Kalkweiße Häuschen, blaue Kuppeln und das Meer so traumhaft, eine ewige Wiederholung der griechischen Grundfarben. Santorini sieht aus, als wäre es nicht bebaut worden, sondern gemalt. Was braucht es da noch für ein gutes Foto? Wenn man den örtlichen Anbietern glaubt: ein besonderes Kleid, Haarstyling und Make-up, Assistent, Fotograf und die Bereitschaft, 270 bis 3000 Euro zu zahlen. Zu solchen Preisen können Touristinnen ein »Flying Dress Photoshoot« buchen und mit wehender (also vom Assistenten in die Luft geworfener) Schleppe vor der blau-weißen Kulisse posieren.
Eine halbe Million Dollar, errechnete das Wirtschaftsmagazin Bloomberg Businessweek, lässt sich damit theoretisch in einem Sommer verdienen. Wie groß die Nachfrage wirklich ist? »Ganz ehrlich, ich kann unsere Konkurrenten nicht mehr zählen. Vielleicht sind es 30, vielleicht 40«, sagt Evgenia Volokitina. Sie und ihr Mann kamen 2016 als Hochzeitsfotografen auf die Insel und starteten ihr Geschäft. Heute haben sie 100 Kleider in Einheitsgröße, vier bis fünf Fotografen, ein Bildbearbeitungsteam und jede Menge Nachahmer. Die Kundinnen seien eher normale Frauen als Influencerinnen, von 15 bis über 70 Jahre alt. Viele hätten noch nie ein Shooting mitgemacht und wollten sich für einen Tag ganz besonders fühlen. »Wie eine griechische Göttin«, schreibt eine von ihnen auf Instagram.
Im amerikanischen Raum gibt es eine Internetvokabel für solche Verwandlungen: »main character energy«. Gemeint sind Momente, in denen sich eine Person in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellt, als wären Kameras auf sie gerichtet. Und in sozialen Medien spielen ja alle die Hauptrolle, sind die Audrey Hepburns und Ryan Goslings ihres eigenen Kanals: Ich beim Essen, ich mit großer Liebe und, besonders wichtig, ich im Urlaub. So ein Foto mit fliegendem Kleid treibt diesen Effekt nur auf die Spitze: ein Filmstar-Moment für die einfache Bürgerin, die es sich leisten kann.
Heute vermarkten Fotografen auf der ganzen Welt das Motiv, von Aruba bis Zürich. Aber in Santorini fing alles an, und in Santorini scheint das Geschäft am größten. Die weiß-blaue Kulisse so schnörkellos wie wiedererkennbar, ein Sinnbild für das schöne Leben, das macht sie zum perfekten Hintergrund. Evgenia Volokitina erinnert sich, wie eine Kanadierin für einen Tag auf die Insel kam, nur um bei ihr Aufnahmen machen zu lassen, statt einfach zu Hause in ein wallendes Kleid zu schlüpfen. So funktioniert die digitale Kreislaufwirtschaft des Reisens: Auf Instagram entdecken Menschen Sehnsuchtsorte wie früher im Katalog (#travel, #santorin, #flyingdresses), dann fliegen sie hin, und am Ende verwerten sie den Urlaub wieder, indem sie ihre Bilder selbst auf Instagram hochladen.
Aber das gefällt nicht allen. In der Anfangszeit konnten die Einmal-Models noch auf Hoteldächer und Kirchen klettern, heute kommen die Eigentümer oft sofort heraus, um sie zu verscheuchen. Es lässt sich eben darüber streiten, wer hier die Hauptfigur ist.