Der Schnee liegt noch einen halben Meter hoch auf den Hängen des Mölltals. Wie mit Zuckerguss glaciert wirken die von der Witterung geschwärzten Höfe. Vor dem »Schlosswirt« beäugt eine ausgestopfte Gams die Gäste: Willkommen im Touristenidyll Großkirchheim. 1600 Einwohner, acht Gasthöfe, 45000 jährliche Nächtigungen verzeichnet Peter Suntinger hier am Fuße des Großglockners. »Unsere Besucher«, sagt der Kärntner Bergbauer, »finden bei uns die Wildnis, die Ruhe, die Berge.« Nur eines finden Sie hier nicht: Türken.
Suntinger, ein kerniger, misstrauischer Mann von 43 Jahren, gelernter Holzschnitzer, sitzt auf seiner Eckbank, Eiche rustikal. Wären auf dem Tisch nicht Aktenordner geschlichtet, man könnte fast glauben, er säße am Dorfstammtisch. Doch hier ist das Gemeindeamt von Großkirchheim, und Peter Suntinger ist der Bürgermeister. Er erklärt jetzt seine »Bodenpolitik«. Suntinger sagt: »Türken bekommen von uns keine Wohnung. Muslimische Kinder dürfen hier nicht zur Schule. Wenn Türken hier Grund kaufen wollen, dann kaufen wir den vorher weg.«
Man müsste solche Sprüche nicht weiter ernst nehmen, hier im hintersten Kärntner Tal. Wäre da nicht dieses enorme Wahlergebnis von Suntingers Partei, das weit über die Grenzen hinaus für Unverständnis sorgt: 45 Prozent gewann das von Jörg Haider aus der FPÖ gelöste »Bündnis Zukunft Österreich« (BZÖ) bei der letzten Kärntner Landtagswahl im März. Das war mehr, als Haider je erreichte.
45 Prozent, das ist nichts gegen den Erfolg Suntingers bei der Bürgermeisterwahl: Fast drei Viertel der Dorfbewohner kreuzten seinen Namen an. »Die Leute hier«, glaubt er, »haben meine Bodenpolitik bestätigt.« Großkirchheim, dieses Dorf ehemaliger Gold-gräber und Bergknappen, ist die Hochburg des rechtsnationalen BZÖ. Als Landtagsabgeordneter zieht Suntinger jetzt ins Landesparlament im 150 Kilometer entfernten Klagenfurt ein.
Weil die Erben Haiders wie Suntinger siegten, schrieben die Zeitungen vom Rechtsextremismus, der sich hier in Kärnten ausbreite. Europas »demokratiepolitischer Schandfleck«, sei dieses Bundesland, in dem voriges Jahr 800000 Deutsche Urlaub machten. Verkommt dieses Urlaubsland – mit seinen 560000 Einwohnern so klein wie Düsseldorf – gar zum alpinen No-go-Idyll?
Man könnte, um diese Frage zu beantworten, eine Wanderung auf die Saualm unternehmen. Es gibt dort keine kahlköpfigen Neonazis zu sehen, sondern Kärntner Realpolitik. Hoch oben, wo die Luft nach Nadelholz riecht, befindet sich am Ende eines schmalen Güterweges die sogenannte Sonderanstalt für kranke und kriminelle Flüchtlinge.
Jörg Haider hat die Unterkunft kurz vor seinem Tod erfunden. Tatverdächtige – nicht Verurteilte – sollten dort »konzentriert« werden, wie es Stefan Petzner, Haiders »Lebensmensch«, ausdrückte. Das »gesunde Volksempfinden«, erklärte der heutige Kärntner Landeshauptmann Gerhard Dörfler, wünsche das. Ganz Kärnten, so die offizielle Wahlkampfparole des BZÖ, solle »tschetschenenfrei« werden. Tschetschenen sind die größte Flüchtlingsgruppe in Kärnten. »Sie können«, sagt Bürgermeister Suntinger, »nur durch Sippenhaftung zur Rechtschaffenheit erzogen werden.«
Solche von Jörg Haider geprägten Sprüche sind ein wichtiger Grund für die BZÖ-Erfolge. Aber nicht nur Xenophobie und der Kult um ihn haben die Partei so beliebt gemacht. Fragt man Peter Suntinger nach dem Wahlerfolg, dann sagt er: »Von mir wird Volksnähe, Bescheidenheit und Härte vorgelebt.« Dann zückt er seinen Autoschlüssel und sagt: »Fahren wir eine Runde durchs Dorf.«
Er startet seinen silberfarbenen BMW X5. Er hat den Wagen zwar erst vergangenes Frühjahr gekauft, doch der Tacho zeigt schon mehr als 70000 Kilometer. Auch das symbolisiert sein Verständnis von Politik: »Ein Politiker muss bei den Menschen sein«, sagt er.
