Es gibt eine einfache Erklärung dafür, warum uns das britische Königshaus nicht völlig kalt lässt – selbst dann, wenn man es sonst nicht so mit der Monarchie hat. Die Royals sind wie die Lindenstraße oder wie eine der harmloseren Netflix-Serien, von der man sich immer mal eine Folge reinzieht, wenn gerade sonst nichts Spannendes da ist. Man gewöhnt sich an ihr Personal, so als wären es entfernte Bekannte, fühlt sich gut unterhalten von ihren Dramen, Liebschaften und Trennungen und freut sich über Kitschmomente wie Verlobungsinterviews und den Wahnsinn rund um königliche Hochzeiten. Und besonders die jüngeren Mitglieder des Königshauses geben sich viel Mühe, uns Sterblichen das Gefühl zu geben, sie seien eigentlich so wie wir. Nur vielleicht ein bisschen reicher und schöner, aber im Grunde sind die Royals auch einfach nur Menschen, die trotz all ihrer Privilegien mit Haarausfall, anstrengenden Halbgeschwistern und empfindlicher Mischhaut zu kämpfen haben.
Für jeden Menschen, der schon einmal schwanger war, gibt es den einen Moment, an dem man sich mit den Frauen der königlichen Familie ganz besonders verbunden fühlt: Wenn die Nachricht über eine royale Schwangerschaft in die Welt posaunt wird. Am Montag war es bei Meghan und Harry so weit, und auch wenn das natürlich eine wunderbare Nachricht ist, kommt man kaum umhin, die Herzogin von Sussex ein bisschen zu bemitleiden. Herzlich willkommen in unserer Welt, Königliche Hoheit, Ihr seid jetzt eine von uns. Denn ab sofort werdet Ihr nichts mehr richtig machen können!
Im Grunde war ja schon der Tag der Hochzeit mit Prinz Harry der vorerst letzte, an dem Meghan Markle mehr sein durfte als ein royaler Bauch. Als »frischer Wind« war sie bezeichnet worden, als eine Chance für das britische Königshaus, sich modern und weltoffen zu zeigen, allein durch die Tatsache, dass Meghan nicht nur ein »Bürgerliche«, sondern darüber hinaus noch eine geschiedene, afroamerikanische Feministin ist, die so verrückte Dinge tut, wie selbst die Autotür zu schließen. Seit der Hochzeit konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ausschließlich auf ihre Körpermitte und die Frage, ob sich denn da nun endlich mal »etwas wölbt«. Auch deshalb klingen Nachrichten über royale Schwangerschaften immer wie Jubelmeldungen über Zuchterfolge eines Rennpferdestalls. Ein »Royal Baby« ist eben besonders kostbar, denn es ernährt durch seine Existenz eine ganze Souvenir- und Memorabilia-Industrie, diverse Königshausexpertinnen und -experten und einen nicht unerheblichen Teil der Klatschpresse.
Falls Herzogin Meghan tatsächlich noch ein paar gesellschaftlich relevante Vorhaben verfolgt oder weiterhin Botschafterin für feministische Themen sein will, dann kann sie das jetzt getrost wieder vergessen: Bis auf Weiteres wird sie niemand mehr als denkendes Wesen wahrnehmen oder irgendetwas fragen, was nicht unmittelbar mit ihrer künftigen Rolle als Mutter oder den drei großen Schwangerschafts-Ws zu tun hat: Was wird es denn? Wann ist es denn so weit? Wie soll es heißen?
Und auch in einem weiteren Punkt wird Meghan nun genau das widerfahren, was den meisten Schwangeren geschieht: Ihr Körper wird nicht mehr ihr gehören. Man erkennt das schon an der Art, wie über die Schwangerschaft berichtet wird. »Meghan schwanger mit Harrys Baby« konnte man im Internet lesen: Klar, sie ist nur das Gefäß, in das der Prinz seinen wertvollen, royalen Gencocktail gefüllt hat, auf den sie jetzt aber auch verdammt gut aufpassen muss. Die Erwartungen sind ernorm, da darf nichts schiefgehen. Und die ganze Welt wird sich ein Urteil darüber erlauben, wie gut Meghan ihre Sache macht.
Jede Schwangere, ob adlig oder nicht, kennt die ungebetenen Ratschläge von Freunden und Fremden, auf jeden Fall Fischölkapseln für die Intelligenz zu schlucken, die Folsäure nicht zu vergessen und bitte nicht mal am Rotwein zu riechen. Ist der Bauch besonders groß, wird wild über Zwillinge spekuliert, ist er besonders klein, fragen Kollegen auf dem Büroflur halb im Scherz, ob man sich die Schwangerschaft vielleicht nur eingebildet hat. Nimmt man viel zu, bekommt man Geschichten über fantastische Abnehmerfolge durchs Stillen präsentiert (denn klar soll man stillen, was denn bitte sonst!), nimmt man wenig zu, wird man daran erinnert, man müsse doch jetzt »für zwei essen«.
