»Ich möchte ihn bei mir haben«
Günther Mader (1944 - 2012)
Das Ehepaar Mader ist viel gereist. Nachdem Günther Mader gestorben war, hörte seine Frau Marlene im Fernsehen von den Erinnerungsdiamanten und sprach den Bestatter darauf an. »Ich möchte ihn bei mir haben«, sagte sie und entschloss sich, ihren Mann als Diamantring bei sich zu tragen. Und mit ihm gleichsam wieder zu reisen. Die erste Reise mit Günther am Finger führte in den Oman, weil sie dort auch ihre letzte gemeinsame Reise verbracht hatten.
Schmeichelhafte Vorstellung: dass ein Mensch in seiner ganzen Unaufgeräumtheit, der inneren und der äußeren, nach dem Tod zu einem kleinen, ordentlichen Diamanten wird. Als wären da nicht säckeweise Altkleider, Berge von Papieren, Bücher und Fotos, ungelöste Konflikte, ungeklärte Gefühle, Computer, deren Passwort niemand kennt, oft auch Schulden. Wenn all das zusammen mit dem leblosen Körper der Firma Algordanza in Graubünden, Schweiz, übergeben werden könnte, und die presste es zu einem Edelstein: Das würde das dunkle, ungeheure Thema Sterben ein kleines Stück funkelnder wirken lassen. Wie schrieb Friedrich Nietzsche in Also sprach Zarathustra: Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.
Ganz so ist es nicht. In den Diamanten, die Algordanza fertigt, steckt nur ein geringer Teil der Leiche. Es geht nicht anders: Diamanten bestehen aus reinem Kohlenstoff. Kohlenstoff brennt aber gut. Die Totenasche, die zum Diamanten werden soll, setzt sich fast nur aus Stoffen zusammen, die nicht gut gebrannt haben. Ohnehin besteht der Mensch zum Großteil aus Wasser, das sich im Krematorium in Luft auflöst. Der Diamant besteht nun aus dem winzigen Rest Kohlenstoff, der doch noch in der Asche zu finden ist. Wie im Labor dieser Rest aus der Asche gefiltert wird und was in der Maschine passiert, die am Ende den Diamanten ausspuckt: Betriebsgeheimnis. Aber darauf, was genau in dem Diamanten steckt, kommt es auch nicht an. Sondern darauf, was die Angehörigen darin sehen: die vielen Erinnerungen. Die Trauer. Und die Liebe. Der österreichische Fotograf Reiner Riedler stieß auf einer Seniorenmesse in Wien auf solch einen Diamanten und war fasziniert – davon, dass die Diamanten wie Fotos ein Abdruck der Wirklichkeit sind, aber auch selbst zur Wirklichkeit gehören. »Der Diamant ist eine Analogie auf das pralle Leben, auf das Leben davor, und gleichzeitig eine Konzentration dieses Lebens«, sagt Riedler. »Die Frage nach der Technik ist mir gar nicht wichtig. Ich finde einfach die Idee wunderbar.«
Riedler begann, Menschen, die ihren Partner oder einen nahen Verwandten als Diamanten mit sich tragen, zu begleiten, über Jahre hin. Er hörte die Geschichten, blätterte in den Fotoalben, weinte mit und lachte mit, und er staunte, wie selbstverständlich und vertraut die Angehörigen mit den Diamanten umgehen. Weil in Deutschland für Totenasche fast ausnahmslos der Friedhofszwang gilt, muss der Wunsch, zum Diamanten zu werden, im Testament stehen. Dann überführt der Bestatter die Asche zu Algordanza in die Schweiz; in Deutschland dürfte die Firma nicht produzieren – das erklärt auch, weshalb Reiner Riedler seine Gesprächspartner vor allem in der Schweiz und Österreich fand.
Bei ihnen kommt der Diamant mit, wohin sie gehen, er ist Begleiter und Talisman. Als wären es nicht Spuren von Kohlenstoff eines Verstorbenen, die sie der Vergänglichkeit entrissen haben. Sondern, mindestens, die Seele.
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»Sie lacht mich jeden Tag an«
Friederike Gruber (1922 - 2012)
Gruber (oben als junge Frau) ist die Mutter von Sissi Gaidos (unten). Einmal spazierten beide bei einem Bestatter vorbei, der jene Diamanten anbietet. »Schau, Mutti, da kann ich einen Brillanten von dir machen«, sagte die Tochter. Darauf die Mutter: »Mach mit mir, was du willst.« So fiel die Entscheidung. »Es ist ein schönes Andenken, ich bin kein Friedhofsgänger«, sagt Sissi Gaidos heute. »Sie lacht mich eigentlich jeden Tag als Brillant an.« Seit dem Tod ihrer Mutter Friederike Gruber bewahrt Sissi Gaidos deren funkelnde Überreste in einem Kästchen bei sich zu Hause auf.
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»Es erinnert mich an ihren Topfenstrudel«
Hilda Wampl (1913 - 1991)
Vor zehn Jahren wurde das Urnengrab der Urgroßmutter von Christoph Wampl aufgelöst, dem Vertriebschef von Algordanza für Österreich. Diesen Diamanten trägt Christoph Wampl seither stets am Finger. Sie reist mit ihm um die Welt. »Wenn ich den Diamanten berühre, erinnere ich mich an die Sommer, die ich bei ihr in den Bergen verbringen durfte - und an ihren Topfenstrudel«, sagt Wampl.
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»So gerät man nicht in Vergessenheit«
Paul Wampl (1930 - 2004)
Aus seinen Überresten wurde der erste Erinnerungsdiamant österreichischer Herkunft - Paul Wampl ist der Großvater von Christoph Wampl. Seine Witwe Hilde bewahrt den Diamanten in einer Schatulle auf. »So gerät man nicht in Vergessenheit«, sagt Christoph Wampl. »Ich möchte, dass meine Familie auch mich so in Erinnerung behält.«
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»Er ist jetzt immer da, wo er gerne war«
Franz Raaber (1960 - 2012)
Rosi Raaber hat lange überlegt, was sie mit ihrem Franz machen sollte. Da er keine Erdbestattung wollte, wählte sie zunächst eine Feuerbestattung. »Franz war oft auf Montage. Er hat immer gesagt: Es ist so schön, daheim zu sein, ich möchte gar nicht mehr weg.« So entschied sich Rosi dann noch für einen Diamanten: »Er ist jetzt immer da, wo er gerne war.« Sie hat den Diamanten in der kleinen Schachtel - so wie er geliefert wurde. Ob er dort bleiben oder doch in einen Ring gefasst werden soll, weiß Rosi Raaber noch nicht.
Fotos: Reiner Riedler