Samstagsväter

Wochentags ist der innerfamiliäre Kontakt Routine. Samstags aber legen sich Väter oft ins Zeug, um beim Kind Eindruck zu schinden.

    LEBENSHILFEAls Wochenendpapa geht es mir wie Eddy Murphy in dem Film „Nur 48 Stunden“. In dieser Zeit muss ich zwar keinen Gangster fangen, sondern meinen Töchtern komprimierte Lebenshilfe geben, von der Art: Jetzt-werdet-ihr-sagen-ich-spinne-aber-später-werdet-ihr-mir-dankbar-sein. Da mir meine Eltern nie beibringen konnten, wichtige Dinge nicht zu vergessen, setze ich mich am Donnerstagabend hin und schreibe eine Liste mit lebenswichtigen Dingen – die letzte las sich so: Ruft nie die Telefonnummern an, die auf Toilettenwänden stehen. Solltet ihr mal mit der Fähre nach Helgoland fahren und die Fähre wird von Wind und Wellen gebeutelt, dann legt euch flach auf den Boden und schließt die Augen, und schon kehrt Ruhe ein in der Bauchhöhle. Denkt im Kino an eure Nachbarn und benutzt abwechselnd die Armlehne, das gilt auch im Flugzeug. Servietten sind kein Aphrodisiakum für Romantiker. Das Internet ist das Gegenteil von Allgemeinbildung, also lest mal ein Lexikon und streicht alle unanständigen Wörter raus. Legt Müllmännern kleine Geschenke auf die Tonne. Haltet einmal im Leben eine Tarantel auf der Hand. Wenn ihr später mal Kinder habt, aber kein Geld, um mit ihnen in die Ferien zu fahren – macht Schulden! Urlaub mit den Kindern rechtfertigt jedes Minus auf dem Konto. Grüßt zurück, wenn der Nachrichtensprecher im Fernsehen „Guten Abend“ sagt. Schreit einmal am Tag so laut ihr könnt (aber sagt mir bitte vorher Bescheid).So. Und diese Liste wird dann von Freitagabend bis Sonntagabend abgearbeitet, nach und nach. Und was soll ich sagen? Es klappt. Vergangenes Wochenende, zum Beispiel, gastierte eine Reptilienshow auf der Hamburger Moorweide. Das Foto, auf dem Paulina und Frida eine Tarantel auf der Hand halten, ist wirklich schön eklig. Dass man im Kino nicht so laut schreit, wie man kann, weil die Schwester die Armlehne nicht teilen will, daran denken wir dann beim nächsten Mal.Ingolf Gillmann(Lesen Sie auf der nächsten Seite: „Schneckenrennen“, „Schatzssuche“ und selbstverständlich „U-Bongo“)

