Herr Winterhoff, Sie sagen, Kinder sind grundsätzlich respektloser geworden.
Lehrer beklagen sich über den Lärm in ihren Klassen, über Ungehorsam, Respektlosigkeit und Unordnung. Heute spricht man von 30 Prozent auffälligen oder psychisch kranken Kindern in Deutschland. In einem Gesundheitsbericht der DAK stand, dass zwischen 1997 und 2003 fast eine Verdoppelung der Behandlungszahlen bei Kindern und Jugendlichen vorliegt. Ich bin seit über 20 Jahren Kinderpsychiater. Ich bin kein Pädagoge, ich bin tiefenpsychologisch orientiert. Bis vor zwölf Jahren funktionierten für mich die erlernten diagnostischen und therapeutischen Verfahren. Diese kann man heute nicht mehr so anwenden wie früher.
Welche Verfahren sind das?
Ein diagnostisches Kriterium ist der Intelligenztest. Früher hatte so ein Test ein bestimmtes Niveau. Da war ein Kind in Deutsch besser als in Mathe, aber es zeigte ein gymnasiales Niveau. Solche Intelligenzkurven sieht man nicht mehr. Die Ergebnisse jetzt wirken wie Fieberkurven: Die Kinder schwanken in den Tests von Gymnasiumsreife bis zur geistigen Behinderung.
Wie erklären Sie sich das? Die Kinder arbeiten nur noch lustorientiert mit. Wenn sie keine Lust haben, merkt man ihnen das jedoch nicht an: Sie wirken bemüht. Am Ergebnis aber sehen Sie, dass sie sich verstellt haben. Das Zweite ist: Früher hing eine Störung des Kindes mit den Eltern zusammen, mit deren Lebensgeschichte.
Sie sprechen von neurotischen Störungen bei Kindern, verursacht von einem pathologischen Befund bei den Eltern?
Genau. Es war etwas mit den Eltern, das sich auf die Kinder auswirkte. Diese Sichtweise ist immer weniger zutreffend. Nun wird es wichtig, von Psyche zu reden: Eine Psyche muss gebildet werden. Sie ist abhängig von den Eltern und der Gesellschaft. Meine These ist: Es läuft etwas schief bei der psychischen Entwicklung der Kinder.
Hängt das mit Erziehung zusammen?
Das ist nicht der Hauptaspekt. Unter Erziehung versteht man ein Regelwerk. Sehen Sie: Sie haben die gleiche Psyche wie ich, auch wenn wir unterschiedlich sind. Wir sind zu gleichen Leistungen in der Lage: selbstständig zu leben, Verantwortung zu übernehmen für sich und für andere, die eigenen Gefühle und die anderer einzuschätzen, arbeiten zu gehen – ich kann das endlos fortsetzen. Die individuellen Anteile sind für mich als Psychiater nicht relevant, die braucht man in einer Freundschaft oder Berufsberatung. Diese Psyche muss über zwanzig Jahre aufgebaut werden. Und das geschieht heute oft nicht mehr.
Seltsam. Dabei nimmt man Kinder heute doch viel wichtiger.
Eben. Ich arbeite hier im Schwerpunkt mit beziehungsfähigen Eltern, die haben bewusst ihr Kind, die sind auch nachmittags da. Die üblichen Kriterien der Gesellschaft, wenn Kinder aus dem Ruder laufen – Eltern nicht da, verwahrloste Kinder, die nur fernsehen –, treffen auf meine Klientel überhaupt nicht zu. Und obwohl optimale Bedingungen vorliegen, haben sie Kinder, die völlig respektlos sind. Ob sie offen respektlos sind, frech und unverschämt, oder auf blöd, lahm und behindert machen, ist egal. Die Respektlosigkeit dieser Kinder kann nicht an einer fehlenden Erziehung liegen, sondern an einer fehlenden Entwicklung. Wenn Sie die Reifeentwicklung der Psyche betrachten, haben nur Kinder bis zweieinhalb Jahren keinen Respekt.
Können Sie die Psyche kurz erklären?
