Ihr da oben, wir da unten

Komisch: Die größten Geländewagen werden immer von Frauen gefahren. Anmerkungen eines irritierten Verkehrsteilnehmers.

Kleine Frauen, die Ihr in großen Autos sitzt und vor der leistungsorientierten Stadtrandschule in Harlaching, Zehlendorf oder Othmarschen auf Eure Kinder wartet – macht bitte kurz den Motor aus und lest die folgenden Zeilen. Und versteht sie als eine Art Liebeserklärung.

Der Geländewagen – also: das Sports Utility Vehicle (SUV) – war doch eigentlich das klassische Männerauto, ein Angeberspielzeug, mit dem sich seelische oder körperliche Defizite ausgleichen lassen. Frauen dagegen fuhren immer auffällig kleine Autos: Mini, Panda, Twingo, Ka, Smart – eher Accessoires als Fortbewegungsmittel. Sozusagen Handtaschen auf Rädern. Aber es hat sich etwas verändert: Aus den Cayennes, Tuaregs, MX-5s, XC90s, aus all den XXL-Geländewagen steigen immer häufiger XS-Frauen. Das heißt – eigentlich sind die Frauen gar nicht so klein, es sieht nur so aus, weil die Autos immer größer werden. Ist es vielleicht genau das, was Frauen wollen? Zierlicher aussehen? Der Pkw als Schlankmacher, von Größe 38 auf 36 mit 300 PS?

Vielleicht. Aber natürlich haben Riesenautos auch andere Vorteile: Das Sicherheitsempfinden nimmt zu, man fährt nicht wie im Mini auf Augenhöhe mit Lkw-Radkappen. Verführerisch ist auch, dass man im SUV auf der Überholspur endlich das bekommt, wovon wir alle nie genug kriegen können: Respekt, Alter!
Aber es fällt auf: Die kleinen Frauen in den großen Autos wirken oft sehr melancholisch. Was ist da los? Hängt das mit der Abwesenheit ihrer Männer zusammen? Etwa: Der Ehemann kauft den GL-Klasse-Mercedes, damit die Familie First-Class-Komfort genießen kann – aber dann fährt er mit dem Dienstwagen in die Firma, arbeitet dort sechzig, siebzig Stunden die Woche, und alles, was der Familie von ihm bleibt, ist sein großes, teures Spielzeug.

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Nein. Die Wahrheit ist, dass Frauen sich mit voller Absicht für SUVs entscheiden. Neue Geländewagen wie der VW Tiguan werden für männliche und weibliche Käufer gleichermaßen entwickelt und vermarktet. VW-Designerin Manuela Joosten erklärte jüngst in Brigitte: »Frauen sitzen gern hoch, weil sie auf einen guten Überblick Wert legen. Deshalb bevorzugen viele einen Geländewagen.«

Wenn man die einschlägigen Frauen im Gelände beobachtet, das heißt, vor Schulen, Boutiquen und Biomärkten, wird klar: Für die Spezies »Kleine Frau im großen Auto« ist das Leben kein Ponyhof, kein langer ruhiger Fluss – für sie ist das Leben Gelände. Zerklüftet, unwegsam. Also fährt sie das passende Auto. Weil sie hofft, alles werde einfacher, das Multi-Tasking (Kinder, Hunde, Shopping, gesellschaftliche Verpflichtungen) werde leichter, wenn man mehr Überblick hat, wenn man sich umgibt mit einem Panzer aus Kalbsleder, Stahl und wertig verarbeiteten Kunststoffen. Doch die großen Autos machen nicht die Probleme kleiner, nur ihre Fahrerinnen. Und weil die Speckgürtel-Prinzessinnen merken, dass sie einer Illusion aufgesessen sind bzw. in einer sitzen, strahlen sie diese Melancholie aus.
Kleine Frauen, die Ihr in großen Autos sitzt, Ihr seid also wie wir alle.

Und deshalb möchte ich ausrufen: Ich (Mann, 1,85, Skoda-Fahrer) bin einer von Euch! Anders gesagt: Wir sitzen zwar nicht im gleichen Auto – aber alle im selben Boot.