Als, irgendwann im Jahr 2003, die Dinge im Militärgefängnis von Abu Ghraib aus dem Ruder liefen, da ging es nicht nur um den ultimativen Folter-Kick für private Zwecke. Die Szenen der Erniedrigung aus Abu Ghraib waren von Anfang an dazu gedacht, als Bilder herumgereicht zu werden, sie wurden als Schauspiel inszeniert. Stolz lächelnd posierten die Folterer mit ihren geknechteten Opfern, als wollten sie sagen: Seht her, was wir hier für einen Spaß haben. Der zweite Irak-Krieg hat aber nicht nur neue Inszenierungen der Perversion hervorgebracht, sondern auch eine neue Form der Bildsprache: Die Soldaten im Irak haben digitale Kameras im Marschgepäck und filmen, was immer sie erleben. Einzelbilder dieser Aufnahmen speichern sie in komprimierten Bilddateien, so genannten JPegs, und schicken sie so arglos wie selbstverständlich via E-Mail den Daheimgebliebenen. Ein Klick genügt. Kein Pentagon konnte diese Bilderflut zensieren, deren wahres Ausmaß uns bis heute verborgen geblieben ist, kein Magazin hat sie in Auftrag gegeben. Sie kamen so anonym, plötzlich und massenhaft in die Welt wie SMS-Botschaften – die Bilder aus Abu Ghraib seien heute, technologisch gesehen‚ »das visuelle Äquivalent zum Geplapper an den Mobiltelefonen«, schrieb der Kunstkritiker der New York Times, Michael Kimmelmann. Künstler haben sich schwer getan, Antworten zu finden auf die Bildermaschine aus dem Irak. Sie waren zunächst so sprachlos, wie nach 9/11. An visueller Kraft konnten sie die Zeugnisse des Horrors einfach nicht übertreffen. Und wozu auch? Waren Lynndie England & Co. nicht selbst schon fabelhafte Reporter des Grauens gewesen? Hatten nicht schon das Andy Warhol Museum in Pittsburgh und das International Center of Photography in New York die Bilder aus Abu Ghraib ausgestellt, ausgedruckt aus dem Internet und an die Wand gepinnt? Gab es tatsächlich noch mehr zu sagen zu Abu Ghraib? Es gab noch mehr zu sagen. Als im Herbst 2004 der amerikanische Präsidentenwahlkampf in die heiße Phase eintrat, wachten auch die Künstler plötzlich auf: Sie übten sich in politischer Agitation, nahmen an Demos teil, veranstalteten Diskussionen und organisierten Ausstellungen. Denn an der Popularität Bushs hatte auch Abu Ghraib nichts ändern können. Im Gegenteil: Der bekannte Radiomoderator Rush Limbaugh konnte in seiner Show die Folterszenen sogar ungestraft verharmlosen: »Haben Sie noch nie von emotionaler Befreiung gehört?« Die amerikanische Öffentlichkeit schien sich einig: »Unsere Jungs im Irak« hatten eben ein bisschen über die Stränge geschlagen. Doch was die Künstler betraf, sollte Bush mit Abu Ghraib und dem Irak-Krieg nicht davonkommen. Immer wieder verarbeiteten sie nun in ihren Werken Motive aus Abu Ghraib, als wollten sie sagen: Vergesst nicht, was geschehen ist. In den Straßen New Yorks wurden anonyme Plakate an die Wände geklebt, auf denen statt des Apple-Logos eine Bombe prangte; statt »iPod« war dort »iRaq« zu lesen, und statt tanzender Silhouetten mit Knopf im Ohr war ein Gefolterter mit übers Gesicht gezogener Mütze und Elektroden an den Händen abgebildet. Der Bildhauer Richard Serra mietete ein Billboard im Stadtteil Chelsea, um seine gemalte Version des Märtyrers mit der schwarzen Kutte publik zu machen; »Stop Bush«, schrieb er daneben. Der mit Stromstößen Gefolterte ist bei Serra zu einer düsteren Schattengestalt verwandelt; er sieht aus wie ein Menetekel der Bush-Regierung. Den Aufmerksamkeitseffekt der Folterbilder für ästhetische Zwecke zu nutzen, das hatte übrigens kaum ein Künstler im Sinn. »Ich halte mein Bild aus Abu Ghraib nicht für Kunst«, sagt Serra, »es ist Propaganda – im besten Sinne.« So entstanden politische Werke von beeindruckender Kraft. Künstler wie John Waters, Paul Chan, Carl Andre, Hans Haacke oder Gianni Motti schufen mitunter zynische, böse Kommentare zum Folterskandal, ausgestellt in Schauen wie »Elections« in der inzwischen aufgelösten Galerie American Fine Arts in Chelsea, »Power T’s« in der Galerie Pierogi in Williamsburg oder »Human Wrongs« in der Buchhandlung 192 Books, ebenfalls in Chelsea. 192 Books bekam anlässlich von »Human Wrongs« übrigens Besuch vom Secret Service – weil eine ausgestellte Briefmarke den Kopf Bushs zeigte, auf den eine Waffe gerichtet war. Gianni Motti stellt derzeit auf der Kunstbiennale in Venedig einen Original-Foltercontainer aus – er stammt nicht etwa aus Abu Ghraib, sondern aus Guantanamo. Der Künstler zieht sich schon mal eine Foltertüte über den Kopf, wenn Bush zugegen ist. Und Martha Rosler, die auch schon den Vietnamkrieg mit ihren Collagen kritisiert hatte, brachte den Skandal von Abu Ghraib ihren Landsleuten besonders drastisch zu Bewusstsein: Sie verpflanzte die Marterszenen in heimische Hochglanz-Werbeanzeigen. Und auf dem Blatt »Lounging Woman« räkelt sich ein Model strahlend vor den US-Marines, die es sich ihrerseits in einem von Saddams Palästen gemütlich gemacht haben. Roslers Collage-Zyklus »Bringing the War Home: House Beautiful, New Series«, der in diesem Frühjahr im Sprengel Museum Hannover ausgestellt wurde, zeigt, dass auf Dauer auch im Bush-Homeland niemand die Fotos aus der Hölle verdrängen kann – weil sie von denen geschossen wurden, die aus der Mitte dieser Gesellschaft kommen. Und das ist dann vielleicht auch die größte Leistung der Kunst nach Abu Ghraib: Diese Bilder werden nicht verschwinden. Sie werden immer und immer wieder ausgestellt werden – so dass sie auf Dauer im kulturellen Gedächtnis verankert bleiben.
Folterwerkzeugen
In Abu Ghraib wurden Menschenrechte mit Füßen getreten. Jetzt schlagen Künstler zurück.