Große Geschichten auf kleinstem Raum

Wer kann, der soll dieser Tage die eigene Wohnung nicht verlassen. Was passt da besser als Geschichten, die ebenfalls an nur einem Ort spielen? Hier sind die 11 besten Lockdown-Filme.

Foto: Constantin-Film

Der Gott des Gemetzels (2011)

Der Ort: Eine Wohnung in New York
Wer ist im Lockdown: Zwei Ehepaare, deren Kinder in eine Schlägerei verwickelt waren
Was bringt die Sache zum Kippen: Wie so oft: Alkohol

Wieso fühlt es sich schon nach wenigen Jahren so an, als sei der Film ein Klassiker des Genres, eine Blaupause für alle Kammerspiel-Filme, die freundlich beginnen und im absoluten Chaos enden? Wahrscheinlich, weil darin einfach alles stimmt: Er ist grandios besetzt (Christoph Waltz, Jodie Foster, Kate Winslet und John C. Reilly), fulminant geschrieben (die Vorlage ist ein Theaterstück von Yasmina Reza) und die Reise in den unvermeidlichen Abgrund erfolgt genau im richtigen Tempo: Schluck für Schluck.

Das Fenster zum Hof (1954)

Der Ort: Ein Appartment im Greenwich Village, New York
Wer ist im Lockdown: Ein Reporter mit gebrochenem Bein
Was bringt die Sache zum Kippen: Ein Mord. Oder war es doch keiner?

Das erste, was beim Wiedersehen mit diesem Klassiker auffällt, ist das Erzähltempo: So viele Sekunden für nur einen Gesichtsausdruck, zwei Minuten für eine Szene, in der bloß am Whisky-Glas genippt wird, nach 20 Minuten noch kein Spannungshöhepunkt: Das soll Suspense sein? Und wie. Der Reporter mit gebrochenem Bein beobachtet seltsame Dinge aus seinem Fenster – oder ist es bloß seine Paranoia? Es ist mit diesem Film wie mit so vielen Hitchcock-Werken: Sie sind angesichts unserer völlig veränderten Sehgewohnheiten extrem gut gealtert. 

Saw (2004)

Der Ort: Ein heruntergekommener Waschraum, irgendwo
Wer ist im Lockdown: Ein Arzt und ein Fotograf, die einander nicht kennen
Was bringt die Sache zum Kippen: Die Sache muss nicht erst kippen, dafür sorgt von Anfang an ein gefährlicher Sadist

Das Horror-Kammerspiel hat eine der erfolgreichsten und langlebigsten Splatter-Filmreihen begründet. Die beiden Protagonisten wachen zunächst mit Erinnerungslücken auf, bald wird klar, sie befinden sich in der Gewalt eines Sadisten, und der eine soll den anderen töten, um zu überleben. Nichts an dem Film ist wirklich innovativ, höchstens das Ausmaß an Folter-Voyeurismus, das im Zuseher geweckt wird. Wem's gefällt: Es gibt mittlerweile neun Teile.

The Party (2017)

Der Ort: Ein hübsches Stadthäuschen in London
Wer ist im Lockdown: Eine Gruppe gut situierter, linksliberaler Freunde, alle beruflich erfolgreich, alle scheinbar mit sich im Reinen
Was bringt die Sache zum Kippen: Ein Geständnis, eine Schusswaffe, Kokain

Der Film wird nicht zu Unrecht häufig mit »Der Gott des Gemetzels« (siehe oben) verglichen, und er muss den Vergleich nicht scheuen: Die Talfahrt von netter Abendgesellschaft zur Jean-Paul-Sartre-haften Hölle funktioniert hervorragend, auch dank der grandiosen Besetzung. Die drohende soziale Katastrophe blitzt von Anfang an zwischen den scheinbar freundlichen Zeilen hervor, und trotzdem ist der Film an keiner Stelle wirklich vorhersehbar. Besonders grandios: Cherry Jones als lesbische Professorin Martha und Bruno Ganz als deutscher Esoteriker Gottfried – eine seiner letzten großen Rollen im Kino.

Der Vorname (2018)

Der Ort: Ein Haus in einem saturierten Vorort irgendwo in Deutschland
Wer ist im Lockdown: Eine kleine Familie, große Schwester, kleiner Bruder, mit Lebensgefährten und bestem Freund
Was bringt die Sache zum Kippen: Der noch ungeborene Sohn des kleinen Bruders soll »Adolf« genannt werden

Wird ebenfalls häufig mit »Der Gott des Gemetzels« verglichen. Die deutsche Variante des »Eigentlich wollen alle nett zueinander sein, doch dann stürzen sie in Abgründe« fällt aber dann doch eine gute Nummer kleiner aus. Die dunklen Geheimnisse (abseits des Vornamens) sind ein bisschen weniger entsetzlich, die Gemeinheiten ein bisschen weniger schneidend. Spaß macht das Ganze trotzdem.

