Adele – »Hello«
Alles richtig gemacht: Adele veröffentlicht nach langer Pause eine neue Single, die halbe Welt hört andächtig hin, alle sind begeistert, nach einer Woche ist das Video auf YouTube schon mehr als 190.000.000 Mal aufgerufen worden (ja: hundertneunzig Millionen Mal), in Deutschland steht »Hello« auf Platz eins der Charts. Mit Recht: Der Song ist gut, Soul-Pop mit großer Geste und viel Drama, eine traurige Geschichte, eine kaputtgegangene Beziehung, die vielen Fans die Tränen in die Augen treibt und auch eher distanzierten Hörern den Eindruck vermittelt, ja, doch, es gibt da draußen richtig gut gemachten, einwandfreien Pop.
Das Video dazu ist ebenfalls gut gemacht, eine Frau, ein Mann, schmerzvolle Gesichter in Sepia-Tönen. Aber es gibt ein Detail, das im Internet für viel Spott sorgt: In einer Szene telefoniert Adele mit ihrem Mobiltelefon, und das ist eins von diesen Klapp-Handys, die vor zehn Jahren häufig, aber heute praktisch gar nicht mehr zu sehen sind. In den YouTube-Kommentaren, in den sozialen Medien, überall waren Witzeleien zu lesen: Ob Adele das Zeitreisen erfunden habe; ob sie nicht mitgekriegt habe, dass wir bereits 2015 haben; ob sie sich kein Smartphone leisten könne. Und so weiter. Alter, hat die ein altes Handy. Haha.
Dabei benutzt Adele in diesem Video auch lauter andere Gegenstände, die man als eher altmodisch bezeichnen kann. Sie setzt Teewasser auf, in einer Kanne, nicht etwa einem Wasserkocher. Und das auf einem Gasherd, nicht etwa einer Induktionsplatte. Als sie noch mal telefoniert, benutzt sie ein Festnetztelefon mit Ringelkabel.
Das ist natürlich kein Zufall, sondern Prinzip: In ihrem ganzen Auftreten, in ihrem Sound, in ihrer Inszenierung, bezieht sich Adele auf die Tradition der großen Soul-Diven der 60er Jahre. Sie überträgt deren Musik in die Gegenwart, kaum modernisiert, nur hier und da klanglich ein wenig angepasst. Dazu schluchzt sie wie Diana Ross und trägt eine Mähne, die auch Dusty Springfield gestanden hätte. Was Adele macht, kann man – im Guten wie im Schlechten – Manufactum-Pop nennen. Musik wie matt polierte Holzoberflächen und edel gebundene Notizbücher. Und so solls dann bitte auch aussehen. Ein iPhone, ein Thermomix, eine moderne Küche, was hätte das bitte in diesem Video zu suchen gehabt? Nein, da passen nur alte Telefone, alte Küchengeräte, alte Autos. Es gibt sie noch, die guten Dinge.
Erinnert an: handgeschöpftes Büttenpapier.
Wer kauft das? Alle.
Was dem Song gut tun würde: Wenn ihn nicht Hundertschaften von Castingshow-Kandidatinnen in den kommenden Jahren zersingen würden.
Foto: dpa