Mehr! Mehr!

Die meisten Menschen sammeln eher im Verborgenen, aber manche schaffen es, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen. Hier verraten neun Museumsdirektoren, wovon sie schon als Kinder nicht genug bekommen konnten.

SAMMLUNG
Karl-May-Figuren

SAMMLER
Hans-Werner Schmidt
Museum der bildenden Künste, Leipzig

Meistgelesen diese Woche:

»Ich hatte eine Abmachung mit meiner Mutter: Wenn ich sie zum Einkaufen begleitete - wir sprechen von den späten Fünfzigerjahren -, ging sie danach mit mir in einen Spielzeugladen und kaufte mir eine Elastolin-Figur. Die waren nur acht Zentimeter groß, aber extrem ausdrucksstark: Winnetous Mimik, Old Shatterhands Gestik! Die Augenbrauen waren mit feinen Pinselstrichen gezogen, auf der Silberbüchse konnte man jeden Silbernagel erkennen. Von Anfang an inventarisierte ich meine Sammlung: Ich legte Bestandslisten an mit Namen von Personen und Stämmen - und den Figuren, die ich mir als Nächstes wünschte: Sam Hawkens, Klekih-petra, Intschu tschuna; das Ziel einer Sammlung ist schließlich Vollständigkeit. Irgendwann hatte ich knapp 60 Figuren zusammen. In meinem Zimmer baute ich Wildwest-Landschaften nach: Decken und Kissen wurden zu Canyons, Kochtöpfe zu Seen. Ich spielte so tagelang, das Aufstellen der Figuren ergab szenische Bilder. Heute sind noch ungefähr 30 davon übrig, sie haben ein bisschen gelitten, als mein Sohn damit spielte. Jetzt stehen sie wieder auf einer Kommode in meinem Haus.«

-

SAMMLUNG
Bücher und Zeitschriften

SAMMLER
Okwui Enwezor
Haus der Kunst, München

»Der Krieg in Biafra begann, als ich vier war. Meine Familie gehört zur Volksgruppe der Igbo, die für die Unabhängigkeit von Nigeria kämpfte, in einem brutalen Sezessionskrieg mit mehr als einer Million Opfer. Wir verloren unsere Heimat und zogen zweieinhalb Jahre lang von Ort zu Ort. Wenn man alles zurücklassen muss, kann man sich nicht an Dinge binden. So hänge ich bis heute eher an Erinnerungen als an Objekten, sie sind greifbarer für mich als irgendwelche Sachen. Dennoch fing ich nach dem Ende des Krieges an, Bücher und Zeitschriften zu sammeln. Mit zwölf bekam ich Shakespeares gesammelte Werke zum Geburtstag, darauf war ich stolz. Zu meiner kleinen Sammlung literarischer Werke, etwa 30 Bücher, kam eine weit größere Sammlung von Krimis, von Autoren wie Mickey Spillane und James Hadley Chase, und von den amerikanischen Magazinen Ebony und Jet, in denen ich Geschichten über die großen afroamerikanischen Stars und Sportler las. Mit 19 ging ich zum Studium nach New York - und ließ all diese Dinge zurück. Ich habe oft neu angefangen, ohne Dinge aus meinem alten Leben in mein neues mitzunehmen.«


Steine und Platten


SAMMLUNG
Steine

SAMMLER
Nicolaus Schafhausen
Kunsthalle Wien

»Ich war ein hibbeliges Kind, fast schon hyperaktiv. Mein Vater konnte mich nur zur Ruhe bringen, indem er mit mir laufen ging. Wir wohnten in Düsseldorf, also liefen wir am Rhein entlang. Ich suchte am Ufer nach flachen Steinen, die ich übers Wasser flitzen lassen konnte - aber die schönsten wollte ich ungern verlieren, also steckte ich sie in die Tasche und brachte sie nach Hause. In meinem Kinderzimmer entstand eine riesige Sammlung. Als es ein paar Tausend waren, verlegte ich sie in unseren Garten. Einmal versuchte ich im Werkunterricht den perfekten Stein zu töpfern, aber die Form bekommt niemand so gut hin wie die Natur. Einen Stein habe ich immer noch, er ist dunkel gemasert, liegt toll in der Hand. Ich trage ihn oft in der Hosentasche, wie einen Schlüsselbund. Er ist eine schöne Erinnerung an die gemeinsame Zeit mit meinem Vater. Wenn ich heute an einem Flussufer jogge, geht mir immer noch das Herz auf. Abgerundete Steine anzufassen hat etwas Emotionales, aber gleichzeitig Intellektuelles. Steine flitzen zu lassen versetzt mich noch immer in eine kindliche Träumerei.«

-

SAMMLUNG
Rolling-Stones-Platten

SAMMLER
Michael Eissenhauer
Staatliche Museen zu Berlin

»Meine älteste Platte ist Satisfaction, das Cover sieht ganz grausig aus, ein furchtbares Rot ist das. Ich hörte sie zum ersten Mal im Sommer 1966 bei meiner Cousine. Ich war neun, natürlich verstand ich kein Wort, aber der Song hatte diesen irren Drive, der Beat ging so zur Sache, wie ich das noch nie gehört hatte. Von diesem Tag an entwickelte sich mein Geschmack allmählich in Richtung Blues- und Jazzrock. Die Beatles nahm ich episodisch wahr, hätte mir aber nie eine Platte von ihnen gekauft. Als Stones-Fan war das ja Ehrensache.«


