Altwerden ist ächzend

Ab einem gewissen Alter scheint der Alltag irgendwie mühsamer zu werden. Aber was hat dieser Laut zu bedeuten, den unser Autor jetzt dauernd von sich gibt?

Illustration: Nadine Redlich

Ich mache dieses Geräusch, wenn ich mich hinsetze. Ich mache es, wenn ich mich hinlege. Ich mache es, wenn ich aufstehe. Ich mache es, wenn ich den Wäschekorb hebe, ihn absetze, mich zum Binden der Schnürsenkel bücke, mich aufrichte. Ich mache es also oft. Beschwert hat sich darüber noch niemand, auch nicht in meiner Familie. Vielleicht kann nur ich das Geräusch hören. Es ist ein leises Ächzen. Wäre ich eine Comicfigur, die gerade vom Sofa aufsteht, stünde da nicht in fetten Großbuchstaben UUUHHFFFZ!! über ihrem Kopf, sondern es wäre eine kleine, dünne Schrift und eher so etwas wie: Hnng. Oder: Mmp.

Ich habe zwei Vermutungen dazu, die mir beide nicht ­gefallen. Ich glaube, dass ich dieses Geräusch kenne. Von Männern, die in die Jahre gekommen sind, Großvätern etwa. Und ich glaube, dass ich dieses Geräusch früher nicht gemacht habe. Ich bin jetzt Mitte vierzig. Ist dieses Ächzen der Soundtrack meines Älterwerdens?

Ehrlich, ich bin ziemlich fit. Einmal die Woche Joggen, einmal die Woche Pilates, Blutdruck bestens, Herz und Lunge wunderbar. Na schön, in den vergangenen paar Jahren sind die Schuheinlagen, die Brille und eigenartige Körperreaktionen auf Roggen in mein Leben getreten, aber ist das ein Grund zu ächzen? Ächze ich vielleicht nicht unter meinen Knochen, sondern unter der Belastung meines Alltags voller beruflicher und familiärer Pflichten? Ach, dieser Alltag war früher noch viel belastender, als die Kinder kleiner waren.

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Fragst du mal Fachleute, denke ich mir. Im Nachhinein ­würde ich sagen: Hätte ich mir das mal nicht gedacht. Ich ­kontaktiere etliche Forschungseinrichtungen, die mit Medizin zu tun haben. Ein Mann vom Verband der Sportmediziner sagt mir, da sei ich bei ihm falsch, ich möge mich doch an Experten aus der Geriatrie wenden. Geriatrie ist Altersmedizin. Ein ­Physiologe lässt mich wissen, ich hätte in meinem Alter ja auch schon deutlich meine Halbwertszeit überschritten, Zwinker­smiley. Das »Gegenpressen beim Heben«, wie er mein Ächzen nennt, zeige möglicherweise »eine gewisse einsetzende Alters­atrophie«. Atrophie bedeutet Verfall. Schönen Dank, liebe Fachleute.

Thomas Tischer geht dann etwas pfleglicher mit mir um. Er ist Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Malteser Waldkrankenhaus St. Marien in Erlangen. »Wir kennen das vom Kampfsport«, sagt Tischer: »Die Atmung ist wichtig, um Kraft zu bündeln. Das leichte Zusammenpressen des Atems erhöht die Körperspannung, es ist eine unwill­kürliche kurze Fokussierung des Körpers.« Ich bin also fokussiert wie ein Kampfsportler, und mein Ächzen hat mit dem Altern gar nichts zu tun? Nun … nein. »Wenn man etwa aufsteht, ist das ein Akt der Anstrengung«, sagt Tischer, »und ein 70-Jähriger steht ja anders auf als ein 15-Jähriger. Vielleicht braucht man das Zusammenpressen im Alter mehr.« Tischer fügt hinzu, dieses spezifische Ächzen sei nicht erforscht und seine Erklärung daher Spekulation, allerdings klinge das so für ihn plausibel.

Entweder ich habe irgendwann in den vergangenen paar Jahren angefangen zu ächzen, weil ich älter werde. Ist mir schon klar, dass mein Körper seit etwa 20 Jahren in allen Belangen nachlässt. Oder ich habe schon immer geächzt und merke es erst seit recht kurzer Zeit, weil ich seit recht kurzer Zeit darauf achte, wie ich älter werde. Noch sind es harmlose Mängel, bei einem Fahrrad wäre es ein kleines Quietschen, das mal von vorn kommt, mal von links, mal von rechts. Ich hoffe, es bleiben harmlose Mängel, aber natürlich habe ich letztlich Angst vor meiner Endlichkeit. Diese Angst ist es, die bei allen Menschen dahintersteckt, die über ihr Älterwerden jammern. Und in zehn, 15 Jahren werde ich wohl anfangen, mir nicht nur um meinen Körper Sorgen zu machen. Ich habe neulich über mich gelacht, als ich mir an der Büro-Kaffeemaschine ­einen Cappuccino zog und erst mit einiger Verspätung merkte,­ dass es sich auch empfohlen hätte, eine leere Tasse hin­zustellen. Werde ich darüber noch lachen, wenn alle meine Haare grau sind? Oder werde ich Schusseligkeiten als Zeichen des geistigen Niedergangs sehen?

Ich habe probiert, was passiert, wenn ich beim Hinsetzen oder Aufstehen den Atem nicht zusammenpresse, sondern ruhig weiteratme. Ich ächze dann nicht. Aber wozu die Mühe? Um mir zu beweisen, dass ich das Älterwerden besiegen kann? Kann ich nicht. Ich kann es nur schulterzuckend hinnehmen. Zumindest solange mir an den Schultern noch nichts wehtut.