Kurze Zeitreise, zwei Jahre zurück: »Laber ned (unverständliches Gemurmel) Schlampe!« So klingt damals der Refrain einer jungen Frankfurterin, die unter dem Künstlernamen Hän Violett ihr erstes Mixtape veröffentlicht hat. In Videoclips fuchtelt sie mit Bikerhandschuhen hinter Metallzäunen in der Luft herum, und wenn Rap-Magazine sie interviewen, sagt sie »isch« statt »ich«. Die Rap-Magazine sind fasziniert: Da ist eine Frau, die nicht nur ähnlich hart austeilt wie die Frankfurter Rapper Haftbefehl oder Celo & Abdi (Kindheitsfreunde von ihr). Sondern die auch noch so spricht!
Zurück in die Gegenwart, selbe Frau, neuer Refrain: »Bei dir kann ich ich sein, verträumt und verrückt sein / nana nana nana – Danke, Lieblingsmensch.« Die junge Frankfurterin fährt im zugehörigen Clip auf dem Sozius eines Mofas durch die Sonne, vorne sitzt ein Junge und steuert. Sie schlendert mit ihm eine Küste entlang, fliederfarbener Blouson, fliederfarbenes Shirt drunter. Sie lächelt züchtig in den Wind und trällert: »Mehr als fünf Minuten kann ich dir nicht böse sein«.
Hän Violett nennt sich jetzt Namika, mit dem Hit »Lieblingsmensch« ist sie seit Wochen in den Top Ten, zurzeit auf Platz 3, die bisher höchste Platzierung. Kurz nach dem Mixtape unterschrieb sie damals einen Vertrag mit Sony und saß die letzten zwei Jahre mit sehr renommierten Produzenten zusammen. Vergangenes Wochenende vertrat Namika Hessen beim »Bundesvision Song Contest« - einer ihrer ersten Auftritte überhaupt. Sie spricht das »ch« jetzt immer sehr korrekt aus und postet Fotos und Filmchen, in denen sie ihren Fans (»meinen Lieblingsmenschen«) brav für die tolle Unterstützung dankt (»
Ist es also wirklich so, wie man es immer ahnt, aber dann ja doch nicht recht glauben mag? Weil es so stammtischhaft logisch klingt? Dass es nämlich eine Mainstream-Formel gibt, nach der man ein Talent zum Star formen kann, einen Rohdiamanten zum gut vermarktbaren Pop-Girl schleifen? Und dass die Major-Labels diese Formel rigoros anwenden? Es ist wohl wirklich so, und am Hit »Lieblingsmensch« zeigt sich dieses Phänomen in selten schöner Scherenschnitthaftigkeit. Weil das Vorher und Nachher so krass auseinanderklaffen – von der Rapperin mit Bikerhandschuhen zum harmlosen Zalando-Girl. Erstaunlich, aber dann doch sehr einleuchtend, wie perfekt diese Formel aufgehen kann: Großes Talent plus flauschiger Name plus Profi-Produzenten plus fliederfarbene Bluse minus Sex minus Ghetto-Akzent = Platz 3.
Erinnert an: die junge Norah Jones.
Wer kauft das? Verliebte Lehrertöchter und deren Mütter.
Was dem Song gut tun würde: Eine Strophe von Celo & Abdi.
Foto: dpa