Frauenärztinnen und -ärzte schauen einen fassungslos an, wenn man nicht alle Möglichkeiten der Pränataldiagnostik in Anspruch nehmen will, und wenn man tatsächlich ein behindertes Kind bekommt, dann wird man beim Bäcker gefragt, ob man »dagegen nicht was hätte tun können«. Jede Intuition, jedes Gefühl für den eigenen Körper wird einem abgesprochen, man darf nicht mehr »froher Hoffnung« sein, sondern wird gescannt, gescreent, gewogen, vermessen und untersucht, als sei man ein schwerkranker Patient. Und wenn man das Baby verliert, dann hat man sich wohl nicht genug angestrengt mit dem Schwangersein, nicht genug aufgepasst, nicht genug Schwangerschaftsvitamine geschluckt. Nur trauern darf man bitte sehr nicht allzu lange, meine Güte, es war ja nicht viel mehr als ein Zellklumpen, dann wird man eben nochmal schwanger, was ist schon groß dabei?
Meghan wird in den nächsten Monaten also eine mustergütige Schwangere abgeben müssen, streng überwacht nicht nur von Ärzten, sondern von selbsternannten Schwangerschaftsexperten auf der ganzen Welt, von denen es noch mehr gibt als Bundestrainer. Das alles muss aber bitte so mühelos wie möglich wirken, und sollte die Herzogin in den letzten Wochen Kompressionsstrümpfe brauchen wegen ihrer geschwollenen Beine, dann wird sich ein britischer Topdesigner finden müssen, der sie ihr auf den Leib schneidert. Noch besser wäre natürlich, sie verschwände in so einem Fall für eine Weile aus der Öffentlichkeit, damit keine unschönen Bilder entstehen. Nach der Geburt wird der Palast verkünden, man habe die Herzogin »von einem Baby entbunden«, um ja nicht den Eindruck zu erwecken, sie habe aktiv am Geschehen mitwirken müssen.
Die wartenden Pressevertreter vor der Geburtsklinik werden am Eintreffen von Meghans Stylistin erkennen, dass das Baby nun das Licht der Welt erblickt hat, denn wenn sie es hält wie ihre Schwägerin Kate, wird sie nur wenige Stunden nach der Geburt gut geföhnt, geschminkt und im Designerkleid den kleinen Goldschatz den wartenden Fotografen präsentieren. Und sie wird so knusprig dabei aussehen, dass niemand ahnt, dass sie gerade vermutlich eine Netzunterhose trägt und eine gästehandtuchgroße Binde zwischen den Beinen hat, in die sehr viel Blut fließt, von einer möglichen Dammriss- oder Kaiserschnittnaht ganz zu schweigen. Diesen Auftritt werden die einen dann als Verrat am Feminismus verurteilen, als einen weiteren Beleg für den unglaublichen Perfektionsdruck, den die Gesellschaft Müttern auferlegt.
Und anstatt das der patriarchalischen Gesellschaft anzukreiden, wird man es Meghan ankreiden, so als hätte sie eine Wahl. Denn mal angenommen, sie würde das für uns Naheliegende tun und sich erst mal ein paar Tage erholen von dem körperlichen Ausnahmezustand, in dem sie sich gerade befunden hat, dann würde man ihr Verrat an den Traditionen verwerfen, denn »Royal Babys« werden nun mal schon immer direkt nach der Geburt dem Volk präsentiert, und zwar im Arm der strahlenden Mutter. Wofür bitte schön leistet man sich denn überhaupt noch ein Königshaus, wenn nicht zur Wahrung von Traditionen und für die Produktion von schönen Bildern?
Ja, natürlich stehen die allermeisten Frauen unter widrigeren Umständen Schwangerschaften und Geburten durch, man muss sich um Meghan auch nicht zu viele Sorgen machen. Es macht schon noch einen Unterschied, ob man in einem Schloss sitzt, während man mit wunden Brustwarzen in seinen Fenchel-Anis-Kümmel-Tee weint, oder in einer Sozialwohnung. Aber die Erfahrung von Entmündigung, Übergrifflichkeit und absurdem Erwartungsdruck, die verbindet die Dutchess of Sussex mit allen Schwangeren der westlichen Welt. Und kein einziges ihrer vielen royalen Privilegien wird sie davor bewahren können.