    VOLLES PROGRAMMOb ich meine beneidenswert mobilen Töchter (drei, acht) so ungeheuer liebe, weil ich arbeitstags fast nie mit ihnen spielen kann, oder ob ich (drei mal acht mal x) so ungeheuer arbeite, damit ich arbeitstags fast nie mit ihnen spielen kann, ist eine Frage, die meine kluge Ehefrau mit einem klaren Ja umschifft. Gleichsicher aber ist, dass ich, kaum schreibt man Samstagmorgen, mit einem unwiderstehlichen „Hallooo, ihr zwei! Raus aus den Federn!“ in den noch morgenrot mucksmäuschenstillen Kinderschlafraum platze und, ausgehungert wie ich bin, die Träumenden auf meine starken Arme lade und sie in Ökobaumwollmorgenrock und kuscheliges Frühstück wickle.Ich gebe ihnen eine gute halbe Stunde, dann tanzen wir ins Spielzimmer. Am Vorabend bereitgelegt sind 20 gute Bücher sowie die angesehenen Spiele „Schneckenrennen“, „Schatzssuche“ und selbstverständlich „U-Bongo“, das neueste Must für Eine-Welt-Eltern. Bis neun Uhr knobeln wir mit schillersch-heiterer Gelassenheit, dann heißt es anziehen, Zähne putzen, gurgeln – und ab auf den „Spielplatz“!So nenne ich meinen heimischen und stets überlasteten Schreibtisch zuzüglich umgebender 13 Quadratmeter; man glaubt ja gar nicht, welch dschungelhafte Wildnis auch in schlecht besuchten Arbeitszimmern blüht! Zum Glück sind meine beiden Förster mittlerweile routiniert: Binnen kaum zwei Stunden haben sie herumstreunende Tageszeitungen eingefangen, gefährliche Raubrechnungen in die Flucht geschlagen und alle Mahnungen des Finanzamts und ähnlich giftiger Parasiten zertreten, die Fenster geputzt, die ziegenwollenen Bodenfliesen gereinigt. Obwohl sie weiß, dass der Samstag allein uns dreien gehört, klopft gegen 11.30 Uhr meine kluge Ehefrau an die von innen verschlossene Bürotür und möchte zu uns, darf aber nicht und muss wie immer bis 14 Uhr warten: Dann ist mein Mittagessen fertig! Und was immer sie da so gemeinhin untermischt: Ich achte schon sehr auf seltene Vitamine, freie Radikale und fantastische Preise. Gut für kleine Organismen ist der Sport. Um 15.00 Uhr, wenn meine kluge Ehefrau sich längst schon wieder hingelegt hat und von neuen Vätern träumt, werfen wir drei anderen uns Goretex über und joggen durch den Garten zu unserem Auto. Nun ist ein Renault Cangoo kein Ferrari und der Autor kein Schumacher, aber: Gas geben kann er, wenn ihm nach wirklicher Bewegung ist, auch! So sind wir keine zehn Minuten später im Fußballstadion der Viktoria Aschaffenburg, ein von Andy Möller trainierter bayerischer Viertligist. Ob meine geliebten Töchter sich etwas Schöneres vorstellen können, als hautnah dabei zu sein, wenn ihr Vater mit 300 gleich aparten Wesen herumschreit, -pfeift und -johlt? Ich glaube kaum. Kurz nach 18 Uhr sind wir wieder daheim: erschöpft, aber müde. Und glücklich alle vier noch heute über einen kürzlichen und, wie ich finde, köstlichen Scherz meiner Töchter: „Mama, kann Papa bitte, bitte auch samstags arbeiten?“Thomas Gsella(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Statt Samstage und Sonntage unsicher zu machen, sollten sich moderne Väter eher mal Zeit zwischendurch nehmen. Das ist gut für sie, für die Kinder – und auch für den Tegernsee)

    Meistgelesen diese Woche:

    NUR DIE RUHEVor einem halben Jahrhundert, 1956, nach dem Krieg also und inmitten des sogenannten Wirtschaftswunders, hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) eine gute Idee. Diese Idee war so gut, dass sich sogar Hollywood noch 16 Jahre später dafür interessierte. Und deshalb musste Marlon Brando alias Don Corleone im Film „Der Pate“ in die Kamera nuscheln: „Ein Mann, der nicht wenigstens seine Freizeit mit seiner Familie verbringt, ist kein Mann.“Das heißt: Um ein Mann zu sein, muss man tun, was eines Familienvaters gemäß ist, also zum Beispiel Leuten Angebote machen, die sie nicht ablehnen können. Oder Leuten, die trotzdem Angebote ablehnen, abgesägte Pferdeköpfe ins Bett legen. Oder Leute zu den Fischen schicken. So Sachen halt. Und das von Montag bis Freitag, von neun bis 17 Uhr. Aber dann der Pate: „Wenigstens die Freizeit“! Und hier kommt wieder der DGB ins Spiel, der seinerzeit die Plakataktion „Samstags gehört Vati mir“ erfunden – und damit die Freizeit überhaupt erst dialogfähig im Sinne Hollywoods gemacht hatte. Noch 1955 lag die wöchentliche Arbeitszeit bei 49 Stunden, verteilt auf sechs Tage. Am Sonntag ging man zur Kirche und zu Tante Trudi, was mit Freizeit nichts zu tun hatte.Die Wochenendfreizeit heutigen Zuschnitts ist also Don Corleone zum einen, dem DGB zum anderen zu verdanken. Mafia und Gewerkschaft standen sozusagen Pate an der Wiege des modernen Wochenendes. So lässt sich auch der Schrecken erklären, der jedem vernünftigen Kind in die Knochen fährt, sobald es Samstag wird. Denn nun erstürmt gleich ein furchtbar aufgeräumter Vati das Kinderzimmer: „Na, Sohnemann, alles klar? Aufgewacht, die Sonne scheint!“ Und jetzt wird’s schizophren. Denn einerseits rühmt Vati zu Recht die Errungenschaft eines langen Wochenendes. Aber andererseits lebt Vati immer noch in einem Rollenverständnis, das über die Fünfzigerjahre nie hinausgekommen ist. Das heißt: Mutti ist von Montag bis Freitag für die Kinder da, während Vati im Büro den Corleone gibt. Aber dann gehört Vati endlich den Kindern. Also den Leidtragenden. Denn mit ihnen will Vati Abenteuer erleben – weshalb sie am Samstag den Tegernsee umradeln müssen. Er will sie kultivieren – weshalb sie am Sonntag in die Glyptothek verschleppt werden. Er will sie trimmen – weshalb sie Samstag wie Sonntag zum Baden respektive zum Eislaufen abkommandiert werden. Und er will den familiären Zusammenhalt stärken – weshalb sie gemeinsam die Küche belagern, das liebe lange Wochenende hindurch.Was Kinder wirklich wollen am Wochenende? Ihre Ruhe. Was Väter wirklich wollen? Ihre Ruhe. Alles andere ist schlechtes Gewissen, eine Arbeitsteilung der Fünfziger- jahre sowie ein Satz aus einem Drehbuch der Siebziger. Statt Samstage und Sonntage unsicher zu machen, sollten sich moderne Väter eher mal Zeit zwischendurch nehmen. Das ist gut für sie, für die Kinder – und auch für den Tegernsee.Gerhard Matzig(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Andere Väter übrigens sehe ich samstags im Schwimmbad nie. Wahrscheinlich machen die alle etwas wirklich Cooles mit ihren Kindern und gehen ins Kino)

