Tsunami aus Texas

Noch wurde kein Cocktail nach Sue Ellen Ewing aus der Serie »Dallas« benannt. Unsere Autorin möchte das ändern. Eine Hommage an eine Trinkerin, die Fernsehgeschichte schrieb.

Foto: Maurizio Di Iorio

Seit ich auf Menschen und Geschichten reagiere, gehört mein Herz den Antihelden, den gebrochenen Figuren. Vielleicht weil mir innere Verwerfungen zutiefst vertraut sind, weil mir der Riss in der Mitte der Seele so viel mehr sagt als eine Schlucht, über die jemand mutig springt, oder Knüppel, die eine verrückt gewordene Welt dem aufgeräumten Superstar zwischen die Beine wirft. Meine Leute und ich, wir stolpern immer noch selbst, schlagen unglücklich der Länge nach hin und auch mal aufs Gesicht, und dann, na ja, machen wir halt eine Flasche auf.

Flaschen sind nicht für alle so heilend, befreiend oder gar lustig wie für mich, Alkohol ist ein Teufel, er hat meinen Großvater zu früh sterben lassen, er hat mir Freunde genommen, er bringt Menschen in furchtbare Situationen. Ich möchte hier den brutalen Suff nicht feiern, aber ich muss sagen, wenn Sue Ellen Ewing voll wie eine Rakete die Treppe zur Eingangshalle der Southfork Ranch runterwankte, auf dem Weg zur Bar mit den Kristallkaraffen drauf, dann war das ein Naturereignis, eher eine Naturkatastrophe, eine Art Tsunami. Im Vergleich zu dieser Frau aus der US-Fernseh­serie Dallas kam mir Harald Juhnke vor wie ein Milchbubi.

Sue Ellens Drama war komplett selbst eingebrockt. Erst hat sie einen Schönheitswettbewerb gewonnen (Fehler!), dann hat sie J. R. Ewing geheiratet, den fiesen Boss der Öl-Firma Ewing Oil (Doppelfehler!). Sie wollte den Glam. Aber der Weg zu Glanz und Juwelen führte im Texas der Siebziger und lange Jahre danach natürlich durch die Betten von Männern. Sue Ellen stieg mit dem Bett von J. R. hoch ein, was folgte, war ein quälender Fall. Ein schier endloser Kampf um Liebe und Bedeutung, um einen Platz in der Hölle, in die sie sich freiwillig begeben hatte. Wobei Freiwilligkeit damals vermutlich nicht zum Handlungskanon von Frauen gehörte, deshalb habe ich ihr das nie vorgeworfen. Sie war eine Gefangene ihrer Zeit, etwas Zartes und zugleich Wildes in einer von Männern gemachten Welt. Sie hatte genau genommen gar keine Chance, aber was sie daraus machte, wow. Ihre Revolte war die Nichtanpassung. Sie tat einfach nie, was von ihr erwartet wurde.

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Foto: dpa

Noch im Drehbuch zu Dallas war die Rolle der Sue Ellen allein als hübsche Stichwortgeberin vorgesehen, als jemand, der »Noch Kaffee, Schatz?« fragte und angenehm im Hintergrund glitzerte. Als 1978 die zweite Staffel auf Sendung ging, hatte die Schauspielerin Linda Gray den Spieß längst umgedreht – sie stand mit magnetischem Blick und flammendem Haar an der Bar, dem emotionalen Zentrum der Serie. Sue Ellen war der Gegenentwurf zur geschmeidigen Pam und die entzuckerte Weiterentwicklung der niedlich-aufsässigen Lucy. Mit jeder Affäre, die J. R. anfing, schoss sie einen neuen Lover ins Spiel. Ihre Liebhaber waren immer Typen, die das größtmögliche Ärgernis für ihren Ehemann bedeuteten, vom verzweifelt-schmierigen Cliff Barnes über den cowboyhaften Rodeo-Ritter Dusty Farlow bis hin zum schönen Studenten Peter Richards. Sie liebte all diese Männer mit einer Heftigkeit, die sich nur aus ihrer Wut auf die Verhältnisse speisen konnte. Gefühlte hundert Mal checkte sie in Entzugskliniken ein, und kaum wieder zu Hause, enterte sie die Bar, während J. R. in seinem Büro wen auch immer über den Schreibtisch legte.

Die Ewing-Männer tranken Bourbon. Sue Ellen bevorzugte klaren Stoff und Rotwein, die Flaschen feuerte sie im Streit mit J. R. an die Seidentapete. Miss Ellie weinte.

1998, in einem Sequel zur Serie, am Ende ihres Aufstands, war Sue Ellen trocken und CEO von Ewing Oil.