Man kann als Mann nicht über Ryan Gosling reden, wie man über jeden anderen Schauspieler reden würde, der sehr gut ist und auch noch sagenhaft aussieht. Bei Ryan Gosling geht es um mehr.
Es geht um den Mann an sich. Für Frauen einer bestimmten Generation – seiner Generation – definiert er, wie sie über Männer denken. Was für Männer die Männer sein könnten. Für Männer, die nicht so sind, ist Ryan Gosling ein Problem. Er könnte aber auch, dazu später, der Beginn einer Lösung sein. Das Problem ist erst einmal, welche Maßstäbe er setzt. Es kann ja nicht jeder so unverschämt entspannt in sich ruhen, so unverschämt lässig grinsen, so unverschämt coole Rollen spielen. Man denke da nur an seinen bekanntesten Film, Drive von Nicolas Winding Refn. Darin trägt er eine silbrig glänzende Bomberjacke mit einem goldenen Skorpion auf dem Rücken, als wären Männer dafür geboren, solche Jacken zu tragen.
Das sind wir natürlich nicht. Kein Mann, außer eben Ryan Gosling, kann eine solche Jacke tragen, ohne sich lächerlich zu machen. Weshalb wir anderen Männer dann innerlich stöhnen und behaupten, die Jacke sei gar nicht so cool, eher eine Parodie von Coolness. Einen Tick drüber, einen Tick zu unwahrscheinlich, einen Tick zu perfekt. Wie im Grunde der ganze Gosling. Den man deshalb auch nicht wirklich respektieren müsse.
Oder nehmen wir seinen neuen Film, La La Land von Damien Chazelle. Der Titel sagt ja schon einiges. Das Ding ist ein Musical, eine Hommage ans große alte Hollywood, ganz Retro und doch ganz Gegenwart. Mit Gosling quasi als Fred Astaire, und als Ginger Rogers an seiner Seite tanzt die immer wieder herzerfrischende Emma Stone. Beide sind jetzt für die Golden Globes nominiert, und die kommende Award Season könnte ein einziger langer Tanz für sie werden. Und: Ryan Gosling muss in diesem Film nicht nur romantische Dinge sagen, er muss sie singen. Und dabei sehnsuchtsvoll schauen. Außerdem trägt er schwarz-weiße Tanzschuhe. Kann man so jemanden ernst nehmen?
Oder diese Szene aus Crazy, Stupid, Love. Wo er eines Nachts, in aufgeheizter Stimmung, sein Hemd auszieht. Seine Partnerin in dieser Szene ist wieder Emma Stone, die beiden haben schon länger so eine Art Traumpaar-Ding am Laufen. Emma Stone sieht also zum ersten Mal seine Bauchmuskeln, und bei diesem Anblick entfährt ihr ein herrlich mädchenhaftes, ungläubiges Lachen. Weil dieses Waschbrett, das Gosling da enthüllt, einfach makellos ist. An der Grenze zum Fake. Danach fällt sie natürlich trotzdem begeistert über ihn her.
Wenn man Ryan Gosling als bestaussehenden Witz der Filmgeschichte abstempeln will, kommt auch immer der Hinweis gut, dass er als Kind bei Disney angefangen hat, im Mickey Mouse Club, zusammen mit Justin Timberlake, Britney Spears und Christina Aguilera. Schon als Zwölfjähriger hatte er übel suggestive Dance Moves drauf, Youtube ist da immer noch Zeuge.
Dass er mit 19 Jahren das Steuer herumgerissen hat und auf einmal nur noch die schwierigsten Rollen annahm, taugt nicht unbedingt zum Gegenbeweis. Da spielte er in dem Film The Believer zum Beispiel einen jüdischen, zwischen Hass und Glauben zerrissenen Neonazi. Die Kritiker waren begeistert, sie feierten ihn als neues Supertalent und als Independentkünstler. Aber – wer unbedingt einen jüdischen, zwischen Hass und Glauben zerrissenen Neonazi spielen will, strengt sich vielleicht ein bisschen zu sehr an, nicht als der bestaussehende Witz der Filmgeschichte zu gelten.