Liebe (2012)

Der Ort: Eine großbürgerliche Wohnung in Paris
Wer ist im Lockdown: Ein altes Ehepaar
Was bringt die Sache zum Kippen: Ein Einbruch, ein Schlaganfall, ein plötzliches Verstummen

Der Film erfüllt nicht alle Voraussetzungen eines strengen Kammerspiels, da er mit Rückblenden arbeitet und in die Zukunft blickt. Man muss ihn sich dieser Tage dennoch ansehen: Er verhandelt die Themen Nähe, Vertrauen, Abschottung und Zuneinung auf eine Weise, der sich niemand entziehen kann. »Meisterwerk« ist ein abgeschmacktes und überstrapaziertes Wort, man sollte es nur für Filme wie diesen verwenden. 

No Turning Back (2013)

Der Ort: Das Innere eines Autos auf dem Weg von Birmingham nach London
Wer ist im Lockdown: Ivan Locke, Bauleiter
Was bringt die Sache zum Kippen: Ein One-Night-Stand, der neun Monate zurückliegt

Noch reduzierter kann man ein Familiendrama nicht inszenieren. Wir sehen 90 Minuten lang nur Tom Hardy, wie er in ein Telefon spricht, und doch werden hier die großen Themen verhandelt: Treue, Ehrlichkeit, Pflichtbewusstsein, Verantwortung. Am Ende hat Ivan Locke alles verloren – und vieles gewonnen.

Lebanon (2009)

Der Ort: Das Innere eines israelischen Panzers im Libanonkrieg 1982
Wer ist im Lockdown: Die Besatzung: vier Soldaten
Was bringt die Sache zum Kippen: Das Töten beginnt in den ersten Minuten des Films

Hier wird Krieg ohne große CGI-Budgets inszeniert und er ist dabei nicht minder grausam – vielleicht sogar umso mehr. Nicht nur der Blickwinkel (wir sehen nur, was die Soldaten im Panzer sehen) macht diesen israelischen Antikriegsfilm zu etwas Besonderem, sondern auch die Kompromisslosigkeit, mit der er sich jeglicher Moralisierung entzieht: Es gibt keine Guten im Krieg und auch keine Helden. Es ist alles nur Schmutz, Angst, Gemeinheit und Tod.

All is lost (2013)

Der Ort: Ein Segelboot auf offener See
Wer ist im Lockdown: Ein namenloser Segler, gespielt von Robert Redford
Was bringt die Sache zum Kippen: Ein Loch in der Seitenwand des Bootes, durch das Wasser eintritt

Robert Redford ist in diesem Ein-Mann-Thriller so weit weg von der Zivilisation, dass er selbst über Funk keine Hilfe rufen kann. Manövrierunfähig und alleine beginnt er den Kampf ums Überleben, zuerst auf seinem Segelboot, dann auf einem Schlauchboot. Das Publikum wird Zeuge eines wortlosen Ringens mit den Naturgesetzen. Wortlos stimmt nicht ganz. In der Mitte des Films schreit Robert Redford einmal laut »Fuck!«. Was für eine Erleichterung!

The Shining (1980)

Der Ort: Ein Hotel in der Bergen von Colorado
Wer ist im Lockdown: Eine Familie: Vater, Mutter, Kind
Was bringt die Sache zum Kippen: Einsamkeit und Psychose

Wer diesen Film nicht kennt, der kennt zumindest ein Dutzend Zitate daraus. Das Hotel, der Schnee, der Schriftsteller mit Schreibblockade, die unheimlichen Zwillinge, das Blut, die Leiche in der Badewanne, die Axt durch die Badezimmertür – zwei Stunden voller Panik, Paranoia und ikonischer Szenen. Vielleicht nicht gerade dann ansehen, wenn man selbst sein »Social Distancing« in einem abgelegenen, großen Haus in den Bergen absolviert. Und dass der Film kein völlig strenges Kammerspiel ist: geschenkt. Die beklemmende Atmosphäre lässt auch ein riesiges Hotel (zu seiner Zeit das größte Filmset der Geschichte) eng und stickig erscheinen. 

Der Herr Karl (1961)

Der Ort: Der Keller eines Lebensmittelgeschäfts in Wien
Wer ist im Lockdown: Der Herr Karl, der neue Lagerist, zusammen mit dem (stumm und unsichtbar bleibenden) Kollegen, der ihn einlernt
Was bringt die Sache zum Kippen: Schwer zu sagen, das müssen Sie selbst sehen.

Zugegeben: Qualtingers einstündiger Monolog läuft ein bisschen außer Konkurrenz – es ist die TV-Adaption eines Solo-Theaterstücks. Die ist umso sehenswerter (und frei verfügbar, oben verlinkt ist kein Trailer, sondern die gesamten 58 Minuten). Es gibt keine andere Möglichkeit, in einer Stunde so viel über die österreichische Seele, die Nachkriegsgeschichte des Landes, die bis heute gängige Opferthese zu lernern, als Qualtinger bei diesem grandiosen Monolog (geschrieben von Carl Merz und Qualtinger selbst) zuzuhören. Und dann macht das auch noch einen Heidenspaß.