»In Algier, in der Nähe von Bab el Oued, gibt es einen Strand, den Jugendliche Rochers Carrés nennen. Er wurde in den Siebzigerjahren unter dem algerischen Präsidenten Houari Boumedienne errichtet und besteht aus vielen Betonblöcken, die als Wellenbrecher eingesetzt werden. Diese Steine sind riesig, vier Meter breit und drei Meter lang. Als Kind habe ich meine Sommerferien immer in Bab el Oued verbracht. Das Viertel gehört zu den ärmsten von Algier, die Jugendlichen hängen rum, kiffen, manche fischen ein bisschen, andere prostituieren sich. Vor allem aber sitzen sie stundenlang auf diesen Betonblöcken und starren aufs Meer, als seien sie von den vielen Schiffen hypnotisiert, die ganz langsam zwischen Algerien und Europa hin- und herfahren.
Dieser Strand ist die ultimative Grenze, die sie von Europa und damit von ihren Träumen und Sehnsüchten nach einem besseren Leben trennt. Die mächtigen Betonblöcke kerkern sie ein in ihre eintönige und grausame Wirklichkeit – und wenn es doch einer schafft, das Meer zu überwinden und nach Frankreich, nach Paris zu kommen, dann landet er wo? In den tristen Vorstädten, in den Banlieues, wo er wieder von Beton eingekerkert wird.
Je älter ich werde, desto skurriler finde ich, dass ich zwischen den Betonblöcken der Pariser Vorstädte aufgewachsen bin und jeden Sommer zwischen den Betonblöcken in Algier verbracht habe. Ich frage mich, ob die jungen Menschen auf den Fotos, die den Horizont in der Hoffnung nach einem Ausweg absuchen, wissen, in welch trostloser Umgebung sie letztlich landen werden. Da wie dort die gleiche Hoffnungslosigkeit, die gleiche sexuelle Frustration, der gleiche Mangel an Anerkennung, das gleiche Gefühl des Versagens und des Leidens.«
Credits: From the series Rochers Carrés, photographic series, silver print, 80 x 120 cm, courtesy of Collection Barjeel Art Foundation - UAE, Collection Sharjah Art Foundation - UAE, Collection Société Générale - France, Collection Mac/Val - France, private collection, and Galerie Nagel Draxler; Fotos: Kader Attia; Porträtfoto: Per Kristiansen
Fotos: Kader Attia; Porträtfoto: Per Kristiansen