Selbst im Freibadbecher lässt sich das Glück zusammenbrauen

Was macht einen Sommerdrink aus? Die richtigen Zutaten? Die schöne Farbe? Oder doch eher Gefühlsschnipsel und Erinnerungen?

Spritz, Lillet Rosé Tonic, Hugo: Auf jeden Fall muss was Grünes dabei sein.

Foto: Maurizio Di Iorio

Einen der ersten Aperol Spritz habe ich in einer Strandbar am Kemnader See, in Witten-Herbede bei Bochum getrunken. Und im Grunde ist damit alles über das Konzept Sommerdrink gesagt: Er hat es geschafft, wenn es ihn überall gibt.

Und wenn man ihn überall bestellt. Wenn man ihn sogar im Freibad am Kiosk ordert, wo sie ihn in Windeseile zusammenschütten und im Plastikbecher über den Tresen schieben. Der Becher ist noch lauwarm von der Spülmaschine, riecht auch noch leicht modrig, und der Becherrand ist aufgeraut, weil er zu oft zahnenden Babys zum Spielen in die Hand gedrückt wurde. Trotzdem balanciert man dann diesen Mix aus Widrigkeiten an seinen Wiesenplatz, und er schmeckt nach Urlaub.

An Tagen, an denen die Sonne orangefarben und pink über der Großstadt untergeht, schmeckt er sogar selbst gemixt gut. Womöglich ist das die ultimative Definition: Der Sommerdrink hat es geschafft, wenn man ihn sich auch zu Hause macht. Äquivalent aus der Musik: Nicht nur im öffentlichen Raum zu Despacito tanzen, sondern herunterladen und in der eigenen Küche hören.

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Aber wie kann das sein, dass sich der Spritz schon so lange hält und es ihn überall gibt? Vielleicht liegt die Lösung in den Zutaten. Was also braucht ein Sommerdrink? Aus Sicht der Gastronomen: Er sollte nicht aus mehr als drei Zutaten bestehen, wovon mindestens zwei auch einzeln verkauft werden können. Haltbarkeit wäre nicht schlecht. Und das Glasvolumen sollte sich zu einem guten Teil mit Eiswürfeln bestreiten lassen. Aus Sicht der Kunden: Fast egal, mit Alkohol halt. Könnte man denken.

Aber so einfach ist es dann doch nicht. Jörg von der »Bar Gabányi«, die in München am Beethovenplatz liegt, empfiehlt Wermut Soda. Das hat einen gewissen Charme, klingt geheimnisvoll und unkompliziert. Aber die Farbe macht nicht so viel her. Farbe ist also auch wichtig. In einer anderen Münchner Bar, als das erste Mal die Sonne rauskam, bestellten die Leute am Nachbartisch souverän Lillet Rosé Tonic. Tolle blassrosa Farbe. Und der Name klingt schön, so könnte man glatt ein Kind nennen. Aber der Drink schmeckte so unbeiläufig. Das muss er also auch können: geschmacklich eine gewisse Unaufgeregtheit vermitteln. Der Sommerdrink ist ja das, was man trinkt, bevor man sich entschieden hat, was man den Rest des Abends trinkt.

Es dürfte jetzt durchaus wieder eine Abwechslung kommen. Als ich Anfang voriger Woche auf Mallorca, wo man sich mit derlei ja wohl auskennen müsste, stoisch »so was wie Spritz, aber mal was Neues« bestellt habe, empfahl der Kellner einen Hugo. Wie süß. Wann hatte dieses Getränk noch mal versucht, den Spritz abzulösen? 2010?

Der Sommerdrink ist eine Erinnerungsbrücke, manchmal auch -brühe, er muss nicht unbedingt gut schmecken, er muss nur schmecken wie zuletzt-als-es-so-schön-war. Selbst in einem Freibadbecher lässt sich das Glück zusammenbrauen aus assoziierten Gefühlsschnipseln: das Klackern der Eis­würfel, Eiswürfel im Nacken, Kindergeschrei auf Spanisch, ein Fußball, der gegen die Kirchplatzmauern prallt, Flieder­geruch, ein feuchter Bikini unterm Kleid, ein Weltmeistertitel, der erste Wind am Abend, Glockenschlag von irgendwoher, Katzenmiau, sonnenmüder Blickkontakt, Salzwasserhaar, auch morgen nichts zu tun.

Vielleicht ist der Spritz deshalb so schwer zu verdrängen. Er hat seine Position als Sommerdrink seit Jahren mit schönen Momenten gefestigt.