Angeklagt: Björn D., 29 (Blokkmonsta), Raphael B., 29 (Schwartz),
Lovelet W., 28 (Dr. Jekyll), Musiker; Jonas O., 28, Schallplattenhändler
Delikt: Gewaltverherrlichung, Volksverhetzung
Besondere Kennzeichen: Horror-Rapper und Studenten
Der Richter hat eine provisorische Musikanlage auf seinem Tisch aufgebaut, ein Notebook und zwei kleine Plastikboxen. Durchgehört werden muss die CD Friss Oder Stirb von Blokkmonsta & Schwartz, einer Hip-Hop-Gruppe, die bereits mit der Justiz in Berührung geraten ist. 2007 wurden Björn D. und Raphael B. wegen Gewaltverherrlichung verurteilt, als erste Musiker in Deutschland ohne rechtsradikalen Hintergrund. Sie hatten in einem Song die damalige Bundestagsabgeordnete Monika Griefahn bedroht.
Jetzt stehen Blokkmonsta & Schwartz erneut vor Gericht, gemeinsam mit einer Rapperin, die einige Stücke zu dem Album beigetragen hat, und dem Betreiber eines Plattenversands. Der Richter nimmt behutsam die CD aus der Hülle – nach der Vernichtung der Gesamtauflage handelt es sich um eines der letzten Exemplare – und schiebt sie in den Rechner. Ungelenke Beats ertönen, wie auf einem Kindergeburtstag aufgenommen, dazu schwer verständliche Texte, in denen es um Folter und Kannibalismus geht und häufig die Wörter »ficken«, »tot« und »Hurensöhne« fallen.
Raphael B., langjähriger Germanistikstudent und der Intellektuelle der Gruppe, verliest anschließend eine Erklärung zur Konzeption der CD. Im Jargon einer Proseminararbeit versucht er, die eigenen Liedtexte als metaphorischen Kommentar zur Finanzkrise vom Herbst 2008 zu deuten. Es sei um die Idee gegangen, das »Prinzip des Raubtierkapitalismus in einen Horrorkontext zu übersetzen«. Er sagt auch, dass die »agierenden Figuren und deren Handlungen als Metaphern für den Einbruch äußerer Gewalt in das soziale Leben normaler Menschen zu verstehen sind«, und dass in einer Passage »ein intertextueller Bezug zu Bret Easton Ellis’ Roman American Psycho hergestellt wird«. Es ist ein herrlicher Kontrast! Gerade noch wurde ein Stakkato des Stumpfsinns in den Gerichtssaal geblasen, »Hurensohn, breche dein Genick wie ein Streichholz / Und der tollwütige Penis in meiner Hose ist mein muttergefickter Leitwolf«. Und jetzt legt ein Student im taubengrauen Rollkragenpullover ein akkurates Stück Sekundärliteratur nach.
Der Rest des Verfahrens dreht sich um konkurrierende Methoden der Gedichtinterpretation. Wie müssen die Songtexte von Blokkmonsta & Schwartz gelesen werden? Sind es Anleitungen zu kriminellen Taten oder in sich geschlossene Sprachkunstwerke? Es stellt sich die auch nach Amokläufen bekannte Frage, wie hoch die Schwelle zwischen Kulturerzeugnis und Verbrechen ist. Für den Staatsanwalt ist diese Schwelle zu vernachlässigen; er hält in seinem Plädoyer einen Zeitungsartikel über einen Angriff auf Obdachlose in die Höhe und rückt die CD in unmittelbaren Zusammenhang mit den Taten. Die Verteidiger, vor allem der brillante Anwalt Raphael B.s., erstellen eine etwas komplexere Analyse. Sie verweisen auf den Kunstcharakter der Songtexte, auf das uneigentliche Sprechen der Figuren, das keineswegs als Handlungsanweisung der Autoren zu verstehen sei.
Den Staatsanwalt hindert das nicht daran, für Björn D. und Raphael B. Gefängnisstrafen ohne Bewährung zu fordern. »Blokkmonsta ist the leader of the gang«, sagt er in schlechtem Englisch, »er ist ein Bewährungsversager, so einfach ist das, und der wandert dann in den Knast«. Die bemühte Jugendsprache soll offenbar signalisieren, dass der Staatsanwalt seiner Unerbittlichkeit zum Trotz den Kontakt zur modernen Welt noch nicht verloren hat. Für Raphael B. fordert er sieben Monate. Auf dem kahl rasierten Schädel des Angeklagten bilden sich ein paar rote Flecken.
Der Richter spricht schließlich alle vier Angeklagten frei. Und es bleibt der Eindruck, dass auch den banalsten Texterzeugnissen ein Höchstmaß an philologischer Aufmerksamkeit zuteil wird, sobald nur ihre Legalität infrage steht. Holprig gereimte Provokationen werden mit einem Ernst analysiert wie sonst nur Verse von Paul Celan. Vermutlich ahnen Blokkmonsta & Schwartz: Eine derart intensive Beschäftigung mit ihrem Werk wird ihnen außerhalb des Gerichtssaals niemals widerfahren.
Illustration: Christoph Nieman