In der Vorstellung hat es so was Ursprüngliches, man würde sagen: Das ist erlebte Natur! Regenwasser sammeln und verwenden, aus einer Regentonne schöpfen und damit die Blumen gießen oder es ins Planschbecken füllen und darin baden, an heißen Tagen damit duschen. Was vom Himmel kommt, würde man doch denken, ist unbehandelt, unbeschadet, es hat ja noch zu nichts Kontakt gehabt als Wolken, Luft und Wind. Früher als Kind streckte man die Zunge heraus, um Regen zu fangen und zu »trinken«, sobald es mal schneite sowieso: Flocken auf der Zunge sammeln und den Himmel schmecken.
Ich hatte den Regen immer als harmlos gespeichert in meinem inneren System, in dem sich in der Kindheit mal die ersten Dinge geordnet haben. Jeder Buchstabe des Alphabets hatte ein Geschlecht, jeder Wochentag eine Farbe und jedes Wetter einen Charakter. In den vier Wänden dieser Klarheiten waren das A männlich, der Montag gelb und der Regen lieb.
Vielleicht lag es an dieser aufgestellten Ordnung, dass es mich regelrecht schockierte zu lesen, dass Regen giftig ist. Und zwar überall, nicht nur über Wuppertal oder Nancy, nicht nur in Europa, nicht nur über Städten, nicht nur in Industrienationen, nicht nur manchmal, sondern immer und bis in die entlegensten Ecken der Erde. Regen, der über der Antarktis herunterkommt, ist es genauso wie Regen, der über dem Himalaja niedergeht.
Herausgefunden hat das ein Forschungsteam der Universität Stockholm. Es wies im Regenwasser hohe – und für Menschen zum Trinken zu hohe – Anteile per- und polyfluorierter Chemikalien nach. Man kürzt diese Stoffgruppe als PFAS ab und bezeichnet sie auch als »ewige Chemikalien«, weil sie ewig lange nicht abgebaut werden können und im System der Erde ewig erhalten bleiben.
Jeder hat ewige Chemikalien im Haus. Ach was, im System
Ganz so ewig sind die »ewigen Chemikalien« natürlich nicht. Mag sein, dass wir noch ewig mit ihnen zu tun haben, aber sie existieren noch nicht ewig. Erfunden und verbreitet angewendet werden sie erst seit den späten Vierzigerjahren. Sie stecken in Kosmetikartikeln, Pfannen und Töpfen, Papierbeschichtungen, Textilien und Ski-Wachs, sie werden zur Oberflächenbehandlung von Metallen und Kunststoffen, in Pflanzenschutzmitteln oder Feuerlöschmitteln verwendet, so erklärt es das Bundesumweltministerium auf seiner Internetseite. Soll heißen: Jeder hat ewige Chemikalien im Haus. Ach was, im System. Die Forscherinnen und Forscher nennen die Verunreinigung unumkehrbar.
Und im Regen sind sie eben auch längst: Ihr Anteil liegt um das 14-Fache über den Grenzwerten, die die Umweltbehörde der USA für Trinkwasser empfiehlt. Die Chemikalien lagern sich im Körper an und können die Fruchtbarkeit verringern, bei Kindern zu Entwicklungsstörungen führen und einige Krebsarten wie etwa Hodenkrebs begünstigen.
Neulich sprach ich mit jemandem über die Arbeitswoche, und dann sagte diese Person, sie freue sich auf Freitag. Das hat mich erst mal nicht aufhorchen lassen, ist ja recht normal. Dann sagte sie noch, ganz nebenbei, dann werde es heller. Ich kannte den Wetterbericht nicht, aber glaubte das einfach mal so. Kann ja sein, dass zum Wochenende hin die Sonne rauskommt. Aber schließlich erkannte ich, was da vor sich ging: Ihre Tage hatten auch Farben. Sie wurden eben heller. Wir kamen ins Gespräch. Ihre Buchstaben hatten kein Geschlecht, aber sie waren wahlweise gut oder schlecht, was, wie wir herausfanden, auch damit zusammenhing, wie leicht sie für die Kinderhand zu schreiben gewesen waren. Es war schön, so zu reden. Und dann erzählte ich das vom Regen und dass man den nicht mit der Zunge auffangen und trinken darf.