SZ-Magazin: Herr de Pury, warum würden Sie bei der Versteigerung eines Gegenstands einen höheren Preis erzielen als ich?
Simon de Pury: Es könnte durchaus sein, dass Sie ein Naturtalent sind. Ich hätte wohl den kleinen Vorteil, dass ich das schon seit vielen Jahren mache. Das ist wie bei Piloten: Je mehr Flugstunden, desto besser.
Anders als Fliegen scheint Versteigern nicht sonderlich kompliziert zu sein.
Das Handwerk ist in der Tat nicht kompliziert. Man muss zählen können, und das kann im Grunde jeder.
Aber es scheint ja mehr dahinterzustecken.
Man kann es nicht beweisen, aber ich glaube, dass dasselbe Objekt bei verschiedenen Auktionatoren verschiedene Preise bringt. Nehmen wir an, Sie kommen in eine Auktion und interessieren sich für einen Gegenstand, für den Sie ein Limit im Kopf haben, das ich nicht kenne. Es könnte nun sein, dass ich Sie dazu bringe, dieses Limit zu überschreiten.
Sie würden merken, dass ich mein Limit erreicht oder überschritten habe?
Das funktioniert intuitiv. Wenn ich eine Auktion leite, spüre ich das Publikum. Wenn es mir also gelingt, Sie zu diesem Extraschritt über Ihr Limit zu bewegen, und das Gleiche gelingt mir bei Ihrem Gegenbieter und vielleicht bei einem dritten Bieter, dann kann das einen großen Unterschied ausmachen. Je wertvoller ein Objekt ist, desto größer ist dieser eine Schritt. Das kann 500 000 Dollar oder mehr ausmachen.
So wie Sie es beschreiben, scheint Versteigern etwas Spirituelles zu haben.
Es geht darum, eine besondere Stimmung herzustellen. Ich habe selbst oft im Auftrag von Kunden geboten, und manchmal habe ich gespürt, dass die Stimmung nicht stimmt. Davon wird man beeinflusst, im schlimmsten Fall korrigiert man sogar sein Limit nach unten.
Das heißt aber doch, als Käufer müsste ich auf richtig schlechte Stimmung hoffen, weil es dann billiger wird.
Müssten Sie wohl, ja. Man wird auf jeden Fall von der Stimmung auf einer Auktion beeinflusst. Die Profikäufer versuchen das auszublenden und kühl zu bleiben. Aber das funktioniert nicht. Warum nicht? Man kennt das von Gemälden, die man in verschiedenen Museen gesehen hat - man kann sich der Stimmung des Ortes nicht entziehen.Wie bringen Sie sich selbst vor einer Auktion in die richtige Stimmung?Ach, ich bin ein bisschen abergläubisch. Ich habe meine Rituale.
Welche?
Ich esse zum Beispiel vor jeder Auktion einen Apfel. Das mache ich seit 1993 so. Damals habe ich in Regensburg für die Fürstin Thurn und Taxis versteigert, und im Schloss standen überall diese Schalen mit Äpfeln herum. Also aß ich während der Vorbereitung Äpfel. Die Auktion lief dann so irre gut, dass ich dachte: Es muss an den Äpfeln gelegen haben.
Äpfel, das ist alles?
Am Nachmittag vor der Auktion will ich keine Menschen sehen. Ich ziehe mich zurück und gehe den Katalog durch, dazu schaue ich mir den Sitzplan an. Bei manchen Objekten weiß ich, wer im Saal daran interessiert sein könnte, das präge ich mir ein. Ganz wichtig ist auch der Hammer.
Es gibt gute und schlechte Hämmer?
Aber ja. Einen Hammer, mit dem ich eine schlechtere Auktion geleitet habe, benutze ich nie wieder. War die Auktion erfolgreich, behalte ich den Hammer.
Sie sind nicht bloß ein bisschen abergläubisch?
Wissen Sie, meine Frau hat eine tolle Energie. Wenn ich einen neuen Hammer habe, dann bitte ich sie immer, den zu berühren, damit etwas von ihrer Energie auf ihn übergeht.
Welcher war Ihr erfolgreichster Hammer?
Das war sicherlich der, mit dem ich 2010 ein Elizabeth-Taylor-Porträt von Andy Warhol für 63,4 Millionen Dollar verkauft habe.
Wissen Sie noch, was Sie in dieser Auktion gefühlt haben? War das eine Art Rausch?
Man ist so konzentriert, dass man gar nicht dazu kommt, über die Höhe der Summe nachzudenken. Danach habe ich mich allerdings schlecht gefühlt.
Warum?
Das ist fast immer so nach großen Auktionen. Monatelang wird alles vorbereitet, und dann ist es in einer Stunde vorbei. Ich habe dann den Post-Party-Blues.
Gibt es eine bestimmte Ausbildung für diesen Beruf?
Nicht wirklich. Als junger Auktionator wird man in der Regel von einem erfahrenen Kollegen angelernt. Dann macht man eine Trockenübung. Das heißt, die Kollegen spielen das Publikum und lassen alles, wirklich alles schiefgehen. Hat man das überlebt, wird man aufs wirkliche Publikum losgelassen. Bei einer unwichtigen Auktion mit billigen Gegenständen, denn jeder Fehler kann Geld kosten.
Wie war das bei Ihnen?
Vor 40 Jahren habe ich einen Kurs bei Sotheby’s gemacht, in dem es um die Bewertung von Kunstwerken ging. Da wurde eines Tages gefragt, wer sich dafür interessieren würde, die Kunstwerke auch zu versteigern. Wir waren 50 Teilnehmer, drei haben die Hand gehoben. Ich war einer davon.
