Erwischt

YouPorn.com ist die größte Porno-Seite der Welt. Eigentlich müsste es also jemanden geben, der voller Stolz von seinen Umsätzen erzählt. Aber nein: Niemand weiß genau, wer dahintersteckt. Wir haben uns auf die Suche gemacht


    Die Suche nach den YouPorn-Machern beginnt mit einem Klick: Chicks wrestling, loser gets banged in the ass. Das Video dauert vier Minuten und neun Sekunden. Zwei nackte Frauen jagen durch einen Ring, am Ende
    besiegt die »Glücksgöttin« den »Pfeilhecht« mit einem Würgegriff. Zur Strafe gibt’s einen Dildo in den Hintern. 1,6 Millionen Zuschauer haben das Video gesehen.

    60 Millionen Klicks hat YouPorn jeden Tag. Es gibt Schwarz-Weiß-Pornos aus den Vierzigerjahren, Pornos mit russischen Soldaten und Pornos mit Frauen, die so alt sind wie unsere Großmütter. Es gibt alles auf YouPorn. Nur kein Impressum. Wem aber gehört die größte Pornoseite der Welt? Im Sommer 2006 stellt ein Unbekannter YouPorn ins Netz. Die Seite sieht aus wie die Video-Plattform Youtube, und sie funktioniert auch so: kostenloser Zugang, verständlich gegliedert, gefüllt mit Videos, die jedermann ansehen, bewerten und auch selbst hochladen kann. Web 2.0 also, klassisches Mitmach-Internet. Die einzige Besonderheit: Es geht nur um Pornos.

    Die Seite ist von Anfang an ein Hit. Der Erfolg alarmiert die Pornoindustrie. Allein im Gründungsjahr von YouPorn fallen ihre DVD-Verkäufe um elf Prozent. Auch die Ermittlungsbehörden zahlreicher Staaten sind besorgt, die Seite verstößt fast überall gegen Jugendschutzgesetze. Doch niemand bekommt heraus, wer YouPorn steuert.

    Meistgelesen diese Woche:

    Ein Hinweis darauf findet sich im US-Magazin Portfolio, das im Oktober 2007 einen Beitrag über die mutmaßlichen Hintermänner von YouPorn veröffentlicht: Die Autorin hat einen Tipp aus der Pornoindustrie erhalten, Eigentümer sei ein Mann namens Stephen Paul Jones.

    Auch wir stoßen bei unseren Recherchen rasch auf Jones. Die Webseite youporn.com ist von Midstream Media International registriert worden, einer Firma mit Sitz auf der Karibikinsel Curaçao. Über eine Online-Datenbank und eine Kontaktperson auf der Insel besorgen wir uns die entsprechende Akte von der Handelskammer auf Curaçao. Treffer: Midstream wurde dort am 29. August 2007 eingetragen – von Stephen Paul Jones und Zhe Hong Lim.

    In der Akte findet sich auch der Name Avanti Management, die Firma war im Herbst 2009 drei Monate lang als Treuhänder für Midstream auf Curaçao tätig. Warum nur so kurz? »Wir wollten unseren Namen nicht mehr länger in Verbindung mit solchen Geschäften sehen«, sagt Ger Bouvrie, der Chef von Avanti. »Ich habe immer mit einem Mr. Jones in Amerika gesprochen. Meines Wissens leitet er die Geschäfte.«

    Erfahren Sie auf der nächsten Seite mehr über den geheimnisvollen Gründer von YouPorn.

    Wir tragen zusammen, was sich im Netz über Stephen Paul Jones aufspüren lässt: 47 Jahre alt, Absolvent der Stanford University Business School, Hobbypilot, wohnhaft in South Lake Tahoe in Kalifornien. Den Wert seiner dreistöckigen Villa mit 4000 Quadratmeter Grundbesitz schätzt die US-Steuerbehörde auf eine Million Dollar.

    Um herauszufinden, ob Jones wirklich in South Lake Tahoe wohnt, schicken wir ihm einen Strauß Blumen. Der Bote trifft niemanden an und hinterlässt einen Zettel. Ein paar Stunden später ruft Mr. Jones im Blumenladen an. Als er erfährt, dass jemand mit ihm über Midstream Media sprechen möchte, »hat er sofort begonnen, mich wüst zu beschimpfen«, sagt die Geschäftsinhaberin. Es klingt, als sei er unser Mann. Wir melden uns direkt bei ihm. »Ich habe euch etwas mitzuteilen«, sagt Jones. Seine Stimme bebt. »Meine Anwälte sind eingeschaltet. Sie werden euch jagen. Und sie werden euch wegen Belästigung verklagen.«

    Im Handelregister von Curaçao wird neben Jones ein zweiter Direktor von Midstream Media International genannt, der Firma, die hinter YouPorn steht: Zhe Hong Lim, 26 Jahre alt, geboren in Malaysia, früher wohnhaft in 24 Jane Bell Lane im australischen Melbourne. In Webseiten-Registern wie Domaintools.com stoßen wir auf mehrere Porno-Seiten, die Lim angemeldet hat. Dort finden wir auch seine Kontaktdaten. Doch Lim antwortet nicht.

