Trank der unbegrenzten Möglichkeiten

Nur Dax-Konzerne und Atome sollten fusionieren, findet unser Autor – bis er japanische Sojamilch mit Apfelsaft kostet. Auf einmal gerät er ins Träumen: Wo stünde die Gesellschaft, wenn man noch unterschiedlichere Dinge miteinander verschmelzen ließe?

Foto: Erli Grünzweil

Letztens war ich in einem japanischen Lokal. Einem einfachen Laden mit einfachen Gerichten und einfachen Gästen, also keinem Sushi-Snob, der mit herablassender Miene kommentiert: Es heißt Ka-wa-ii, nicht Ka-WAI. Auf der Getränkekarte stand ein einfaches Getränk mit der einfachen Umschreibung »Apfel-Sojamilch«. Mir kam diese Liaison von deutschem Apfelsaft und japanischer Sojamilch spanisch vor, also bestellte ich ein Glas.

Die Japaner machen ja die verrücktesten Sachen. Deshalb will jeder hin. Allein voriges Jahr flogen sechs meiner Freunde nach Japan. Sechs! Eine enorme Menge, wenn man bedenkt, dass meine Freunde weder zahlreich noch Vielflieger noch Japaner sind. Ein beeindruckendes Land. Die Japaner schafften es in kürzester Zeit, dass niemand mehr über ihre Invasionen redet (Grüße an die koreanische Leserschaft!), sondern nur noch über Ramen und Matcha und sprechende Kloschüsseln und Manga-Mädchen mit kurzen Röcken und großen Augen und elektrische Pika-Pika-Mäuschen und Schnellzüge – Freunde, der SHINKANSEN! Davon kann sich die Deutsche Bahn ruhig ’ne Scheibe abschneiden, ein hauchdünnes Scheibchen, an japanischen Messern schneidest du dich ja schon, wenn du nur an sie denkst. Wir Chinesen kaschieren unsere Kriegsverbrechen anders, mit einer Polizeisirene und klickenden Handschellen.

Die Kellnerin stellte mir ein eisgekühl­tes Glas Sojamilch mit Apfelsaft hin. Zwei Teile Soja, ein Teil Apfel. Der Trunk schmeckte so erfrischend, dass ich die Brutzelhitze vergaß, die vehement die Tür eintrat. Begeistert fragte ich nach dem Ursprung dieses Getränks. Etwas unbeeindruckend erzählte die Dame: Ein Kollege trank eines Sommers kalte Sojamilch und kippte dann einen Restschuss Apfelsaft rein, der irgendwie rumstand. Man befand das Getränk als lecker und nahm es auf die Karte. That’s it.

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Mich ließ diese kulinarische Kühnheit nicht los. Eigentlich mag ich nicht, was der gentrifizierte Kiezmund als »Fusion Food« bezeichnet, also die Verschmelzung kulinarischer Richtungen. Fusionieren sollten nur Dax-Konzerne und Atome. Es wollen doch heute eh alle »authentisch« essen und trinken, für manche Authentisch-Hardliner muss auch noch das Ambiente stimmen. Wenn das Gesäß keinen Platz auf einem bunten Plastikhocker findet, kann es kein »echter« Vietnamese sein!

Gleichzeitig entstanden ja die tollsten Kreationen aus Fusion. Für den koreanischen »Armee-Eintopf« Budae Jjigae mixte man während des Koreakrieges heimische Zutaten wie Instant-Nudeln und Kimchi mit Konserven der US-Armee, Hotdog-Würsten, Formfleisch, Käse, und was wie das unheilige Nachtmahl eines halb verhungerten Kneipengängers klingt, wurde eines der beliebtesten Gerichte des Landes. Oder das vietnamesische Bánh mì, das nur geboren wurde, weil der treueste Freund des französischen Kolonialisten nicht der Hund, sondern das Baguette ist.

Fusion ist Fortschritt. Gerade erstarken Kräfte in diesem Land, die beim Gedanken, der deutsche Apfelsaft könnte sich mit anderen Flüssigkeiten als deutschem Mineralwasser mischen, die rechte Hand hochschnellen lassen wollen. Müsste man da nicht erst recht Mut zur Offenheit haben? Was für Möglichkeiten es gäbe! Vorschlag für einen Plot: Ein Manga-Junge schaut einem Manga-Mädchen tief in die großen, runden Augen und haucht ihr dann ins Ohr: »Meine gigaschlanken Wadln san a Wahnsinn für die Madln«, wo­rauf sie leicht errötet und vorschlägt, man könne ja noch bei ihr »eine Serie schauen«, etwa Der Bulle von Tokio, wo Ottfried Fischer heiße Quellen infiltriert und mit den Yakuza ein Peitinger Bräu zwitschert. Oder eine Apfel-Sojamilch.