Gefahr

DarkMarket war das eBay der Datendiebe. Bis die Betreiber einen neuen Systemadministrator anheuerten - er war ein FBI-Mann

    Im Februar 2005 beschließt Keith Mularski, eine Ratte zu werden. Vor Kurzem hat er sein neues Büro in der FBI-Abteilung für Cyberkriminalität im nordamerikanischen Pittsburgh bezogen. Der 34-Jährige ist seit sieben Jahren FBI-Agent, Identitätswechsel gehören bei ihm zum Beruf. Für seine neue Rolle nimmt er den Namen der Ratte Master Splinter aus der Zeichentrickserie Ninja Turtles an. »Ich mochte, dass sie in der Kanalisation lebt. Ich wollte ja auch in den Untergrund.« Und da in der Diktion der Hacker eigene Regeln herrschen, heißt er nun Master Splyntr. Es ist der Beginn der größten internationalen Ermittlung gegen Kriminalität im Internet.

    Master Splyntr, so strickt Mularski seine neue Legende, ist ein polnischer Spammer, der in den USA lebt und millionenfach illegal Werbemails in die Welt verschickt. Die Herkunft aus Polen ist wichtig, da Osteuropäer die Szene der Hacker beherrschen. Um Mularskis neuer Identität Glaubwürdigkeit zu verleihen, setzt eine Organisation, die gegen Spammails vorgeht, Master Splyntr unter die Top fünf der wichtigsten Spammer im Netz. So gelingt es Mularski alias Master Splyntr schnell, sich in der Untergrundwelt der Hacker und Spammer einzunisten.

    Viele von ihnen tummeln sich in sogenannten Carding-Foren, virtuellen Marktplätzen, auf denen alles angeboten wird, was Kriminelle im Internet benötigen: Virensoftware, gestohlene Kreditkartendaten, Hologramme. Der Handel blüht, seit mehr und mehr Menschen online einkaufen und dabei mit der Kreditkarte bezahlen; das FBI beziffert den Schaden durch Betrug im Internet inzwischen auf rund 560 Millionen Dollar, 2008 waren es noch 265 Millionen.

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    In einem dieser Foren trifft Master Splyntr auf JiLsi, einen berüchtigten Kreditkartenhändler. Master Splyntr und JiLsi diskutieren darüber, wie man im Internet Geld verdienen kann, zum Beispiel indem man in fremde Server einbricht. Schließlich lädt JiLsi den neuen Freund ein, Mitglied in seinem Carding-Forum zu werden. Es heißt DarkMarket, kurz nach der Gründung im November 2005 meldet sich Master Splyntr dort an.

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    Im echten Leben arbeitet JiLsi, damals 30, am Backofen eines Pizza-Service in London. Er lebt seit 13 Jahren in Großbritannien und stammt aus Sri Lanka. Seine einzige feste Adresse: das »Java Bean Internetcafe«. Von dort aus registriert JiLsi die Internetadresse www.darkmarket.ws und mietet einen Server im fernen Tampa, Florida.

    »Am Anfang war DarkMarket eine Einmannshow«, erklärt später der Leiter des britischen Ermittlungsteams, »JiLsi hat dann die Mitglieder rekrutiert und es groß gemacht.« Am Ende der Ermittlungen besitzt der Pizzabäcker drei Mietshäuser im Gesamtwert von einer Million Pfund.

    Sein virtueller Marktplatz entwickelt sich schnell zu einer Art eBay für Datendiebe: Ein Händler bietet an, Server zu knacken, um von ihnen illegal Spammails zu verschicken; ein anderer verkauft gestohlene Kreditkartendaten mit Mengenrabatt; ein dritter verspricht Ware, die mit gefälschten Kreditkarten gekauft wurde, in aller Welt abzuholen und weiterzuverschicken.

    Darüber hinaus bietet DarkMarket seinen Kunden ein ganzes Paket von Diensten an: Video-Schulungen im Hacken, Spammen und dem Manipulieren von Geldautomaten, Skimming genannt; außerdem Berichte über Sicherheitslücken in Rechnersystem. Und jeder, der will, kann auf der Seite Werbebanner für seine Produkte schalten. Doch niemand kennt die wahre Identität seines Geschäftspartners, Mitglied bei DarkMarket darf nur werden, wer von einem anderen eingeladen wird; die Kunden bewerten die Verkäufer, und wer betrügt, wird aus dem Forum verbannt.