Was haben Sie seitdem gelernt? Was sind Ihre Tricks, außer Äpfeln und der Energie Ihrer Frau?
Nicht zu schnell sein. Man muss ein Gespür fürs Tempo haben und den Rhythmus ständig wechseln. Man kann eine Auktion nicht monoton in einem Tempo durchziehen. Auch die Reihenfolge der zu versteigernden Objekte ist extrem wichtig, das muss man regelrecht orchestrieren. Es ist wie ein Theaterstück: Sie haben Höhepunkte, dann brauchen sie wieder ruhigere Momente. Wenn Sie für ein Objekt einen Rekordpreis erzielt haben, können Sie im Anschluss nicht ein weiteres extrem wertvolles Objekt versteigern, weil alle noch viel zu aufgedreht und abgelenkt sind.
Also kaufen Schnäppchenjäger am besten das Objekt, das Sie nach einem Rekordpreis versteigern?
Wenn sie sich für das Objekt wirklich interessieren, dann vielleicht ja. Es ist in jeder Auktion möglich, einen Coup zu landen, ganz gleich wie gut sie aus meiner Sicht läuft.
Können Sie sich mit einem Bieter freuen, wenn er ein Schnäppchen macht?
Nein, wirklich nicht. Es ist ja meine Aufgabe, das Maximum herauszuholen.
Weil dieser Bieter Sie, wenn man so will, besiegt hat?
Weil ich dem Kunden, dem Einlieferer, verpflichtet bin. Der Auktionator muss den höchsten Preis herausholen, der am Markt zu erzielen ist.
Wie umwerben Sie die potenziellen Bieter vor der Auktion?
Wir veranstalten gern Abendessen in der Auktionsausstellung. Es gibt nichts Besseres, als mit den Werken zusammen zu essen. Da können Sie sich am besten vorstellen, wie es wäre, mit diesen Werken künftig zusammenzuleben. Wenn ich wüsste, dass Sie persönlich eine Vorliebe für einen bestimmten Künstler haben, dann würde ich Sie bei dem Abendessen so platzieren, dass Sie ein zu versteigerndes Bild dieses Künstlers im Blickfeld haben.
Sie versteigern meist bei kommerziellen Auktionen, aber auch bei Auktionen für wohltätige Zwecke. Vermutlich ein Riesenunterschied?
Absolut. In der Auktion für den guten Zweck kann ich die Anwesenden namentlich erwähnen und ich kann viel mehr Sprüche klopfen. Diese Auktionen finden meist während eines Galadinners statt. Da geht man von Tisch zu Tisch, das ist eine ganz andere Show. Man darf die Leute sogar unter Druck setzen, solange es nicht unangenehm wird. Es gibt viele Auktionatoren, die sehr gut bei Charity-Auktionen sind, aber leider nicht bei kommerziellen.
Woran liegt das?
Es braucht einen ganz anderen Ton. Kommerzielle Auktionen sind letztlich sehr seriös. Es ist wichtig, für Unterhaltung zu sorgen, aber es geht natürlich in erster Linie ums Geschäft.
Was ist das Erfolgsgeheimnis bei einer Charity-Auktion? Reichlich Wein?
Eigentlich nicht. Alkohol ist nicht so wichtig. Viel wichtiger ist, dass Sie den richtigen Moment treffen. Wenn Sie zu spät am Abend mit der Auktion anfangen, dann kommt nicht mehr viel.
Wann ist dieser Moment?
Generell gesagt: zwischen Hauptgang und Dessert. Es gibt Charity-Veranstalter, die ein endloses Entertainment-Programm einbauen: Modenschau, Ballett, was auch immer. Aber dann haben die Leute auch keine Lust mehr, jetzt noch auf einer Auk-tion mitzubieten. Die Auktion darf nicht zu lang sein, Sie dürfen maximal sieben, acht Stücke versteigern. Die aber in einem Feuerwerk. Dann kommt am meisten Geld heraus.
Haben Sie da eine Verantwortung den Bietern gegenüber? Die Stimmung ist gelöst, Sie sind ein professioneller Verführer – dürfen Sie guten Gewissens viel zu viel Geld aus den Leuten herausholen?
Wenn es um einen guten Zweck geht, ist alles erlaubt. Es ist bei solchen Auktionen vorgesehen, dass die Leute zu viel bezahlen, und das wissen sie auch. Das sind letztlich Spenden. Oft versteigere ich bei solchen Anlässen auch etwas, was keinen konkreten Wert hat. Ein Dinner mit einem Schauspieler oder einen Besuch an einem Filmset.
Hat sich mal jemand beklagt, dass Sie zu viel aus ihm herausgeholt haben?
Einmal bot eine Dame in der dritten Reihe jedes Mal, wenn ich sie anschaute. Also habe ich sie sehr oft angeschaut. Nach der Auktion kam sie aufgeregt zu mir und sagte: Ich wollte gar nichts kaufen, aber ich konnte nicht anders. Ihr Mann hat alles bezahlt. Heute kann er ihr dankbar sein.
Warum?
Er besitzt jetzt eine der besten Sammlungen von Schnupftabakdosen, die es gibt. Sie hat massiv an Wert gewonnen.
ZUR PERSON
Simon de Pury wurde 1951 in Neuchâtel in der Schweiz geboren und ist einer der bekanntesten Auktionatoren weltweit. Er arbeitete lang für Sotheby’s, bevor er 1997 sein eigenes Auktionshaus gründete, das 2001 mit dem britischen Traditionsunternehmen Phillips zu Phillips de Pury & Company fusionierte.