Sie stehen unübersehbar in vielen deutschen Städten herum. Man kriegt sie da beim besten Willen nicht mehr weg. Aber wenn man sie wirklich benötigte, wären sie nicht zu gebrauchen.
Das paradoxe Wesen der Hochbunker, also der überirdischen Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, beschäftigt Niklas Grapatin, 36 Jahre alt und freier Fotograf in Hamburg, seit einem dieser »bundesweiten Warntage«, an denen jährlich die Warninfrastruktur in Deutschland getestet wird. Sein Handy gab ein lautes Alarmsignal von sich, und er fragte sich, was im Ernstfall eigentlich die nächsten Schritte wären. Was, wenn die Menschen in Deutschland plötzlich Schutz suchen müssten, so wie die in der Ukraine?
Er habe dann angefangen, ein bisschen zu recherchieren, sagt er, und schnell festgestellt, dass es keine ausreichenden Schutzmöglichkeiten für die Bevölkerung in der Bundesrepublik mehr gibt. Nur noch 579 öffentliche Schutzräume stehen nach Angaben des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, kurz BBK, für den Zivilschutz zur Verfügung. Die bieten Platz für etwas weniger als eine halbe Million Menschen und sind laut der Behörde ohnehin »akut nur sehr begrenzt nutzbar«.
Es lag auf der Hand, dass Grapatin da die vielen Hochbunker ins Auge stechen mussten, die ab 1940 zum Schutz vor den Luftangriffen der Alliierten in Deutschlands Städten errichtet wurden und oft heute noch stehen. In Hamburg sieht man besonders viele. Der prominenteste ist dort der Flakturm auf dem Heiligengeistfeld, der heute so zur vertrauten Kulisse von Spielen des FC St. Pauli gehört wie die Fahnen der Fans. Seit er unlängst noch spektakuläre Dachaufbauten bekam (Hotel, Kongresszentrum plus Wald mit Wanderpfad), wirkt er wie eine weitere Attraktion zwischen den Fahrgeschäften des Jahrmarkts, der auf dem Gelände davor dreimal im Jahr stattfindet.
So taucht er jedenfalls nun in der grandiosen Fotoserie auf, die Niklas Grapatin zwischen März 2024 und März 2025 von Hochbunkern im ganzen Land gemacht hat. Die meisten davon geben allerdings deutlich weniger schillernde Erscheinungen ab. Gemeinsam ist ihnen, dass man sie nach dem Krieg nicht einfach abreißen oder wegsprengen konnte, dafür waren sie schlicht zu massiv. Man musste lernen, mit ihnen zu leben. Was sie immerhin zu starken Sinnbildern jener Vergangenheit macht, aus der sie stammen. Manche wurden zu Wohnhäusern umgebaut, manche wurden mit Wohnhäusern überbaut, manche wurden von vornherein so gebaut, dass sie Wohnhäusern ähneln – zur Tarnung und damit sie sich ins Stadtbild einfügen.
Die Sorge um die ästhetische Akzeptanz scheint die Nazis bei ihrem Bunkerbauprogramm erstaunlich lange angetrieben zu haben. Es erinnert manchmal an heutige Bemühungen, Parkhäuser unauffällig in die Nachbarschaft einzufügen. Berühmt ist ein Bunker in Düsseldorf, der zur Tarnung die Form einer Kirche bekam – und der nach dem Krieg dann tatsächlich auch zur Kirche gemacht wurde.
Auffällig ist, wie vielen Hochbunkern die Formen mittelalterlicher Festungen oder frühneuzeitlicher Kastellen verpasst wurde. Es wirkt, als hätten die Entscheider damals gesagt: Burgen, Bergfriede, Zinnen und Pechnasen – so was finden die Leute doch romantisch. Vielleicht, wer weiß, wollten die Nazis so auch den inneren Goetz von Berlichingen im deutschen Volksgenossen ansprechen. Man darf allerdings annehmen, dass es mit der Burgenromantik spätestens ab dem Moment vorbei war, in dem wirklich Bomben fielen.
Besonders beklemmend sehen heute noch die Bunker des Typs Winkel aus, benannt nach dem Konstrukteur Leo Winkel. Nämlich so, als wären es selbst aufrecht stehende Bomben aus Beton. Die spitze Form wird ihre wohlberechnete moderne Funktionalität gehabt haben. Hieran sollten Bomben seitlich abrutschen. Aber gleichzeitig hat es etwas Archaisches, etwas von Abwehrzauber durch formal Gleiches – so wie an mittelalterlichen Kirchen mitunter Darstellungen von Teufeln angebracht waren, um den Teufel draußen zu halten. Wenn auf so einer Betonbombe heute der Werbewürfel eines Discount-Supermarktes steckt, so zu sehen in Herne, hat das natürlich etwas Erheiterndes.
Oft sind die neuen Nutzungen jetzt besonders zivil und freizeitlastig: Solebäder, Musikschulen, Event-Locations, Technoclubs sind in den Bunkern untergebracht worden, die Grapatin fotografiert hat. Es macht den Eindruck, als sollten die dicken Wände heute vor allem die Nachbarschaft vor den Geräuschen im Inneren schützen. Die Nachkriegsdeutschen haben sich auch hier mal wieder sichtlich bemüht, das Beste daraus zu machen, wie man so sagt.
Eigentlich ist Niklas Grapatin ein Spezialist für Porträtfotografie, hier musste er sich der Mittel von Architekturfotografen bedienen: einem speziellen Objektiv, um stürzende Linien zu vermeiden, und bedecktem Himmel für neutrales Licht. So bekommen die verschiedenen Bunker etwas Monumentales und die Fotos etwas Typologisches – ein bisschen wie in den Bilderserien, in denen einst Bernd und Hilla Becher die Zechentürme des Ruhrgebiets systematisiert haben. Wobei Grapatin sie zugleich demonstrativ in ihrem heutigen Alltag eingebettet zeigt: Autos parken davor, Menschen laufen vorbei, das Leben in der Bundesrepublik geht rund um sie herum weiter.
Für die Bunker der Deutschen aus dem Zweiten Weltkrieg haben sich Fotografen bisher eher an der französischen Westküste interessiert, am sogenannten Atlantikwall. Aber was heißt schon Bunker der Deutschen? Errichten mussten die ja im Wesentlichen Menschen anderer Nationen, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Das war bei den Hochbunkern in den deutschen Städten am Ende nicht anders. Auch die Sklavenarbeit, die in den dicken Wänden steckt, macht sie heute noch so bedrückend.
Noch bedrückender ist nur, wie gefragt Bunker auf einmal wieder sind. Und zwar nicht als Räume für Musikschulen und Diskos oder als Fundamente für aufgepfropfte Bürobauten. Sondern als Bunker im ursprünglichen Sinn. Aber das Bedrückends-te sind die Auskünfte, die Niklas Grapatin bei seiner Recherche auf der Webseite des BBK dazu gefunden hat: Heute seien die allermeisten Bunker in Deutschland, also auch die aus der Zeit des Kalten Krie-ges, »aus dem Zivilschutz entlassen«. Der nicht sehr ermutigende Grund: »Experten gehen heute von einem Schadensszenario ohne Vorwarnzeit aus.« Daher könnten Schutzräume auch keine Sicherheit mehr bieten.












