Fleisch pökeln, Tampons verzieren

Man hockt zu Hause, hat viel Zeit – und beschäftigt sich auf einmal mit Dingen, an die man vorher noch nie gedacht hatte. Sieben Menschen über ihre neuen, kuriosen Corona-Hobbys.

Ein paar Striche genügen, schon wird aus dem Tampon ein putziges kleines Gespenst. Die nächsten Schritte: Arme, Beine und eine Frisur anbringen.

Foto: Privat

Marco verfolgt die Weißrussische Fußballliga

»Ich bin großer Fußballfan, aber aktuell wird in Deutschland ja nicht gespielt. Über einen Sportwetten-Podcast bin ich bei der Weißrussischen Liga gelandet, einer von nur vier Ligen weltweit, in denen der Spielbetrieb noch aufrecht erhalten wird. Ich habe etwas darüber getwittert und dann zum FK Slutsk gefunden, der aufgrund seines Namens im letzten Monat einen großen Zufluss an Fans aus der ganzen Welt gefunden hat. Einige Australier aus Adelaide haben eine Facebookgruppe (FK Slutsk worldwide, mittlerweile über 3000 Mitglieder) gegründet, wo sich die internationalen Fans treffen und größtenteils mit Memes über die aktuelle Situation sprechen, Spieler hypen (Artem Serdyok Fußballgott!), Gegner beleidigen und sogar eine eigene Hymne verfassten, in der es darum geht, dass der Verein wegen Corona aktuell der beste Klub in ganz Europas ist. Die Hymne wurde sogar beim letzten Heimspiel im Stadion gespielt.

Außerdem werden in der Gruppe Spenden für den Verein gesammelt, der aktuell Probleme hat und auch selbst ein Crowdfunding betreibt. Da man daran von außerhalb Weißrusslands nicht so gut teilnehmen kann, gibt es nun auch eine Gofundme-Kampagne zu Gunsten des Vereins, da habe ich auch schon gespendet. Ich würde mir auch sofort ein Trikot kaufen, aber leider ist aufgrund der Krise gerade kein Versand möglich, weswegen viele der neuen Fans ihre Shirts selbst gestalten. Die Spiele versuche ich auch zu schauen, leider gibt es aktuell keinen legalen Weg in Deutschland. Die Partie am dritten Spieltag habe ich über Twitch verfolgt, wo ein Amerikaner auf irgendeinem osteuropäischen Wettportal einen Stream fand und diesen dann auf Englisch kommentierte. Zeitweise waren bis zu 1000 Zuschauer auf seinen Kanal. Das letzte Spiel konnte ich nicht sehen, ich bin aber mal gespannt, welche Wege sich für das Derby gegen Soligorsk am Freitag finden lassen.   

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Nicole verziert ihre Tampons

 »Alles fing damit an, dass ich mit einer Freundin telefonierte. Wir sprachen über die neuen Tampons, die ich mir gerade gekauft hatte. Sie haben eine Art Stoffschleier über der Spitze und sehen damit aus wie Gespenster. Sie bat mich um ein Foto, aber bevor ich es ihr schickte, malte ich noch Augen und einen Mund drauf. Wir haben uns sehr amüsiert. Über Whatsapp erfuhr eine andere Freundin davon, die mich direkt anschrieb und auch einen verzierten Gespenstertampon haben wollte. Den bastele ich ihr jetzt. Der Tampon soll ihr ein bisschen ähneln, sie hat schwarze Haare und einen Seitenzopf. Also klebe ich schwarze Wolle auf den Tampon und flechte sie zur Seite. Sie will sich den Tampon im Auto an den Rückspiegel hängen, daher versuche ich, den Tamponfaden mit einer Nadel zur anderen Seite herauszufriemeln, damit er nicht kopfüber hängt.

Ich habe einen 56er-Pack Tampons, es geht also noch einiges. Morgen gehe ich erst einmal in den Bastelladen und kaufe Wackelaugen, das ist ja viel cooler als gezeichnete Augen. Eigentlich hatte ich sogar Wackelaugen zuhause, die waren aber alle. Ich denke auch darüber nach, ihnen Arme zu machen, vielleicht mit Pfeifenreiniger oder Zahnstochern. Was ich dann mit den Gespenstertampons mache, weiß ich noch nicht. Sie irgendwo dranzuhängen, finde ich toll. Vielleicht wird es ein Mobilé, der ein Windspiel. Ich habe auch über Ohrringe nachgedacht, aber das lasse ich wohl lieber bleiben.«