Ein paar Jahre später war die Phase mit den superschwierigen Rollen vorbei, und Gosling drehte Wie ein einziger Tag, nach einem Roman des Schnulzenkönigs Nicholas Sparks. Diesen Film zu sehen weigern wir Männer uns bis heute. Und je hartnäckiger die Frauen darauf bestehen, dass Wie ein einziger Tag zu den ganz großen Kinoromanzen gehöre, desto militanter wird unser Widerstand. Wir haben uns sagen lassen, Gosling spiele darin einen Mann, der seiner ersten großen Liebe immer treu bleibe, selbst um den Preis von Einsamkeit und Verwahrlosung. Und das ziehe er auch durch.
Seitdem, das müssen wir anerkennen, hat er die Frauen verzaubert. Sobald er einen richtigen Liebesfilm dreht, sind sie da, für jede Romanze mit ihm, auch die komplexen und tragischen, würden sie alles stehen und liegen lassen. Und wir Männer, die wir natürlich auch gern solche Macht hätten, begreifen allmählich, woran das liegt. Ryan Gosling hat es einmal selbst gesagt.
»Meine Mutter war nicht nur eine alleinerziehende Mutter, sie war auch sehr schön«, erzählt er etwa über die Zeit, als er ungefähr 13 war. »Und die Männer waren wie Wölfe. Es war für mich schon furchterregend, mit ihr nur die Straße entlangzugehen. Da lag Jagdfieber in der Luft. Kerle haben gepfiffen, haben im Auto gewendet, uns verfolgt. Ich fühlte mich schwach und hilflos. Also habe ich Fantasien entwickelt, in denen ich meine Mutter verteidigen konnte.«
In diesem Moment muss Ryan Gosling beschlossen haben, dass er selbst nie ein Wolf würde. Dass er seine Mutter und seine Schwester, und in der Folge auch jedes andere weibliche Wesen gegen Wölfe, Straßenpfeifer, Pussygrabber, Ausbeuter, Voyeure und Vergewaltiger immer verteidigen würde.
Nun können wir, anders als Ryan Gosling, Frauen nicht wirklich in die Seele schauen. Aber wir sind sicher: Die spüren das. Die spüren in seinem Lächeln, seiner Lässigkeit, ja selbst in jeder Faser seines Waschbrettbauchs, dass dieser Mann einer der letzten Ritter ist. Dass ritterliche Prinzipien in ihm walten, die er niemals bräche, und dass man ihm, wie dem verrückten Ritter von Monty Python, Arme und Beine einzeln abhacken könnte, ohne dass er einen Millimeter davon abweichen würde. Sie spüren das auch in diesem berühmten Handyvideo, in dem er auf der Straße in New York einen Streit schlichtet. Und da sind Frauen nicht einmal involviert.
Ryan Gosling setzt noch eins drauf: »Mir scheint, ich denke wie eine Frau. Denn ich bin mit meiner Mutter und meiner Schwester aufgewachsen. Deswegen wurde ich darauf programmiert, wie ein Mädchen zu denken. Und deshalb ziehen mich Filme mit starken Frauenrollen so an. Starke Frauen sind meine Realität.« Dazu passt dann auch perfekt, dass er als Vater jetzt selbst zwei Mädchen hat, mit der Schauspielkollegin Eva Mendes. Diese Mädchen werden im Paradies aufwachsen, so viel scheint sicher. Als standhafter Ritter macht Ryan Gosling den Frauen wirklich täglich Mut, und wer es nicht glaubt, braucht sich im Internet nur einmal das »Hey Girl«-Phänomen anzuschauen. Da nimmt man einfach ein besonders hübsches Gosling-Foto, schreibt »Hey Girl« darauf, und dann folgt der Satz, den die jeweilige Frau sich gerade am meisten wünscht. Zum Beispiel: »Du schaffst diese Seminararbeit!« Das kommt zur Aufmunterung an den Spiegel. Auf der Bilderwebseite Tumblr, wo sich die Idee verbreitet hat, gibt es schon ganze Sammlungen davon. Es spielt dabei gar keine Rolle, dass Ryan Gosling den Satz »Hey Girl« in keinem seiner Filme gesagt hat.
Die Steigerung ist eine Website, auf der Gosling nach der »Hey Girl«-Einleitung immer ein Stück feministische Theorie erklärt. Diese Idee der Studentin Danielle Henderson (feministryangosling.tumblr.com) war so erfolgreich, dass sie inzwischen als Buch erschienen ist: Feminist Ryan Gosling. Feminist Theory as imagined from your favorite sensitive movie dude.