Ganz grob: Die Psyche hat zwei Bereiche. Das eine sind psychische Funktionen: Frustrationstoleranz, Gewissensinstanz, Arbeitshaltung, Erkennen von Gefühlen und so weiter. Diese Funktionen müssen Sie von klein auf dem Kind abverlangen und antrainieren. Eine Frustrationstoleranz kommt nicht automatisch, sondern darüber, dass das Kind lernt auszuhalten, abzuwarten. Der zweite Bereich sind Weltbilder. Unser Weltbild beruht auf der Vorstellung, wir seien Individuen im Rahmen einer Gesellschaft.
Das ist das Weltbild?
Das ist das Weltbild, das wir haben. Es gibt auch andere. Wir vermitteln unser Weltbild unseren Kindern, die natürlich nicht damit geboren werden. Wenn wir uns richtig verhalten, bekommt das Kind unser Weltbild.
Aber ist dieses „Richtigverhalten“ nicht Erziehung?
Nein. Vor 20 Jahren gab es einen gesamtgesellschaftlichen Konsens: Von allen Erwachsenen wurden Kinder als Kinder gesehen. Es gab eine Erwachsenenwelt und eine Kinderwelt. Kinder wurden selbstverständlich kontrolliert, geführt, geschützt. Mütter beziehungsweise Eltern haben sich dabei auf ihre Intuition verlassen.
Ist es korrekt, dass eine Mutter, die ihr Baby immerzu stillt und immerzu bei sich hat, nichts falsch macht?
Ja. Ein Säugling in der oralen Phase ist nicht in der Lage, Frustrationen auszuhalten. Wenn das Baby Hunger hat, müssen Sie es sättigen. Erst ab dem achten bis zehnten Monat ist es aufgrund der Reife in der Lage zu warten. Und das sollte es dann lernen.
Haben wir unsere Intuition verloren?
Vielleicht. Mit der Zeit verändert sich die Schreifrequenz eines Kindes. Wenn die Mutter den Säugling warten lässt, bekommt sie einen Schweißausbruch vor Stress. Nach zehn Monaten schreit das Baby anders, die Mutter kann das jetzt aushalten. Früher hat sie das Kind dann intuitiv auch mal warten lassen. Heute ist man kopfgesteuert und sagt sich selbst: Es ist noch so klein, und du wolltest doch ein Kind. Also wird das Kind sofort befriedigt. Die wichtige Erfahrung aber, nicht sofort befriedigt zu werden, kann es nicht machen und sich in diesem Bereich der Psyche nicht weiterentwickeln.
Was sind die Folgen?
Die orale Phase bleibt bestehen, das führt zur Suchtstruktur. Wir haben heute Kinder, die sich ab dem 14. Lebensjahr vor einer Fete zuschütten. Wir haben Fresssucht im Kinder- und Jugendalter, Computersucht. Wenn man ein Kind nicht dazu anhält abzuwarten, auszuhalten, bildet sich keine Frustrationstoleranz.
Man verhält sich so, sagt also nicht nein, weil man sich das Kind gewünscht hat?
Ja, man wünscht sich heute Kinder stärker – und man erwartet etwas von ihnen. Das hat, wie ich festgestellt habe, zu Beziehungsstörungen zwischen Eltern und Kindern geführt. Kinder werden seit Anfang der Neunzigerjahre als Partner gesehen. Es herrscht die Vorstellung vor, dass man über das Begreiflichmachen erziehen könne. Das setzt eine Einsichtsfähigkeit auf Kindesseite voraus. Einsichtsfähigkeit können Sie allerdings bei einer gesunden Reifeentwicklung erst mit 15, 16 Jahren voraussetzen.
Erst so spät?
Bis dahin gehen Kinder für Eltern in die Schule, lernen für die Lehrerin, putzen die Zähne, weil die Mutter danebensteht. Und genauso soll es auch sein. Das ist das Training, das Kinder brauchen, um Dinge einzuüben und dadurch psychisch zu reifen.
Übung ist eines Ihrer Schlüsselwörter.
