Trinken wie ein König

Die teuersten Cocktails sind nicht immer die besten – aber manchmal schon: Wer sich einmal im Leben wie ein König fühlen will, sollte den Prince of Wales probieren.

Foto: Maurizio Di Iorio

Wer 59 Jahre lang darauf warten muss, König zu werden, wer 59 Jahre lang bedeutsam, aber ohne Einfluss ist, sucht sich ein paar Hobbys, damit die Zeit schneller vergeht. Die Rede ist von Kronprinz Albert Edward, genannt Bertie, dem ältesten Sohn von Queen ­Victoria, der so viel Zeit und Geld hatte, dass er gar nicht anders konnte, als in Nachtclubs, auf der Pferderennbahn, in Casinos, Theatern und auf oder unter nackten Sängerinnen und Schauspielerinnen zu landen. Man kann es nicht anders sagen, Bertie war ein Bonvivant, eine Art Gunter Sachs des 19. Jahrhunderts, der jeden Tag zwanzig Zigaretten und zwölf Zigarren geraucht haben soll. In Aphorismensammlungen wird ihm folgender Ausspruch zugeschrieben: »Wein trinkt man nicht einfach, man riecht ihn, betrachtet ihn, schmeckt ihn, nippt an ihm und spricht über ihn.« Ein typischer Bertie-Satz. Dekadent, schwärmerisch, mit jeder Menge Gespür für die kleinen Unterschiede, während um ihn herum Heuchelei und Verklemmung regierten.

Ich bin Bertie bis an mein Lebensende dankbar für sein tiefes Interesse an den fragwürdigen Dingen des Lebens, vor allem aber, dass er gern mal verschiedene Getränke zusammenschüttete und probierte, wie die Mischung schmeckt. Es ist nämlich der spätere König Edward VII, (der immerhin die Entente Cordiale abschloss), dem die Erfindung meines Lieblingscocktails zugeschrieben wird, der nach dem benannt wurde, was er 59 Jahre lang war: Prince of Wales.

Ich werde den Abend nie vergessen, an dem ich ihm zum ersten Mal begegnet bin. Es muss 15 Jahre her sein, von Cocktails hatte ich wenig Ahnung, ehrlich gesagt hielt ich sie für provinziell, weil die meisten Menschen, die öfter einen Mai Tai oder Mojito tranken, auf Sommerhits standen und auf Schlagerpartys gingen. Ich saß an diesem Sommerabend also in der Bar, in der ich so oft Gin Tonic trank, als ich beobachtete, wie einem älteren Herrn am Nebentisch ein Getränk in einem silbernen Becher serviert wurde. Das Silber dampfte, so kalt war es, nach ein paar Sekunden benetzte Schmelzwasser den hölzernen Tisch, aus dem Glas ragten scharfkantige Eiswürfel, und obwohl ich eine Zitronenzeste und sogar eine Cocktailkirsche erahnte, wirkte dieser Drink nicht kitschig, sondern edel und würdevoll.

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»Verzeihen Sie, was trinken Sie da?«, fragte ich ihn.

»Einen Prince of Wales«, sagte er, nicht barsch, aber doch andeutend, dass er nicht gestört werden wollte, weil er mit sich allein gerade eine ziemlich gute Zeit hatte.

Und obwohl ich mir mit meinem Gin Tonic auf einmal wie ein Teenager vorkam, bestellte ich an diesem Abend keinen Prince of Wales mehr. Ein paar Tage danach aber war es so weit. Es war der Moment, in dem ich begriff, was ein Cocktail auch sein kann, wie aromatisch und komplex, und wie bewundernswert die Menschen sind, die ihr Leben der Kreation und Bewahrung solcher Genüsse verschreiben. Seitdem trinke ich ihn an Sommerabenden, am liebsten draußen, wenn das Licht schwindet und die Luft voller Gemurmel ist, nie im Winter, dafür ist er mir zu wenig heimelig, zu wenig melancholisch.

Sie wollen wissen, wie das Zeug schmeckt? Wie ein Frühlingsregen, wie ein Obstgarten, wie ein rauschender Ball auf einem Barockschloss. Der vorgekühlte Silberbecher oder -kelch ist dabei nicht unwichtig. Er katapultiert einen in ein anderes Jahrhundert, als wäre man für einen Abend ein Graf oder Ritter. Leider denken manche Menschen, man dürfe den Becher anschließend behalten. Darf man nicht. Sollte man auch nicht. Am Ende kommen Barkeeper noch auf die ab­surde Idee, den Prince of Wales in einem Glas zu servieren.