Wir nannten es tanzen gehen, aber unsere Eltern interessierten sich nur fürs Sicher-Hin-und-Durch- und-Heimkommen. Wir verbrachten den Samstag mit Vorbereitungen, gingen zu H & M, zu dm, probierten an, wandten an, und wenn wir endlich loszogen, hatten wir meistens schon einen wunderbaren Tag miteinander hinter uns. In den Augen der Eltern war unser Ausgehen ein einziger Stressfaktor, das war mir schon damals klar. Sie betrachteten mit Sorge, was wir anzogen, sie machten sich Sorgen, während wir weg waren, und erlebten noch mal einen Sorgenhöhepunkt rund um die vereinbarte Heimkommzeit. Hielten wir uns daran, hinderte uns jemand anderes daran? Mein Ausgehen war immer an einige Utensilien geknüpft: ein Nokia, Pfefferspray und ein kleines Gerät, das sehr laut werden konnte, wenn man an einer Schlaufe zog. Meine Mutter hatte es von einer anderen Mädchenmutter empfohlen bekommen. Das sirenenartige Geräusch sollte Männer erschrecken und dazu bringen, von uns abzulassen. Es war die Zeit der Alkopops und K.-o.-Tropfen. Wir waren 15, 16. Alles verlief in einem paradoxen Spannungsfeld: Wir taten einiges, um Jungs anzulocken, und unsere Eltern hätten alles getan, um Jungs abzuschrecken. Wir wollten Spaß, sie wollten Sicherheit. Wir wollten wegbleiben, wir sollten nach Hause kommen. Wir freuten uns auf den Abend, unseren Eltern grauste davor.
Neulich sprach ich an einem Samstagmittag mit der Mutter eines Teenagers, deren Kind am Abend ausgehen wollte. Sie sagte, sie müsse sich immer vorher darauf einstellen können. Sich darauf vorbereiten. Eigentlich begriff ich die andere Seite erst in diesem Gespräch. Meine Mutter hat mir mal erzählt, dass sie an der Art, wie ich heimkam, schon hören konnte, wie viel ich getrunken hatte, und somit auch, wie laut ich jetzt noch sein würde, bis ich endlich schlief, und wie die Laune morgen früh sein würde. Im Grunde hörten also die Sorgen selbst mit dem Schlüssel im Schloss nicht auf. Aber so richtig kapiert, dass man sich auch als Mutter auf einen Samstagabend vorbereiten muss, hatte ich nicht. Male ich mir das aus, klingt es wie ein ziemlich voller Samstag, bei dem es einiges zu beachten gibt: Man kann nicht 30 Botschaften mitgeben, man muss sich, schon allein um nicht zu nerven, überlegen, auf welche drei Dinge man hinweisen will – etwa drohendes Gewitter, den Temperatursturz am Abend, dass irgendeine Bahn wegen Bauarbeiten gerade nicht fährt. Man muss sich als Eltern für den Abend etwas Gedankenbindendes vornehmen. Aber nicht an einem Ort, an dem man keinen Empfang hat. Kein Kino. Am besten zu Hause eine gute Serie schauen – die man aber nicht gerade erst anfängt, sondern in der man schon drin ist. Mehr so Staffel 2, Episode 3. Nichts mit Gewalt an Kindern. Man braucht alkoholfreien Wein, sodass man zur Not noch fahren kann um halb eins. Mittags nach dem Einkauf noch einmal die Straße entlanggehen, in der man glaubt, das Auto geparkt zu haben. Überlegen, ob man die Brille schon mal neben den Autoschlüssel in den Flur legt, oder beschreit man damit den Notfall? Post-it ans Handy kleben, der daran erinnert, nicht ständig nachzufragen, ob alles in Ordnung ist. Wo man doch eh weiß, dass das erklärte Ziel des feiernden Kindes genau das ist: dass nicht alles in Ordnung ist, sondern außer Kontrolle.
Ich weiß noch, dass ich die Beschwörungen meiner Eltern insofern ernst nahm, als ich auch nicht bewusstlos enden wollte. Es stellte sich heraus, dass sich die Dinge gut verbinden ließen. Jungs ungefragt ihr Getränk abzunehmen und daraus zu trinken, verstanden die als Flirt. Es sparte Geld – was ich ja seit dem Nachmittag nicht mehr hatte – und schien mir der sicherste Weg, ungewollten Substanzen zu entgehen.