Absolut. Der Aufbau der Psyche ist reines Training. Wenn Sie Tennis lernen wollen, geht das nur, wenn der Lehrer Sie als Schüler sieht. Der lässt Sie wochenlang die Vorhand üben, dann die Rückhand, dann beides, dann, frühestens, erfolgt die taktische Beratung. Würden wir das Modell der Partnerschaftlichkeit auf Tennis übertragen, hieße das: Der Trainer erklärt Ihnen, wie man Tennis spielt. Er spielt Ihnen vor und erwartet, dass Sie dann Tennis spielen können. Wenn Sie den Ball ins Netz schlagen, ist er enttäuscht oder pflaumt Sie an. So geht man mit Kindern um und wundert sich, dass sie sich nicht entwickeln.
Aber Kinder werden doch heute als Persönlichkeiten betrachtet.
Kinder haben noch keine Persönlichkeit. Es ist schön, dass Kinder nicht mehr rigide abgefertigt werden. Aber Persönlichkeitsentwicklung beginnt mit dem achten, neunten Lebensjahr und ist mit 20 nicht abgeschlossen. Nur wenn Sie ein Kind als Kind sehen, bauen Sie Psyche auf. Dann können Sie zunehmend bei einem 14-, 15-Jährigen ein modernes partnerschaftliches Denken einsetzen. Wenn Sie aber das kleine Kind als Partner sehen, bilden sich bestimmte psychische Funktionen nicht aus. Die Kinder, die Anfang der Neunzigerjahre geboren wurden, strömen jetzt als Lehrlinge auf den Arbeitsmarkt. Die Industrie moniert: fehlende Arbeitshaltung, kein Sinn für Pünktlichkeit.
Ein Kind kommt auch mit anderen Menschen in Kontakt als mit den Eltern.
Das Tragische ist: Die partnerschaftliche Sichtweise hat in Institutionen wie Kindergarten und Grundschule Einzug gehalten. Und nun verstößt man dort gegen neurologische Grundsätze: Nervenzellen trainieren Sie nur durch immer gleiche Durchläufe. Lesen und Schreiben erlernen Sie, indem Sie immer denselben Buchstaben schreiben. Dann fühlt sich eine Nervenzelle dafür zuständig, diese trainieren Sie über drei bis fünf Jahre, bis Sie automatisch in jeder Handschrift ein A erkennen. Im Kindergarten früher haben zwei Erzieher zwanzig Kinder durch den Tag geführt: gleiche Zeiten, gleiche Gruppe, gleicher Inhalt. Heute kann das Kind in weiten Teilen selbst entscheiden, was es machen möchte. Im modernen Denken müssen Kinder nicht üben – man glaubt, sie verstehen.
Ist das in der Grundschule auch so?
Vier Kinder sitzen um einen Tisch; das Gegenüber ist nicht mehr der Lehrer, sondern ein Kindergesicht, das zum Blödsinnmachen verführt; die Hälfte dieser Kinder sitzt seitlich zur Tafel, ein Viertel mit dem Rücken; sie haben einen hohen Ablenkungsgrad durch Bilder an den Wänden, Mobiles an der Decke, eine Spiel- und Kuschelecke, die voller Kopfläuse ist. Wieder bekommt das Gehirn eine Wechselhaftigkeit angeboten, und das ist fürs Gehirn sehr schlecht.
Was passiert dann im Gehirn?
Es bilden sich keine Linien im Gehirn und auch kein Gesamtbild, denn für das Entstehen von Linien im Gehirn bedarf es immer gleicher Durchläufe. Wir haben hier in der Grundschule 60 Prozent Freiarbeit, da können die Kinder entscheiden, was sie machen – in der naiven Vorstellung, dass sie sich das Material raussuchen, was sie brauchen, um sich zu entwickeln. Die Folge ist die eklatante Absenkung des Niveaus.
Warum hat die antiautoritäre Erziehung nicht zur Respektlosigkeit geführt?
Die Kinderläden waren Ausnahmen, dann kamen die Kinder in eine normale Schule und hatten wieder das Verhältnis: Erwachsener – Kind. So wurde es ausgeglichen.
Das, was Sie Beziehungsstörung nennen, ist also zu viel Partnerschaftlichkeit?
Ja. Das geht aber weiter. Ich habe drei Formen der Beziehungsstörung festgestellt. Eine weitere nenne ich Projektion: Eltern wollen von ihren Kindern geliebt werden.
