlig unnötigerweise die Mär vom Weihnachtsmann erzählt. Mir wurde von Anfang an die Wahrheit gesagt und das hat Weihnachten nicht schlechter, sondern sogar noch schöner gemacht. Also sprechen Sie mit den Eltern, ob es nicht besser wäre, ihrem Nachwuchs reinen Wein einzuschenken. Denn es ist auf jeden Fall deren Aufgabe und nicht Ihre zu erklären, dass der Weihnachtsmann eine Erfindung ist und in Wirklichkeit das Christkind die Geschenke bringt. Dass dem so ist, weiß schließlich - verzeihen Sie das Wortspiel - jedes Kind. Weihnachten im SZ-Magazin - Best of

    FRAGE:
    »Ich habe vor 25 Jahren mit dem Rauchen aufgehört. Weil es immer teurer wurde und ich meinen Kindern ein gutes Vorbild sein wollte. An die eigene Gesundheit dachte ich ehrlicherweise zuletzt. Anders eine gute Bekannte. Sie raucht wie ein Schlot. Weil sie es sich aber kaum leisten kann, will ich ihr zu Weihnachten eine Stange Zigaretten schenken. Jetzt steht aber auf der Packung: ›Raucher sterben früher‹. Kann und darf man mit so einem Geschenk eine Freude bereiten?« BURKHARD O., NEUSS

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    ANTWORT:
    Hier heißt es, drei Ebenen zu unterscheiden. Als Erstes: Um wessen Maßstäbe geht es? Abgesehen vom Wert, bei dem die Möglichkeiten des Schenkers die größere Rolle spielen, steht bei der Auswahl klar der Beschenkte im Mittelpunkt. Ihn muss das Präsent erfreuen, nicht den Schenker; dessen Freude sollte stets nur Widerschein der bereiteten sein. Theodor W. Adorno beklagte in seinen Minima Moralia den Verlust dieses Aspekts: »Wirkliches Schenken hatte sein Glück in der Imagination des Glücks des Beschenkten. Es heißt wählen, Zeit aufwenden, aus seinem Weg gehen, den anderen als Subjekt denken: das Gegenteil von Vergesslichkeit. Eben dazu ist kaum einer mehr fähig. Günstigenfalls schenken sie, was sie sich selber wünschen, nur ein paar Nuancen schlechter.« Ob Sie Spaß an Zigaretten haben oder nicht, interessiert deshalb kaum, es geht um Ihre Freundin; und die erfreut sich am blauen Dunst. Gilt das grenzenlos? Nein: Niemand soll sich genötigt fühlen, etwas zu verschenken, das gegen seine Überzeugungen verstößt. Doch das scheint nicht der Fall: Sie haben ja weder etwas gegen das Qualmen als solches, noch erachten Sie es als lebensgefährlich. Damit käme man zum dritten Punkt: Ist es unpassend, etwas mit dem deutlichen Hinweis auf einen frühen Tod zu überreichen? Ja, wenn es die Zigaretten auch ohne die Warnungen gäbe. So aber gilt wieder der Blickwinkel der Beschenkten, die sich davon offenbar bislang nicht hat stören lassen. Sie könnten natürlich auch die Warnungen einzeln weihnachtlich überkleben. Als Zeichen persönlicher Zuwendung würde mir das sogar gefallen. Allerdings zweifle ich, ob Sie Ihrer Freundin unterm Strich einen Gefallen tun, wenn Sie Ihr helfen, diesen nicht zu leugnenden Aspekt des Rauchens auszublenden. Sogar dann, wenn es mithilfe von Sternen, Engeln und anderen himmlischen Motiven geschieht.

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    FRAGE:
    »Alle Jahre wieder dieselbe (Gewissens-) Frage: Soll ich Weihnachten zu meinen Eltern fahren oder darf ich bei mir zu Hause bleiben? Ich bin weit über dreißig, Single, und genieße die Feiertage bei mir daheim, ganz stressfrei, ohne mühsame An- und Abreise (überfüllte Züge, kilometerlange Staus usw.), ohne Diskussionen (zuerst Essen und dann Bescherung oder umgekehrt?), ohne Kleiderzwang (wann ziehst du dich um, du ziehst dich doch noch um, oder...?), ohne als einziger Single unter all den Paaren (Eltern, Geschwister) von ein paar Bierchen in meiner Lieblingskneipe zu träumen! Also: darf ich zu Hause bleiben? Danke und schöne Weihnachten.« TATJANA S. aus Berlin

    ANTWORT:
    Zumindest was die Nöte auf dem Weg angeht, befinden Sie sich in bester Gesellschaft. Beschwerliche Heimfahrten liegen offenbar in der Tradition von Weihnachten. Meines Wissens hatten sich bereits die ersten in diesem Zusammenhang Reisenden eher unfreiwillig in ihre Geburtsstadt aufgemacht und dort mit allem möglichen Ungemach, insbesondere Überbelegung zu kämpfen. Auch die unglückliche Rolle von Singles neben den familiären Hauptakteuren scheint typisch zu sein. In der Ausgangsgeschichte treten sie entweder als intellektuell sprichwörtlich gering geschätzte Mitgeschöpfe auf (Ochs und Esel) oder werden von ihrem Arbeitsplatz weg nur kurzfristig und gesondert dazugeladen (Hirten).
    Trotzdem gehört das Familiäre ebenso zur Tradition wie das Schenken als Zeichen von Zuneigung. Ihr Erscheinen ist ein sehr persönliches und schönes Präsent. Es fällt in die Kategorie der besonders geschätzten selbst gebastelten, die sich nicht per Kreditkarte besorgen lassen. Allerdings mit einer Besonderheit: Sie als Tochter und Geschenk sind nicht von Ihnen, der Schenkerin, sondern von Ihren Eltern, den Beschenkten, einst selbst (mit Liebe?) gemacht worden. Ihr Beitrag ist lediglich, das Geschenk für begrenzte Zeit zur Verfügung zu stellen. Ist das geboten? Wägen Sie ab: Was ist größer? Die Freude Ihrer Eltern, weil Sie zum Fest nach Hause kommen, oder Ihre, wenn Sie an diesem Tag wie an vielen anderen in Ihrer Kneipe sitzen? Überwiegt die Freude Ihrer Eltern, scheint ohnehin alles klar. Überwiegt die Ihrige, nehmen Sie es trotzdem auf sich: Es ist ja schließlich Weihnachten.

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