Postkarten und Gänse

SAMMLUNG
Kunstpostkarten

SAMMLER
Hans-Ulrich Obrist
Serpentine Gallery, London

»Als ich zehn war, erzählten mir meine Eltern vom Kunsthistoriker Aby Warburg, und ich beschloss, wie er einen ›Bilder-atlas‹ anzulegen. Also begann ich Postkarten zu kaufen mit berühmten Kunstwerken, von Dürer bis zu den Impressionisten. Ich legte Kästen an und sortierte die Karten fast täglich neu: nach Epoche, Künstler oder Motiv. Es war eine Art tragbares Museum, fast immer hatte ich einen Stapel dabei. Mit 15 ging ich jeden freien Nachmittag ins Museum, die Karten hatten ihren Zweck als Bilderquelle erfüllt. Ich verschickte sie per Post.«

-

SAMMLUNG
Gänse

SAMMLER
Klaus Biesenbach
MoMa PS1, New York

»Ich war ein großer Bewunderer von Konrad Lorenz. Als ich 14 war, besorgte ich mir Eier von Wildgänsen. Nach vier Wochen im Brutkasten schlüpften die Gössel, bald waren sie auf mich geprägt: Wenn ich in unserem Viertel spazieren ging, watschelten sie hinter mir her. In einem Verschlag im Garten zog ich Graugänse, Höcker- und Kanadagänse auf. Meine Lieblinge waren aber Nilgänse, die man schon auf ägyptischen Hieroglyphen findet. Über die Jahre flogen einige weg, andere starben - als ich Abitur machte, waren noch fünf übrig. Ich schenkte sie meinem Biolehrer.«


Schachteln, Flugzeuge und Streichhölzer

SAMMLUNG
Zigarettenschachteln

SAMMLER
Max Hollein
Städel Museum & Schirn, Frankfurt

»Schrecklich war das für die Eltern. Ständig habe ich leere Zigarettenschachteln von der Straße aufgelesen oder in Mülleimern nach ihnen gewühlt. Bis ich 16 war, kamen so Tausende unterschiedliche Schachteln zusammen. Sie zu sammeln erforderte keinerlei finanziellen Einsatz - das hat mir gefallen. Die Schachteln haben mich als kulturelle Objekte fasziniert, die einen Zeitgeist ausdrücken können, und auch als Designobjekte. Die roten Marlboro sahen von Land zu Land anders aus, solche Nuancen habe ich studiert. Selbst geraucht habe ich nie.«

-

SAMMLUNG
Modellflugzeuge

SAMMLER
Tobia Bezzola
Museum Folkwang, Essen

»Mein erstes Flugzeug war eine Boeing B-17 ›Flying Fortress‹, ein großer amerikanischer Bomber aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Bausätze hatten immer ein wunderbar knalliges Bild auf der Schachtel, das in krassem Kontrast zu den grauen Plastikteilen stand, die dann aus dem Karton purzelten. Meine Sammlung forderte viel Geduld: Zuerst musste ich die Verstrebungen und Bolzen vom Plastikrahmen lösen. Nie passten die zusammen, ständig musste ich mit einer Nagelfeile nachbearbeiten. Beim Zusammenkleben bescherte mir dann der Flüssigleim erste Drogen- erlebnisse. Schließlich kam der Höhepunkt: das feierliche Einsetzen des Piloten ins Cockpit. Wenn das Flugzeug am Ende lackiert und mit den Wappen der Truppengattungen beklebt war, war die Enttäuschung immer groß: Das fertige Modell hatte mit dem Bild auf der Schachtel nur rudimentäre Ähnlichkeiten. Bis ich ungefähr zwölf war, standen Dutzende Kampfjets aus dem Zweiten Weltkrieg in den unterschiedlichen Graden der Vollendung in meinem Regal. Der historische Kontext war mir egal. Bauen, Aufstellen, Arrangieren - das war das Spannende.«

-

SAMMLUNG
Streichholzschachteln

SAMMLER
Udo Kittelmann
Nationalgalerie, Berlin

»Meine Streichholzschachtelsammlung datiere ich auf die späten Sechzigerjahre, ich war ungefähr zehn. Mein Vater arbeitete als Ingenieur für eine Schweizer Firma und war viel auf Reisen. Manchmal hörten wir über längere Zeit, außer durch Telegramme, nichts von ihm. Wenn er zurückkam, brachte er als Souvenir öfter auch Streichholzschachteln mit, aus mir damals exotisch erscheinenden Ländern. Die wunderbarsten kamen aus Las Vegas, ›The Dunes‹ warb zum Beispiel mit ›1000 deluxe rooms‹ - für mich als Kind in Düsseldorf waren das damals unvorstellbare Dimensionen. Die Schachteln aus Saudi-Arabien und China faszinierten mich besonders wegen den fremdartigen Schriftzügen, in Deutschland gab es ja damals fast nur die immer gleich aussehenden ›Welthölzer‹. Die Schachteln erweckten meine Neugierde auf die Orte, die mein Vater bereiste und machten mir gleichzeitig die Schönheit grafischer Gestaltung bewusst. Beim Sammeln übt man ja die Wahrnehmung, man muss ständig relativieren: Welche Schachtel gefällt mir besser, welche schlechter? Heute habe ich noch etwa 200 Schachteln.«

Fotos: Steffen Jagenburg @ Kunsthalle Wien 2012; Anna Meyer; Staatliche Museen zu Berlin / Thomas Meyer; Staatliche Museen zu Berlin / Sandra Steiß; Ofer Wolberger; ddp images; Michael Hudler; David von Becker; Ben Kuhlmann