Sie haben zwei Kinder. Wollen Sie nicht von ihnen geliebt werden?
Nein. Kinder lieben ihre Eltern automatisch. Es ist tief angelegt im Kind, die Eltern zu lieben. Natürlich ist es schön, wenn ein Kind das auch zeigt. Nur: Wenn ich geliebt werden will, habe ich ein Defizit, das ich über das Kind füllen will. So eine Konstellation verkehrt das Machtverhältnis. Der Erwachsene wird bedürftig, das Kind rutscht in die Elternposition.
Was für ein Defizit meinen Sie?
Wir sind die erste Generation, die ihre Eltern kritisch sieht. Trotzdem haben wir den Wunsch nach Orientierung, Anerkennung, Sicherheit. Wenn das die Eltern nicht mehr bieten, muss es jemand anders tun. Das ist das Defizit: Wenn mich draußen keiner führt, soll mich mein Kind führen. Wenn mich draußen keiner liebt, soll mich mein Kind lieben. Wenn mir keiner sagt, dass ich gut oder schlecht bin, ist das Kind mit seinem Verhalten Beweis dafür, ob ich gut oder schlecht bin. Wenn mein Kind in der Schule klarkommt, bin ich eine gute Mutter.
Und bin ich das nicht?
Vor allem hat Ihr Kind was geschafft. Sie haben ihm ein Fundament gegeben. Aber wenn Ihr Kind in der Schule scheitert, ist damit nicht gesagt, dass Sie eine schlechte Mutter sind. Stolz sein aufs Kind ist gut und gesund. Heute aber sprechen Eltern und auch Großeltern so, als wollten sie vom Kind geliebt und anerkannt werden.
Haben Sie ein Beispiel?
Wenn eine Oma früher das Enkelkind verwöhnen wollte, hat sie ihm sein Lieblingsessen gekocht – und verlangt, dass es sich die Hände wäscht und mit ihr beim Essen sitzen bleibt, bis beide fertig sind. Eine Oma, die geliebt werden will, verlangt nichts mehr – weil sie Angst hat, dass der Enkel dann nicht mehr kommt. Es ist eine große Verunsicherung da: Was ist richtig, was ist falsch? Eltern unterscheiden nicht mehr zwischen sich und dem Kind. Da gibt es keine Distanz. Das ist Projektion. Wenn ich eine Mutter heute frage, ob sie von ihrem Kind geliebt werden möchte, sagt sie: Warum soll ich sonst Kinder haben?
Kinder als Lebenssinn – ist das Egoismus?
Ich bin Kinderpsychiater und verurteile nicht. Wir sind Opfer einer Zeit. Ich will nur klarmachen, dass die Ursache der zum Teil dramatischen Auffälligkeiten von Kindern heute in einer Nichtentwicklung liegt.
Können Sie erklären, was in welcher Entwicklungsphase normal und gesund ist?
Bei einer psychischen Reifeentwicklung ist das dreijährige Kind schon auf die Eltern bezogen. Das heißt, wenn ein dreijähriges Kind knatscht und die Eltern treten eindeutig auf: Jetzt ist Schluss, ich mag’s nicht mehr, ist das Knatschen schnell vorbei. Ein Fünfjähriger würde jeden Auftrag sofort gern und gleich für die Mutter erledigen. Er deckt den Tisch für die Mutter und nicht, weil er hört oder weiß, dass man einen gedeckten Tisch braucht, um zu essen. Der Fünfjährige lernt aus Konflikten. Der Sechsjährige geht für die Mutter in die Schule und macht Dinge, zu denen er keine Lust hat, für die Lehrerin. Man hat also Einfluss auf das Sozial- und Leistungsverhalten über die Beziehung …
… und nicht über Erklärungen?