    IM SCHWIMMBADJeder Samstag beginnt um 6.30 Uhr, weil ich jeden Freitagabend vergesse, den Wecker auszuschalten. Spätestens eine Stunde später hat sich im elterlichen Bett auch die Restfamilie versammelt. Erst um so zu tun, als wolle man noch schlafen, dann um sich zu kitzeln und so zu tun, als wäre man es nicht gewesen. Das Ganze artet zu einer Keilerei aus, meine Frau schimpft und wir stehen auf. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich mag Samstage. Sehr sogar. Meine Frau arbeitet bis zum späten Nachmittag und weil sie danach noch gern zum Sport geht, hat sie irgendwann entschieden: „Samstags machst du die Kinder.“ Seitdem mache ich samstags die Kinder. Manchmal gehen wir ins Schwimmbad. Schwimmbad ist immer etwas ganz Besonderes. Schwimmbad heißt: Schreien, Pritscheln, Spucken, Zappeln und mit den Beinen am Beckenboden laufen, während man mit den Armen Schwimmzüge macht und glaubt, der Papa merkt’s nicht. Mit einer Wonne, wie sie nur Kinder für 34 Grad warmes, mit Natriumhypochlorit versetztes Wasser aufbringen, dessen einziger Vorteil ist, dass es eine für grau werdende Väter schmeichelhafte Blicksicherheit bis unter den Rippenbogen bietet – mit einer solchen Wonne also werfen sie sich hinein. Ich werfe mich direkt hinterher, weil meine Tochter natürlich wieder vergessen hat, dass sie noch Schwimmflügel braucht. Für die nächsten drei Stunden kann ich mich dann an den Beckenrand lehnen und habe meine Ruhe. Gelegentlich unterbrochen von der väterlichen Pflicht, meine Füße als Tauchziel zur Verfügung zu stellen. Als Beweis, dass er es wirklich bis ganz nach unten geschafft hat, brachte mein Sohn eine Zeit lang Pflaster oder Haarbüschel mit hoch, aber das habe ich ihm abgewöhnt. Nach dem Tauchen haben meine Kinder den Rest des Tages so blutrote Augen wie die Tollwütigen aus „28 Days Later“, und früher haben wir auf dem Heimweg immer Zombies gespielt. Aber meine Frau hat mir das verboten, weil mein Sohn ihr erzählt hat, dass ich ihm erzählt habe, wovon der Film handelt und dass er echt super ist. Mittlerweile schläft er wenigstens wieder in seinem Bett. Ab und an wollen die Kinder rüber zum tiefen Becken, aber nur um zu schauen, ob einer der herumlungernden 16-jährigen Föhnfrisuren-jungs vom Dreier springt und sich wehtut. Selber schwimmen wollen sie darin nicht. Im tiefen Becken ist es zu kalt, sagen meine Kinder, und darüber bin ich froh, denn das finde ich auch. Obwohl ich natürlich immer unheimlich enttäuscht tue, weil sie nicht wie die Großen schwimmen wollen. Trotzdem dürfen sie als Belohnung dafür, dass sie schon am Spätnachmittag todmüde und entsprechend brav sind, mit mir eine DVD anschauen. Samt Kakao und Russisch Brot. Meine Frau weckt mich dann meistens, wenn sie vom Sport heimkommt. Andere Väter übrigens sehe ich samstags im Schwimmbad nie. Wahrscheinlich machen die alle etwas wirklich Cooles mit ihren Kindern und gehen ins Kino. Eckhard Vollmar(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Andere Väter übrigens sehe ich samstags im Schwimmbad nie. Wahrscheinlich machen die alle etwas wirklich Cooles mit ihren Kindern und gehen ins Kino)