    Dann eben über Umwege: Wir spüren ein Dokument der Universität Melbourne von 2008 auf, das über Forschungsprojekte berichtet: Zwei Studenten waren 2006 und 2007 an einer Studie beteiligt – Zhe Hong Lim und Richard Baron Penman. Penman reagiert sofort. Nach langer Funkstille habe Lim ihm einen Tag zuvor überraschend eine Mail geschickt: Er, Lim, werde derzeit von jemandem belästigt, der sich als deutscher Journalist ausgebe. Sollte der sich auch an Penman wenden, bitte nicht reagieren!

    Diese Bitte und unsere Anfrage machen den einstigen Kommilitonen allerdings neugierig. Er mailt Lim zurück: »Was ist deine Version der Geschichte?« Dessen Antwort leitet Penman an uns weiter: »Ja, ich hatte diese verrückte Idee, während des Video-Booms 2005/2006 mit Domains in diesem Bereich zu spekulieren«, schreibt Lim. »Eine davon konnte ich mit schönem Profit verkaufen. Die Seite ist heute eine der größten im Netz. Leider sind mein Name und meine Daten nun permanent damit verbunden.«

    Alles deutet darauf hin, dass Zhe Hong Lim tatsächlich YouPorn gegründet hat; kein Pornoprofi also, sondern ein damals 22-jähriger Informatik-Student. Sein Professor an der Universität Melbourne, David Martinez, sagt, Lim sei ein großartiger Student gewesen, schlau und umgänglich. Er habe davon gesprochen, nach dem Abschluss in die USA zu ziehen. Auch sein Kommilitone Penman glaubt, Lim sei inzwischen in die USA gezogen.

    In den Anfangsjahren ist die YouPorn-Seite langsam, hässlich und werbefrei. Offenbar geht es den Machern nicht so sehr um Profite. Zudem verzichten sie zunächst darauf, ein Markenzeichen einzutragen und sämtliche Domains zu reservieren, die entfernt nach YouPorn klingen. Ein klassischer Anfängerfehler: Wer seine Marke nicht schützt, riskiert Trittbrettfahrer. So kommt es, dass die Seiten youporn.de und youporn-chat.com bis heute dem deutschen Unternehmer Christoph Grüneberg gehören. Grüneberg verdient mit dem Namen viel Werbegeld. Und Midstream kann nichts dagegen tun.

    Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie der ominöse YouPorn-Gründer auf einen Hausbesuch reagierte.

    Inzwischen gibt es längst kommerzielle Werbung auf YouPorn. Doch die Chance, über Anzeigenkunden an die Betreiber der Seite heranzukommen, ist gering; wie üblich bei großen Webseiten, werden die Werbeflächen bei YouPorn von Zwischenhändlern vermarktet, meist großen Traffic-Netzwerken. Nach vielen Telefonaten stoßen wir auf zwei Werbekunden, die sagen, sie hätten direkt mit YouPorn verhandelt. Beide nennen den gleichen Namen: Jonathan Todd.

    Der Mann hat einen Twitter-Account und ein Profil bei Facebook – und ist verblüffend freimütig: Auf beiden Seiten gibt er an, für YouPorn zu arbeiten. In welcher Funktion er das tut, verrät ein Behördendokument vom Dezember 2009, das wir auf der Webseite des US-Copyright Office entdecken: Todd ist »Head of Business Development« von Midstream. Auch seine Adresse in der englischen Grafschaft Kent und eine Telefonnummer sind in der Internet-Akte verzeichnet.

    Wir rufen an, Jonathan Todd ist gleich am Apparat. Als er erfährt, wozu wir ihn befragen wollen, unterbricht er: »Sorry, ich frühstücke gerade mit meinen Kindern.« Kurz darauf mailt Todd, wir sollten ihm die Fragen schicken. Er beantwortet sie nicht. Stattdessen löscht Jonathan Todd seinen Twitter-Account, in dem Facebook-Profil verschwindet der Hinweis auf YouPorn.

    Wir haben die Namen von drei Männern, wir haben offizielle Dokumente, die belegen, dass sie als Gründer oder Betreiber hinter YouPorn stecken. Aber bisher haben wir keinen von ihnen getroffen. Also reisen wir in die Grafschaft Kent, zum »Head of Business Development«.

    Jonathan Todd lebt im viktorianischen Badeort Herne Bay. Ein schmaler, heckengesäumter Hohlweg führt auf einen Hügel über der Stadt, hinauf zu »The Old Mill House«, dem Wohnhaus von Todd. Rauch steigt aus dem Schornstein des schlichten Backsteinbaus. Rosenbüsche, zwei Holzschuppen, eine Wiese mit Kinderschaukel und Fußballtor, dahinter Äcker und ein weiter Blick bis zur Nordsee.

    Wir klingeln, die Tür geht auf, ein stämmiger Mann tritt heraus. Wir kennen ihn vom Foto auf seinem Facebook-Profil. Es ist Jonathan Todd.
    »Hallo Mr. Todd. Wir möchten gern mit Ihnen über YouPorn sprechen.«
    Todd stockt.
    »Das werde ich nicht tun.«
    »Warum?«
    »Kein Kommentar.«
    »Wir wollen nur ein paar Auskünfte.«
    »Sorry, Firmenpolitik.«
    Jonathan Todd schließt die Tür. Vor dem Haus steht ein silberfarbener Geländewagen. »TO DIX« steht auf dem Nummernschild. »Ein Hoch auf die Schwänze«, so ließe sich das Kürzel frei übersetzen.

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    Illustration: Christoph Niemann