Genau. Wenn Sie feststellen möchten, wie viele entwicklungsgestörte Kinder Sie in einer ersten Klasse haben, sagen Sie nur: „Holt das Deutschbuch raus.“ Ein Sechsjähriger würde das Buch für die Lehrerin sofort und gern rausholen. Heute wächst die Zahl derer, die die Lehrerin dazu bringen, den Auftrag doppelt und dreifach zu geben, indem sie so tun, als hätten sie nicht verstanden, abwesend wirken oder diskutieren, aufstehen, rumlaufen – oder das Deutschbuch in-frage stellen. Diese Kinder verweigern sich nicht, sondern sie sehen die Lehrerin einfach nicht als Gegenüber an und möchten sie steuern. Das entspricht einer Entwicklungsphase von unter drei Jahren.
Was macht man mit einem Kind, das bereits zwölf ist und psychisch unter drei?
Man muss zunächst feststellen und dann zugeben, dass so ein Kind auffällig ist.
Sie meinen, viele Eltern haben sich mit der Respektlosigkeit gut eingerichtet?
Sie kommen oft nicht einmal aus eigenem Antrieb, sondern weil der Kindergarten oder die Schule ihnen Beratung empfohlen hat. Solche Eltern befinden sich mit ihrem Kind in der Symbiose. Das führt dazu, dass sie jedes noch so unangemessene Verhalten des Kindes entschuldigen: Da kann es nichts dafür, das war keine Absicht. Bei der Symbiose sehen Eltern nicht, dass das Kind Dinge extra macht. Sie haben da
einen blinden Fleck.
Was passiert bei der Symbiose?
Die psychische Verschmelzung, die zu Anfang zwischen Eltern und Baby gut und richtig ist, wird nicht aufgehoben. Die Ursache sehe ich in einem extremen Wohlstand und in einer nicht mehr positiv zukunftsweisenden Gesellschaft. Wenn man sich nicht gegen Hunger, Durst, Kälte, Krieg durchsetzen muss, stellt sich die Sinnfrage. Nur wenige können sie beantworten.
Viele sehen einen Sinn in der Karriere.
Man hat keine Sicherheit mehr, mit oder ohne Karriere. Früher hat man sich hochgearbeitet. Heute kann man fachlich super sein, trotzdem auf der Straße stehen. Wir hören nur Negativnachrichten. Der technische Fortschritt überholt uns ständig. Man kommt in eine agitierte Depression, es fehlen Stabilität, Glück, Zufriedenheit. Das Kind wird zum Ersatz: Das Glück des Kindes ist mein Glück. Ich fühle fürs Kind, denke fürs Kind, gehe fürs Kind zur Schule.
Wie äußert sich das bei den Kindern?
Diese Kinder können zum Beispiel nicht differenzieren zwischen einem Baum, auf den sie klettern, und ihren Eltern, auf denen sie ebenfalls herumklettern. Ein Kind von 15 Monaten kann es, seiner Entwicklung entsprechend, nicht aushalten, wenn ich mich mit der Mutter unterhalte und sie es nicht beachtet. Es geht überall dran. Je mehr ich nicht möchte, dass das Kind an die Lampe geht, desto mehr geht es an die Lampe. Es realisiert noch nicht, dass der Erwachsene stärker ist. Kinder, die in der Symbiose groß werden, reagieren auch noch mit zehn, elf, zwölf Jahren auf diese Weise.
Wie bringt man dem 15 Monate alten Kind bei, dass es nicht alles steuern kann?
Ich sage einmal: Schluss. Und wenn das Kind nicht aufhört, rede ich weiter mit der Mutter, während ich aufstehe, hingehe und das Kind von der Lampe wegtrage. Wichtig: Ich lasse mich nicht davon abbringen, was ich tue. Eltern in der Symbiose merken nicht, dass sie sich ablenken lassen. Wenn ich sage: Bitte sehen Sie mich an, während wir reden, schaffen sie das gerade 20 Sekunden.
Was raten Sie solchen Eltern?
Bei diesen Problemen hat eine pädagogische Beratung keinen Erfolg. Es geht darum, den Finger auf die Wunde zu legen, damit diese überhaupt erkannt wird. Erst daraus ergeben sich Lösungsmöglichkeiten.
Dr. Michael Winterhoff, geb. 1955, ist Kinder- und Jugendpsychiater in Bonn. Gerade ist sein Buch erschienen: „Warum unsere Kinder Tyrannen werden“, Gütersloher Verlagshaus.