Halsweh, Schnupfen, Husten

Jeden Winter schlucken wir die gleichen Tabletten aus der Apotheke, und sie helfen nicht. Warum erfindet nicht mal jemand ein Medikament, das wirklich was bringt?

Ärzte können Herzen transplantieren, künstliche Hüftgelenke einbauen, dem Gehirn beim Denken zusehen und Videokameras in so kleinen Kapseln konstruieren, dass man sie herunterschlucken und in Echtzeit Bilder aus dem Körperinnern bestaunen kann. Beeindruckende Fortschritte. Aber ein wirksames Medikament gegen Erkältungen gibt es nicht. Nix – rein gar nichts. Gegen Husten, Schnupfen, Heiserkeit ist kein Kraut gewachsen. Warum eigentlich?

Erklärungen dafür gibt es mehrere – eine medizinische, eine marktwirtschaftliche und eine kommunikative. Der medizinische Grund: Viren sind einfach viel zu schlau für den Menschen. Und es gibt viel zu viele von ihnen. Der grippale Infekt, die Erkältung, kann von etlichen Unterformen der Adenoviren, der Rhinoviren, der Enteroviren und nicht zu vergessen der Paramyxoviren ausgelöst werden. Und dann gibt es noch ein paar Ausnahmen, in denen sie durch andere Erreger übertragen werden. Aber selbst wenn man sich auf einen Erreger konzentriert, gelingt ein Therapieerfolg kaum: Viren sind viel zu tückisch, weil sie sich immer wieder gekonnt den Abwehr-Attacken der Mediziner entziehen.

Was auch ausprobiert wird – gegen die Wandlungsfähigkeit der Erreger und ihr Anpassungstalent blieb bisher noch jedes Medikament machtlos. Die Überlegenheit der Viren gegenüber Arzneien liegt manchmal auch in einer gewissen Schlampigkeit der Erreger begründet. Denn bei ihrer lässigen Vermehrung kommt es immer wieder zu kleinen Kopier- und Ablesefehlern im Erbgut. Deshalb entstehen während der Vervielfältigung der Viren immer neue Varianten, die sich in ihrem Aufbau und ihren Eigenschaften von den bisher bekannten Keimen ein wenig unterscheiden. Mal angenommen, mal rein hypothetisch, es gebe eine erfolgversprechende Therapie: Nach ein paar Vermehrungszyklen wäre sie schon wieder wirkungslos.

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Aus marktwirtschaftlicher Sicht ist die Antwort noch eindeutiger: Wer will denn überhaupt ein Mittel gegen Erkältungen? Es gibt mindestens so viele Hustensäfte, Schnupfensprays und Halstabletten wie Unterwäschekollektionen – und manche davon sind ähnlich teuer aber weitaus wirkungsloser. Keiner dieser Säfte, Sprays und Pillen hilft, was immer wieder Anlass gibt, neue Säfte, Sprays und Pillen auf den Markt zu bringen und auszuprobieren. Der verrotzte Konsument staunt und kauft – und merkt bald, dass es schon wieder nichts bringt. Spätestens bei der nächsten Erkältung kauft er das neue Präparat.

Und was wäre mit den Hunderten Vitamintabletten, -präparaten und -lösungen, die ein Drittel aller erwachsenen Deutschen einzig zu dem Zweck nimmt, keine Erkältung zu bekommen? Eben. Die bringen zwar medizinisch rein gar nichts, was wissenschaftlich längst erwiesen ist, aber der Milliardenumsatz für die Hersteller allein in Deutschland ist unbestritten. Bleibt der kommunikative Ansatz.

Im flüchtigen Miteinander gebieten es Anstand und Sitte und es gehört zu einer nicht weg zudenkenden abendländischen Kulturtechnik, dem Gegenüber im idealen Abstand für eine Tröpfcheninfektion "Gesundheit" zu wünschen, wenn er seine Viren in einem feinen Sprühnebel im Radius von bis zu fünf Metern verteilt. Und im engeren Miteinander werden Alltagsarchäologen einst erforschen, wie viele Beziehungen nur deswegen gehalten haben, weil sich die Partner durchschnittlich dreimal im Jahr gegenseitig Hühnersuppe, Tee mit Honig und in sadistisch veranlagten Bindungen auch Salzwasser zum Gurgeln oder ein Kamillendampfbad ans Bett gebracht haben.

Fotos: Paul Kranzler