Wir liefen mit riesigen Sonnenbrillen auf den Nasen durch die Straßen von Miami, es war ein heißer Tag im November. Als wir uns in einem Diner niedergelassen und Spiegeleier bestellt hatten, nahmen wir die Sonnenbrillen ab. Kerstin sagte: »Das sind dann diese Fotos in den Klatschmagazinen, unter denen steht, dass die Hollywoodstars ungeschminkt aussehen wie ganz normale Menschen.«
Eine knappe Woche lang waren wir schon in Florida unterwegs gewesen, in einem Ford Mustang Cabrio, wir hatten die an einem Hurrikan zerschellten Keys gesehen und uns im Quarzsand am Golf von Mexiko geräkelt. Kerstin hatte die Reise in einer Tombola gewonnen, alles war verboten luxuriös – und zum Abschluss durften wir noch zwei Nächte in einem sauteuren Hotel am Strand von Miami verbringen. Der Abendhimmel war zartlila angemalt, in der Hotelbar genehmigten sich Bono und The Edge einen Drink, die ikonenhaften Gesichter der beiden kleinen Männer sahen aus wie gezeichnet. Comicfiguren, dachte ich, das weiß ich noch ganz genau. Vielleicht entschieden wir uns auch deshalb dafür, den Abend im Hotel nebenan zu verbringen, das genauso luxuriös und sauteuer war wie unser Hotel, aber nicht so aufdringlich elegant. Und es hatte auch insgesamt ein bisschen mehr Bling zu bieten.
Wichtig fürs Protokoll ist, dass wir damals, Anfang der 2000er, großen Wert auf unsere Bikinifiguren legten, also hatten wir seit Tagen nicht zu Abend gegessen, es gehörte nicht mehr zu unseren täglichen Routinen, was natürlich idiotisch ist, wenn man vorhat, sich einen reinzustellen.
Wir schmissen uns in schwarze Spaghettiträgerfummel, die noch dünner waren als unsere Taillen, und enterten die Blingbar nebenan. Großes Hallo an einem Tisch mit vier Typen aus Düsseldorf. Sie waren wegen irgendeiner Messe in Miami, sie waren laut, aber irgendwie ganz lustig, auf jeden Fall lustiger als Bono und The Edge. Sie trugen pastellfarbene Hemden, helle Chinos und zu viel Produkt in den Haaren.
Um uns herum feierten die Rich Kids of Miami, es wurde gejohlt und getanzt, ich glaube, niemand trank etwas anderes als Champagner
Na ja, dachten wir, lass stecken, und lass sie vor allem zahlen, und das taten die Düsseldorfer nur zu gern, sie wedelten mit ihren Kreditkarten und bestellten wannenweise Champagner: Die Flaschen wurden nicht in Kübeln mit Eis geliefert, sondern in silbernen Schalen in der Größe von Babybadewannen, und es waren immer gleich sechs Flaschen. Gut, dachte ich, für jede und jeden von uns eine. Und noch eine. Und noch eine. Um uns herum feierten die Rich Kids of Miami, es wurde gejohlt und getanzt, ich glaube, niemand trank etwas anderes als Champagner. Für einen Augenblick hatte ich kac moralny, Moralkatzenjammer, wie man in Polen sagt, aber nach dem übernächsten Schluck Schampus ging es eigentlich wieder. Überhaupt ging alles, das dachten vermutlich auch die Düsseldorfer, und in meinem Champagnernebel merkte ich nicht, dass sie immer näher rückten.
Aber Kerstin merkte es. Kerstin ist ausgebildete Juristin, sie hat sehr feine Antennen für unlautere Absichten. Sie schnappte mich an meinen Spaghettiträgern. »Simone, wir gehen jetzt.«
Ich protestierte.
»SIMONE.«
Ich erinnere mich noch daran, dass wir kurze Zeit später im Aufzug unseres Hotels standen und ich sagte: »Wow, du siehst aus wie ein Bond-Girl.«
Dann bricht mein Film ab. Er setzt erst am nächsten Morgen wieder ein, als ich mir die vorige Nacht, nun ja, noch mal durch den Kopf gehen ließ und erstaunt feststellte, dass das Zeug in der Schüssel klar und glitzernd war, und dass es prickelte.
»Kerstin«, sagte ich, als ich aus dem Bad kam, »ich glaub, ich hab eben Champagner gespuckt.«
»Das«, sagte Kerstin, »hab ich heute auch schon gemacht.«
Wir sahen aus wie ganz normale Leute.