In rollenden Regierungsbüros, staatlich finanzierten Autobussen, fahren Politiker des BZÖ hier bis ins letzte Tal, um Almosen zu reichen. Sie verteilen Bildungsschecks, Heizölschecks, Schulgeldschecks, Benzinschecks – auf jeden ist das Bild irgendeines BZÖ-Landesrats gedruckt. Aber nicht nur im Wahlkampf, sondern 365 Tage im Jahr rollen die Busse. Im Winter verkauft die BZÖ-Regierung sogar billiges Brennholz an Kärntner Mindestrentner, denn, so werben sie, »es wärmt die sozial Schwachen«. An manchen Tagen kann man Hunderte Menschen vor dem Kärntner Landhaus stehen sehen. Sie kommen, um sich Geld abzuholen, das im Rahmen irgendeiner Sozialaktion nach Feudalherrenart überreicht wird. Dabei ist Kärnten schon jetzt eines der am höchsten verschuldeten Bundesländer Österreichs.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Der rote Landesfürst Leopold Wagner prahlte, er sei stolz, Hitlerjunge gewesen zu sein.
Suntinger lenkt den Wagen die steilen Serpentinen hinauf. Da ist die Dorfkirche aus dem Jahr 1538, die er jeden Sonntag besucht. Das ist das Marterl, dessen heiligen Hubertus er selbst geschnitzt hat. »Und da drüben«, sagt Suntinger, »ist unser Friedhof.« Die Toten werden mit Pferdekutschen gebracht.
Wie viele BZÖ-Bauernfunktionäre war auch Suntinger ursprünglich Mitglied der christlich-sozialen ÖVP. Er ist das Kind armer Bergbauern. Die Mutter hatte ihn schon mit sechs Jahren allein auf die Alm geschickt, einen Wecker im Rucksack, damit er morgens nicht die Schule verschläft. Aufstehen, von der Alm runter ins Dorf, waschen, Schulgewand anziehen, in die Schule gehen, wieder heimlaufen, Ranzen runter, Hausaufgaben, Stallgewand anziehen, arbeiten. Zu essen gab es »Mungn«, einen Brei aus gerösteter Gerste und Weizen. »Alle aßen aus einer Schüssel«, sagt Suntinger.
Die christlich-sozialen Dorfkaiser von Großkirchheim brachten dem jungen Bauern dennoch wenig Respekt entgegen. Er war ihnen zu rabiat, zu radikal, zu hart. »Haltet mir den fern«, flüsterte der alte Bürgermeister, als sich Suntinger einmal vorstellen wollte. Der radikale Suntinger, so heißt es hier, hätte bei ihm böse Erinnerungen an die letzten Tage des Krieges geweckt.
Und so kam Suntinger eben auf den Haider, der in den Neunzigern durch die Wirtshäuser zog, alte Kameraden der Waffen-SS »anstän-dig« nannte und ihren Söhnen versicherte, dass es doch ihre Väter waren, die im Zweiten Weltkrieg für die Freiheit des Landes kämpften, als sie gegen die kommunistischen Partisanen antraten. Die Partisanen – das ist hier das Synonym für die Kärntner Slowenen.
Solche Worte kamen gut an in einer Gesellschaft, die sich heute noch am Stammtisch die hässlichsten Kriegsgräuel erzählt. Schon in den Siebzigern hatten die damals sozialistisch regierten Kärntner zweisprachige Ortstafeln ausgerissen – und den Slowenen ihre Sprache in Schule und Kirche untersagt. Haiders Vorgänger, der rote Landesfürst Leopold Wagner prahlte, er sei »stolz, ein Hitlerjunge gewesen zu sein«.
Haider und Suntinger wurden Freunde, gemeinsam bestiegen sie den Großglockner. Am 15. Februar 1992 war das. Suntinger erinnert sich genau: Dem Jörgl borgte er seine Wollfäustlinge, als oben plötzlich ein Unwetter aufzog, »denn er hatte nur Handschuhe aus der Stadt, die bei der Kälte nichts taugen«. So bezwangen sie gemeinsam den Gipfel. Er, der verkannte Dorfrebell, und der Herr Doktor Haider.
So rekrutierte Haider im ganzen Land seine Leute – vom glitzern-den Wörthersee bis ins karge Mölltal. Haider, der den rotschwarzen Proporz abschaffen wollte, versprach seinen Getreuen Posten, Privilegien und Macht in seiner »Dritten Republik«. Karl-Heinz Grasser, der Sohn eines Autohändlers, wurde Jetset-Finanzminister. Haiders ehemaliger Tennislehrer ist heute Klagenfurter Bürgermeister. Sein 26-jähriger Lebensmensch Stefan Petzner ist nun Nationalratsabgeordneter. »Kärnten«, sagt Suntinger, »wurde unter Haider zu einer großen Familie. Er war unser gütiger Vater.« Man verzieh ihm alles.
