Das Häubchen auf der Sahnedose

In der Schweiz ziert jede Kaffeerahmdose ein Bild. Der Fotograf Roger Eberhard hat sie gesammelt, vergrößert und fotografiert. 

In der Schweiz trinkt man seinen Kaffee mit Blick auf den Grand Canyon. Seit 1968 sind die Kaffeerahmdeckeli, wie man in der Schweiz sagt, die Deckel der Kaffeesahnedöschen also, die man zu einem schwarzen Kaffee gereicht bekommt, mit Bildern bedruckt. Sie zieren schweizerische genauso wie internationale Landschaften, Gebäude oder berühmte Persönlichkeiten.

So unterschiedlich die Motive sind, sie alle vereint etwas Archetypisches. Das Bild und der Betrachtende, das muss Liebe auf den ersten Blick sein, zu leicht könnte man die nur 3,5 Zentimeter großen Deckel sonst übersehen. In der Schweiz sind die Kaffeerahmdeckel Kulturgut: millionenfach bedruckt, betrachtet, entsorgt oder aber vorsichtig abgelöst, glatt gestrichen und eingeklebt.

»Wenn wir meine Tante besuchten, haben wir ihr immer einen Briefumschlag mit Kaffeerahmdeckeln mitgebracht«, erzählt der 39-jährige Fotograf Roger Eberhard. In den Neunzigerjahren waren die Kaffeerahmdeckel in der Schweiz beliebte und wertvolle Sammlerobjekte. Eberhard selbst hat sie nie gesammelt, aber als Fotograf fasziniere ihn, wie so etwas vermeintlich Banales wie der Deckel ­eines Kaffeerahmdöschens lange vor sozialen Medien die Welt im Kleinstformat an Schweizer Kaffeetische gebracht hat.

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Für seine Serie Escapism hat Eberhard diese Deckelbilder nun in 100-facher Vergrößerung erneut fotografiert und dann auf Wandbildformat gebracht. Der gerade noch fingernagelgroße Berg türmt sich nun majestätisch vor einem auf. Die Vergrößerung enthüllt außerdem die Punkte des Druckrasters CMYK. Die Abkürzung steht für Cyan, Magenta, Yellow und Key, also Cyan­blau, Magenta, Gelb und Schwarz. Es braucht nur vier Farben, um aus dem Nichts einen Traumstrand zu erschaffen.

Eberhard hat sich für seine Strecke für Motive entschieden, die Teile der Welt zeigen, die von der Klimakrise bedroht sind: Bilder von Gletschern, die wahrscheinlich abschmelzen, oder von Windmühlenfeldern in den Niederlanden, die ein steigender Meeresspiegel zu verschlucken droht. Man kann seine Serie als eine Art Totengesang auf die vom Untergang bedrohte Erde verstehen. Oder, wie Eberhard selbst sagt, als Erinnerung daran, wofür die Kaffeerahmdeckel vielleicht schon immer standen: dass die ultimative Reise die Reise im Kopf ist, auch wenn sie nur eine Kaffeetassenlänge dauert. Oder wie die Dichterin Simone Lappert in Eberhards Buch Escapism schreibt: »hin und wieder steckt er eine insel ein, / am kiosk um die ecke: / fidji, capri, bunte fische, ­palmen, sand –/ horizonte ohne haselsträucher, / mit den fingern fährt er die küsten lang, / lauscht den gezeiten der autobahn, / in zwölf tassen um die welt.«