    Im Jahr nach seiner Gründung zählt DarkMarket bereits mehr als 2500 Mitglieder und entwickelt sich zu einem der zwei wichtigsten englischsprachigen Carding-Foren. In der Folge bricht ein Konkurrenzkampf aus, Iceman, ein berüchtigter Hacker, attackiert DarkMarket immer wieder, um die Daten seinem eigenen Forum einzuverleiben. JiLsi gerät unter Druck, macht einen entscheidenden Fehler: Er erzählt dem FBI-Agenten Mularski alias Master Splyntr davon. Der erkennt die Chance und bietet an, einen sicheren Server zur Verfügung zu stellen. »Wollen wir umziehen?«, fragt Master Splyntr. »Okay, Bruder, machen wir das«, antwortet JiLsi. Von da an läuft DarkMarket auf einem Server des FBI.

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    Master Splyntr steigt zum sogenannten Systemadministrator auf, er kann nun alle Einträge in den Foren lesen, alle privaten Nachrichten und gelangt damit auch an die Adressen, von denen die Nachrichten gesendet werden. 18 Stunden täglich hält sich Master Splyntr auf DarkMarket auf, der FBI-Agent ist wie berauscht von den Machtkämpfen der Unterwelt, gleichzeitig lebt er in der ständigen Angst aufzufliegen. »Zu dieser Zeit hat jeder jeden beschuldigt, ein Agent zu sein«, erzählt er später.

    Drei Wochen nach der geheimen Übernahme des Servers durch das FBI wird Master Splyntr fast enttarnt: Iceman hatte DarkMarket erneut attackiert und so Dateien gefunden, die sich auf einen Computer im Büro des FBI-Agenten zurückverfolgen ließen. Iceman macht dies in seinen Foren öffentlich und beschuldigt Master Splyntr, ein Spion zu sein. Der FBI-Agent kann seine Tarnung nur retten, indem er JiLsi, den Gründer des Forums, des Verrats beschuldigt. Bei dem Putsch gegen JiLsi steht ihm ein Co-Administrator namens Matrix zur Seite.

    Matrix ist ein 21-jähriger Abiturient aus Süddeutschland, der bei den Eltern lebt und die Geschäfte aus seinem Kinderzimmer abwickelt. Er entwirft Druckvorlagen für Kreditkarten und handelt mit Hologrammen, die als Sicherheitsmerkmal beispielsweise auf Kreditkarten dienen. Dadurch hat sich Matrix in Kreisen der Internet-Betrüger den Ruf eines Grafikkünstlers erworben.

    Master Splyntr hat nun Zugang zu allen Informationen über
    Betreiber und Mitglieder von DarkMarket. Er stellt ein Dossier zusammen, schickt es an die deutsche Polizei. Im Mai 2007, einen Tag nach seinem 22. Geburtstag, wird Matrix vom LKA verhaftet. Zwei Monate später wird JiLsi festgenommen; im Februar 2010 verurteilt ihn ein Gericht in London wegen Verschwörung und Hypothekenbetrugs zu viereinhalb Jahren Haft.

    Insgesamt 62 Mitglieder von DarkMarket in Großbritannien, Deutschland, den USA und der Türkei werden in den folgenden Monaten verhaftet – die größte Aktion internationaler Behörden gegen Internet-Kriminalität, die es bislang gegeben hat. 70 Millionen Dollar, so schätzt das FBI, betrug allein der Wert der Kreditkarten, die auf DarkMarket gehandelt wurden.

    Master Splyntr schließt die Seite am 4. Oktober 2008 mit einer ironischen Abschiedsnachricht: »Dieses Forum zieht offensichtlich zu viel Aufmerksamkeit von den internationalen Fahndern auf sich. Aber so ist das Leben. Wenn du ganz oben bist, versuchen Leute dich zu stürzen.« Zwei Wochen später wird jedoch auch die Identität des FBI-Agenten durch die Recherche des Reporters Kai Laufen vom Südwestdeutschen Rundfunk aufgedeckt.

    Wer heute die Adresse von DarkMarket, www.darkmarket.ws, eingibt, findet sich bei mybazaar.biz wieder. Die neue Webseite gleicht der alten und nennt sich: »Der anonyme Ort, um Geschäfte zu machen«.

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    Illustration: Christoph Niemann