Vielleicht erklärt das auch, wieso dieses Land dem Führerkult verfiel, als sich Haider nach dem Besuch eines Schwulentreffs im Wodkarausch bei Tempo 180 im Ortsgebiet von Lambichl überschlug. Nicht nur in Großkirchheim flackerten damals rote Grablichter, ganz Klagenfurt war von Tausenden Lichtern übersät. In den Schulen hatten Schüler in Gedenkminuten stillzuhalten, Fußballer sollten in schwarzen Dressen spielen. Nach seinem Tode wollte die Regierung sogar das Wrack mit Steuergeld kaufen.
Als Haider begraben wurde, war auch Peter Suntinger mit seinem BMW um fünf Uhr früh aufgebrochen, um sich persönlich vor dem rosengeschmückten Sarg zu verneigen. Eine beinahe militärisch organisierte, uniformierte Gesellschaft war am Stadtplatz versammelt. Da stand der Block der schwarzen Bergknappen neben dem Block der Frauen mit Goldhauben, der Block der Burschenschaftler neben den Kameradschaftsvereinen, Gendarmen, Sanitätern und Rauchfangkehrern. Suntinger trauerte im »Block der Bürgermeister«, er tröstete Frauen, die weinten, als wäre ihr eigener Vater verstorben. Vorn trugen Kirchenleute ihr Holzkreuz und die Soldaten trommelten.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Über die kakaobraune Milch hatte sich der höchste Repräsentant Kärntens lustig gemacht.
Gibt es eine kritische Öffentlichkeit in diesem Land? Ein paar wichtige Stimmen; etwa der Kärntner Verleger Lojze Wieser, der Hunderte Bücher von slowenischen Autoren herausgebracht hat und 1994 fast von einer Briefbombe zerfetzt worden wäre. Resignierend beklagt der streitbare Intellektuelle, in Österreich »einfach überhört« zu werden. Dann gibt es den Anwalt Rudi Vouk, der sich immer wieder beim Schnellfahren in Dörfern erwischen lässt. Nur so kann der Kärntner Slowene vor dem Verfassungsgericht beklagen, dass die Ortstafeln (die formell die Geschwindigkeit auf 50 km/h beschränken) rechtswidrig, weil nur einsprachig sind.
»Zecken«, nennt Suntinger all jene, »die das Land solcherart schädigen.« Kärnten müsse sie »abschütteln«. Die zwei bekannten Wiener Kabarettisten Dirk Stermann und Christoph Grissemann wissen, was dieses »Abschütteln« bedeutet. Sie hatten es nicht nur gewagt, im ORF Späße über den Führerkult beim Haider-Begräbnis zu treiben. Sie trugen dabei auch noch Kärntneranzüge.
Kurz darauf trafen die ersten anonymen Morddrohungen ein. Und der Manager der Komödianten hörte in jenen Tagen auf der Autobahn ein dumpfes Klackern im Radkasten. Unbekannte, so beteuerte er vor der Polizei, hätten die vier Radmuttern gelockert.
Ein Mordanschlag? »Aber was!«, beschwichtigte Haiders Nachfolger, der Kärntner BZÖ-Landeshauptmann Gerhard Dörfler, »der Manager hat wohl die Winterreifen schlecht gewechselt.« Hatte er nicht. Die Landesregierung forderte in einer offiziellen Resolution dann noch ein »Auftrittsverbot« für die Komödianten. »Der Spaß«, sagte Dörfler, »muss seine Grenzen haben.«
Die setzt die Kärntner Regierung gern selbst. Da gibt es etwa diese Fotos, die Dörfler im Fasching an den Brüsten von zwei Männern zeigen, die sich als »Negermamas« verkleidet hatten. Über die »kakaobraune Milch« stillender Afrikanerinnen hatte sich der höchste Repräsentant Kärntens öffentlich lustig gemacht. Rassismusvorwürfe konterte er vor der Presse, in dem er an den Brüsten der Faschingsnarren zuzelte. Konsequenzen hatte der Auftritt keine. Nichts hier hat Konsequenzen: weder die Saualm, weder der Hass gegen Muslime, noch die »Negerwitze«.
Suntinger fährt die Serpentinen runter ins Dorf. Er genießt es, den Besuch durch seine Welt zu führen. Er zeigt Kläranlagen, Sportplätze, Sozialwohnungen und Schulgebäude, die unter seiner Ägide »für uns Kärntner« erbaut wurden. Er ist stolz. Und stolz blickt er wie von einem Hochstand herunter. »Sie sind kommunistischer Jude, oder?«, fragt Suntinger, als hätte er den Gast nun im Visier. »Schreiben Sie ja nicht, dass wir ein Nazidorf sind.«
Nein, es sind keine Neonazis, die hier regieren. Es ist ein rabiater Bauernsozialismus mit nationalem Antlitz, der den Rechtsstaat verlacht – zum Schaden jener, die nicht mitlachen können.
Suntinger ist wieder im Dorf. Beim Gemeindeamt blockiert ein falsch geparkter Wagen den Weg. »Der darf das«, sagt Suntinger, »das ist sein Heimatboden.« Dann stellt er den Motor ab, reicht die Hand zum Abschied: »Hier gilt unser Recht. Und sonst nichts.«
Heinz S. Tesarek (Fotos)