    WAGENLENKERMänner, die einen Kinderwagen durch den Park schieben, habe ich früher immer bedauert. Arme Kerle, dachte ich. Der Anblick stimmte mich melancholisch, weil er mir die Vergänglichkeit unserer Existenz zu beweisen schien: Wieder einer, der nicht mehr auf unseren Weg zurückfinden wird. Ich hatte nichts gegen Kinder, ich fand es auch nicht unnatürlich, dass Männer einen Kinderwagen schieben, aber trotzdem meinte ich, dass dieses Bild auf ein für immer irgendwie verpfuschtes Dasein hindeutete. Nach meiner Ansicht war das Leben für einen Mann vorbei, sobald er mit dem Kinderwagen durch den Park zog. Womit ich ja auch recht hatte – ich wusste nur nicht, dass dann ein zweites Leben folgt.Kann man einen Kinderwagen schieben und trotzdem Mann im Sinne der eigenen Lebensgeschichte und Selbstbestimmung bleiben? Eine Frage, die sich nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten lässt, bloß kalauernd mit Radio Eriwan: Im Prinzip ja, es kommt aber auf die Begleitung an. Darüber hinaus sind Tageszeiten und Wochentage von Belang: Nachts ist eine Fahrt mit dem Kinderwagen unproblematisch fürs neue Selbstwertgefühl, bei regelmäßigem Einsatz im Wochenbetrieb ist ebenfalls alles in Ordnung. Vorbei ist es, wenn einer den Wagen nur am Sonntag zum Schwanensee und anschließend in die Konditorei steuert, womöglich noch über knisterndes Herbstlaub, Kuchen auf den ausgebreiteten Händen haltend. Bei diesem Modell handelt es sich um eine Variante des im Straßenverkehr berüchtigten Sonntagsfahrers, um Väter, die sich so langsam fortbewegen, als ob sie lahm wären. Man fragt sich: Wollen sie verhindern, dass sie vorwärtskommen?Da ich seit drei Monaten selber einen Kinderwagen lenke, kenne ich mittlerweile das Geschäft. Es macht mir Freude. Ich weiß zwar noch nicht, ob es tatsächlich ein Vergnügen ist, den Sohn, der wie eine Mastgans täglich schwerer wird, die fünf Altbaustockwerke runter- und raufzutragen, aber das ist eine unerhebliche Frage. Wichtig ist, dass ich samstags nicht zum Spaziergang, zum Einkaufsbummel oder gar zum Ausflug ins Bergische Land herangezogen werde. Samstags gehe ich zur Arbeit ins Stadion, und wenn ich nicht ins Stadion gehe, dann gehe ich in den Park, aber nicht zum Kinderwagenschieben, sondern zum Fußballspielen. Das frühere Dasein mag von der Kinderrevolution hinweggefegt worden sein, aber die Gewohnheit, den Samstagnachmittag auf der zertrampelten Wiese im Grüngürtel zu verbringen, bleibt ein unangetastetes Reservat meiner Vergangenheit. Ich würde auf der Stelle trübselig werden, wäre dies Ritual bedroht. Aber es gibt keinen Grund, mich zu bedauern. Das Leben geht weiter.Philipp Selldorf