Dominic macht Videos davon, wie er Bier einschenkt oder ein Käsebrot zubereitet

»Ich sag mal so: Kulinarisch bin ich ziemlich im Blindflug unterwegs. Vor Corona bin ich in der Mittagspause essen gegangen, abends brauchte ich allerhöchstens noch ein Käsebrot. Aber diese Welt gibt es ja nicht mehr. Jetzt stehe ich da, bin den ganzen Tag alleine zuhause und habe zu meinem Erstaunen entdeckt, dass meine Wohnung auch eine Küche hat. Nicht dass ich wirklich wüsste, wie ich die benutze. Parallel drehen meine Freunde in unserer Whatsapp-Gruppe völlig frei. Neben Sprachen lernen, acht Stunden Sport am Tag und sonstigem produktivem Kram sind sie alle anscheinend auch noch verhinderte Sterneköche, die in der Gruppe jeden Abend ihre Instagram-tauglichen Superfood-Bowls und sonstigen Leckereien präsentieren, von denen ich nicht mal die Zutaten kenne. Während ich mir zum fünfzehnten Mal Spiegeleier mache.

Aber was heißt schon kochen? Ich »koche« ja auch, also habe ich angefangen, die Freunde zu veräppeln, und mich für sie abends beim »Kochen« gefilmt. Einfache Gerichte, wie etwa eine Scheibe Käse, die ich auf eine Scheibe Mehrkornbrot lege. In meinem Instagram-Superfood-Sprech ist das dann ein Morecorn-Bread with Cheese. Am nächsten Abend gab es Fertig-Tortellini, die ich fachmännisch ins kochende Wasser gekippt habe. In meinem letzten Video habe ich ein Bier zubereitet. Ich habe die Flasche geöffnet, das Bier in eine Schüssel gekippt, ein paar Mal umgerührt und dann ins Glas gegossen. Wichtig ist, jeden Arbeitsschritt zu erklären. Ich habe auch versucht, Bananenbrot zu machen. Das war ja kurzzeitig eine Art Isolations-Hype. Also habe ich eine Banane geschält und auf eine Scheibe Brot gelegt. Das Video habe ich aber nicht gepostet, das war selbst mir zu blöd. Ganz im Ernst: In einer solchen Zeit nicht wenigstens ein bisschen durchzudrehen, ist auch nicht gesund. Und die Freunde haben Spaß. Wenn ich jetzt mal einen Tag kein Video poste, sind sie direkt enttäuscht und fragen nach. Und auch die Ansprüche an mich sind gewachsen. Warum nicht mal Molekularküche? Ich habe meine Eltern schon gefragt, ob sie mir meinen alten Chemiebaukasten zuschicken.«  

»Man sollte also Handschuhe benutzen, wenn man sich die Hände nicht mitpökeln will. Andererseits werden sie so vielleicht länger haltbar«

Jan und Imke pökeln

»Es begann mit in Salz eingelegten Kapern, die wir noch aus dem Italienurlaub hatten. Wir saßen beim Abendbrot und witzelten: Man sollte mal pökeln. Es ist ja in gewisser Weise ein perfektes Isolations-Hobby. Der Prozess dauert lange und das Ergebnis ist eine ganze Weile haltbar. Spaßeshalber googelten wir, wie man überhaupt pökelt. Und irgendwie wurde aus diesem Spaß dann Ernst. Was schnell klar war: Der Pökel-Prozess ist eine echte Wissenschaft. Wir wussten zunächst gar nicht, wo wir Pökelsalz herkriegen sollten. In der Rindermarkthalle in Hamburg wurden wir dann aber fündig. Wir fragten einen Verkäufer, ob er Pökelsalz habe, das hätten wir uns als Quatsch-Idee für die Isolation überlegt. Der Verkäufer guckte irritiert und fragte: »Wieso denn Quatsch-Idee?« Er war ernsthaft in seiner Pökel-Ehre verletzt.

Wir hatten zunächst überlegt, Fisch zu pökeln. Aber wir wollten nicht eine halbe Ewigkeit einen stinkenden Fisch im Kühlschrank liegen haben. Also sind es zweieinhalb Kilo Rindernacken geworden. Es gibt Nass- und Trockenpökeln, wir entschieden uns für die trockene Variante. Man legt das Fleisch in eine geeignete Wanne und reibt es mit dem Salz und einer Kräutermischung ein. Dann geht der Entwässerungsprozess los. Wie man es währenddessen lagert, daran scheiden sich die Geister in der Pökel-Community. Die gibt es übrigens wirklich, in Foren im Internet. Wir haben uns aber an die Anweisungen des Verkäufers gehalten und pökeln das Fleisch in der eigenen Lake. Mit dem Pökelsalz muss man aufpassen. Es hat einen höheren Nitrit-Gehalt, weswegen es auf der Haut ziemlich brennt. Man sollte also Handschuhe benutzen, wenn man sich die Hände nicht mitpökeln will. Andererseits werden sie so vielleicht länger haltbar. Was aus dem Fleisch letztlich wird, wissen wir noch nicht. Vielleicht feiern wir eine Pökel-Party, wenn Corona vorbei ist. Es muss ungefähr zweieinhalb Wochen lang gepökelt werden, ab und an müssen wir es wenden, ansonsten ist der Prozess leider eher unspektakulär. Aktuell suppt das Fleisch so vor sich hin.«    