Schaut man sich einmal an, welche Ryan-Gosling-Filme beim Publikum wirklich funktioniert haben, kann man seine wechselvolle Karriere auf eine simple Formel bringen: Je mehr seine Ritterlichkeit in einer Rolle durchscheinen darf, desto größer wird der Erfolg. Deshalb ist Drive auch immer noch der Gosling-Film schlechthin. Da spielt er einen wortkargen, fast autistisch begabten Rennfahrer und Stuntdriver, der eigentlich nur seine hübsche Nachbarin und deren kleinen Sohn beschützen will. Und zwar selbstlos und sogar völlig entsexualisiert. Er strebt nicht einmal danach, die Rolle des Vaters zu übernehmen, das macht seine Hingabe umso rührender und seinen Blutrausch am Ende so tragisch.
Männer sind Wölfe in Drive, und deshalb wird es am Ende auch ziemlich brutal. Aber ein Männerfilm ist Drive ganz und gar nicht. Wer ihn nur als Schwelgen in Stil und Coolness versteht, verkennt den emotionalen Kern – was dann bei Only God Forgives, der nächsten Zusammenarbeit von Gosling und Refn, umso schmerzhafter sichtbar wurde. Da hat der Held eine furchtbare Killermutter, gespielt von Kristin Scott-Thomas, die ihn zu Rache und Mord antreibt. Diese Mutter kann er nicht beschützen, eher müsste er vor ihr beschützt werden. Und schon wirkt Gosling verloren, seine Coolness ist auf einmal völlig inhaltsleer. Besonders die Frauen haben den Film gehasst.
Lost River, sein Debüt als Filmregisseur, mochten sie auch nicht sonderlich, und auch das leuchtet ein. Darin taucht Gosling tief in die Wolfswelt ein, die er als 13-Jähriger so stark empfunden hat. Christina Hendricks verkörpert praktisch seine Mutter, die Männer um sie herum sind fiese Jäger in einer surrealistisch verfallenen Welt. Das Grundgefühl ist Hilflosigkeit, die Hilflosigkeit eines 13-Jährigen. Die Frauen aber erwarten von Ryan Gosling etwas anderes, wie wir nun wissen. Nämlich Schutz und Ermutigung.
Auch wir Männer haben natürlich gespürt, dass Ryan Gosling ein Ritter ist. Aber das hat unser Misstrauen gegen ihn bisher verstärkt. Wenn wir nämlich unter uns sein wollen, zählt männliche Loyalität. Dann müssen wir uns sicher sein, dass nichts zu den Frauen durchdringen wird, und diese Sicherheit hätten wir bei Ryan Gosling nie. Hat er überhaupt einen besten Freund? In der Öffentlichkeit hört man davon jedenfalls nichts.
Die Komödie The Nice Guys, in der er mit Russell Crowe ein lustig-zynisches Männergespann gab, wurde ein Flop. Buddy Movies, Kriegsfilme, alles Männerbündlerische im Kino wird mit ihm nicht funktionieren, da kann er so gut schauspielen, wie er will. Hollywood könnte sehr viel Geld sparen, wenn diese Erkenntnis dort endlich ankäme. In solchen Filmen wird Gosling immer der Fremdkörper sein, im Grunde der Verräter. Denn seine Loyalität gilt eben nicht seinen Geschlechtsgenossen. Sondern den Frauen.
Die Sache ist jetzt nur die: In den USA wurde gerade ein bekennender Pussygrabber zum Präsidenten gewählt. Und aus den Medien, aus der Filmindustrie, von überhaupt überall kommen täglich neue Berichte, wie Frauen ausgenutzt, degradiert, belästigt oder vergewaltigt wurden. Immer mehr Frauen brechen ihr Schweigen, und immer mehr Männer müssen erkennen: Um die Idee der Ritterlichkeit steht es wahrscheinlich so schlecht wie noch nie.
Also müssen wir Männer uns jetzt bei Ryan Gosling entschuldigen – für unseren Neid, unsere Missgunst, für all unser Bemühen, ihn nicht ernst zu nehmen. Denn der Mann ist in Wahrheit ein Held, und er ist ein Pionier, und wir sollten uns ein Beispiel an ihm nehmen. Er gibt Frauen ein Gefühl von Freude und Lust und Lebenslust, von Freiheit und Sicherheit und Gefahrlosigkeit. Ohne Lichtgestalten wie ihn, die entschlossen vorangehen, könnte sich das Leben bald anfühlen wie eine einzige, endlose Silvesternacht, in der alle Männer Trump-Masken tragen.
Fotos: Synchrodogs