Jörg filmt sich bei öden Spazierengängen in Mönchengladbach

»Ich hasse Spazieren gehen. Ich habe darin nie einen Sinn gesehen. Eigentlich wohne ich in Düsseldorf, verbringe die Isolation aber bei meinen Eltern in Mönchengladbach. Keiner meiner Freunde war je in Mönchengladbach, warum auch? Die Stadt ist eher unspannend und auch keine Schönheit. Das fängt schon am Hauptbahnhof an. Der Bahnhof ist wunderbarer Bau aus der Kaiserzeit, davor ist ein total moderner Vorplatz. Beides für sich hat wahrscheinlich seinen Charme, aber zusammen sieht das aus, als würde man Flip-Flops zum Anzug tragen. Diese Kuriosität wollte ich meinen Freunden zeigen, also machte ich einen Spaziergang dahin, filmte mich auf dem Bahnhofvorplatz und quatschte ein bisschen drüber. Die Resonanz war total positiv, also dachte ich, ich mache einfach damit weiter.

Mittlerweile sind so knapp 20 Videos entstanden. Ich laufe besondere Orte in Gladbach ab, die Innenstadt, den Stadtgarten, die alte Lungenklinik Hardterwald, wie passend. Dabei filme ich mich und schicke die Clips meinen Freunden. Vorbereitung brauche ich dabei nicht. Vor zwanzig Jahren, als ich hier noch zur Schule ging, habe ich mal an einer Stadtführung teilgenommen. Das restliche Wissen von damals muss reichen, alles andere ist Hörensagen, Erinnerung und Halbwissen. Ich filme mich aber nur, wenn niemand zuguckt. Ansonsten wäre mir das zu awkward. Die Videos wurden mit der Zeit immer professioneller. Eine Freundin von mir ist Medien-Designerin, die hat mir ein Intro gebastelt: »Latschen und Labern« heißt das Format jetzt. Per App schneide ich das Intro vor die Videos, ich lege auch Musik unter die Clips, wenn es passt. Außerdem hatte ich schon eine Sonderfolge, als von einem Freund eine Rückfrage kam. Ein anderer Freund sagte mir zuletzt, dass er Mönchengladbach jetzt unbedingt besuchen will. Ich habe direkt zurückgefragt: Warum willst du das tun? Spazierengehen hasse ich übrigens immer noch.«   

Zita bestickt alte T-Shirts mit Fangesängen

»Ich weiß nicht, warum ich das mache. Es ist total sinnlos. Niemand wird diese bestickten T-Shirts je tragen. Und trotzdem habe ich zu Beginn der Isolation angefangen, Fangesänge auf alte Shirts zu sticken. Ich habe mit Blumen angefangen, das war mir aber zu langweilig. Dann kam mir die Idee, schöne Blumen mit eher derben Fangesängen zu verbinden. Die Stickerei habe ich mir anhand von Youtube-Videos beigebracht, mittlerweile habe ich an die 20 Stunden damit verbracht. So sind vier oder fünf Shirts zusammengekommen, ein Hemd und auch ein paar Geschirrhandtücher. Ich sticke auch nicht mehr nur Fangesänge, ich sticke, worauf ich Lust habe. Meinem Freund habe ich eine Portion Pommes auf ein Shirt gestickt, meiner Schwester den Slogan »Girl Power«, mir selbst ein Herz mit einer Banderole, darin steht: »Hafermilch«. Das ist nämlich mein Lieblingsgetränk.

Ich sagte ja, es ist sinnlos. Ich könnte in der ganzen Zeit auch eine Sprache lernen oder so. Aber aus irgendeinem Grund habe ich mich dazu entschieden, abends vor dem Fernseher zu sitzen und Quatsch zu sticken. Ich verstehe auch nicht, warum. Normalerweise würde ich das niemals machen, vielleicht werde ich ein bisschen bescheuert. Ich hoffe auch, dass ich mit der Stickerei aufhöre, wenn der ganze Spuk vorbei ist. Aber ich befürchte, ich werde weitermachen.«

Haben Sie in der Corona-Isolation ein neues, seltsames Hobby begonnen? Schicken Sie, wenn Sie mögen, ein paar Sätze und vielleicht auch ein Foto zu Ihrem neuen Zeitvertreib an die Mailadresse online@sz-magazin.de! Die schönsten Einsendungen veröffentlichen wir auf unserer Webseite.