"Man sieht man Sterne und Blitze. Es ist nicht dunkel."

Ein Gespräch mit der blinden Künstlerin Silja Korn, die ihr eigenes Licht gefunden hat.

SZ-Magazin: Frau Korn, je näher der Winter rückt desto mehr Menschen jammern, dass es immer früher dunkel wird. Sie lässt das bestimmt völlig kalt, oder?
Silja Korn: Oh, nein, überhaupt nicht. Ich bekomme schon mit, dass es immer dunkler wird. Auch an den Leuten merke ich, wie sie nicht mehr so gut drauf sind. Bei mir merke ich das auch. Wenn die Sonne auf meine Haut scheint, oder wenn sie so hell scheint, dass ich sie mit meinen Augen wahrnehmen kann, dann erhellt sie auch mein Inneres und macht mich fröhlicher. Ich liebe die Sonne sehr, wenn sie mich wärmt, meinen Rücken, mein Gesicht - nur lege ich mich nicht mehr wie eine Verrückte an den Strand und lasse mich brutzeln.

Wie viel Licht nehmen Sie noch wahr?

Eigentlich gar keins. Weil ich eine ganz vernarbte Netzhaut habe, kommen manchmal, wo noch ein Stück frei ist, so Lichtschimmer durch. Aber damit kann ich nichts anfangen. Damit kann ich nichts sehen. Manchmal, wenn die Sonne grell ist - besonders vor einem Gewitter, dann wird sie so grell und drückend - dann nehme ich sie noch ein bisschen wahr. Meine Augen stehen auch nicht still. Ich habe so einen Wackelkontakt in den Augen, das ist angeboren, daher verrutscht die Narbe immer wieder.

Aber die Vorstellung, das blinde Menschen gar nichts sehen, die stimmt nicht.
Nein. Die meisten Blinden sehen nicht schwarz. Augen und Sehnerven sind ja noch verbunden, da passiert noch etwas im Auge. Ich sehe rot, grün, da geht alles durcheinander. Total lustig, als hätte ich Alkohol getrunken. Da sieht man Sterne und Blitze. Es ist nicht dunkel.

Wie nehmen Sie Menschen in Ihrer Umgebung wahr?
Von Menschen habe ich nur Schatten im Kopf, nie deren Gesichter. Das ist manchmal auch positiv. In meiner Vorstellung sehe ich mich selber auch anders als ich wirklich bin. Dadurch altere ich nie und bekommen nie Falten. Das ist doch angenehm, oder?

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Hat sich Ihre Vorstellung von Licht seit Ihrer Erblindung verändert?
Sagen wir mal so, sie war anders bevor ich mit dem Malen angefangen habe, verblasster. Durch das Malen ist sie wieder viel stärker geworden. Auch meine Träume sind wieder heller und klarer.

Wie sehen eigentlich Ihre Träume aus?
Sehbehinderte, die noch ein bisschen sehen können - erst ab zwei Prozent Sehkraft gilt man als blind - und die Farben noch ein etwas erkennen, sehen Farben deutlich in ihren Träumen. Bei mir liegt ein grauer Schleier über allem. Meine Träume sind dagegen sehr geräuschvoll. Was ich tagsüber wahrnehme, höre ich auch in meinen Träumen.

Licht ist für Sie also auch Klang. Hat Licht einen Ton?
In der Dunkelheit gibt es einfach weniger Geräusche. Das merkt man vor allem hier in der Stadt. Wenn ich vormittags den Fernseher lauter stelle, ist er abends einfach zu laut. Geruch... sagen wir so, im Frühling und Sommer erwärmt die Sonne die Erde und entzieht ihr Wasser. Das riecht sehr schön. Im Sommer riecht deswegen die Luft auch sehr trocken.

Welche ist Ihre liebste Licht-Erinnerung?
Ich fand immer den Sommer schön, wenn der Strand so geleuchtet hat. Oder im Herbst, wenn ein Sonnenstrahl durch die roten und grünen Blätter fiel. Und im Winter, der hell erleuchtete Schnee.

Gibt es für Sie unterschiedliche Arten von Licht?

Manchmal spüre ich gar kein Licht. Das kommt ganz darauf an, wie ich mich fühle. Wenn ich mich nicht gut fühle, ist da so eine Blockade - und ich merke dann gar nichts. Fühle ich mich gut, geht so eine Wärme durch mich hindurch, dann wird mein Körper... hell. Ich spüre dann, wie meine Adern rot erleuchtet sind.

Sehen ohne Augen - kann man das lernen?
Ja. Wenn Sie zum Beispiel irgendwo sitzen, schließen Sie einfach mal die Augen und gehen Sie in sich. Dann spüren Sie, wie in Ihnen die Lichter aufgehen. Das Auge übernimmt normalerweise 80 Prozent der Wahrnehmung. Das lenkt ab. Man kann auch über die anderen Sinnesorgane sehen. Das ist keine Gabe, die nur wir Blinden haben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wenn das Licht langsam erlischt. Silja Korn spricht über Ihre Erblindung.

Erinnern Sie sich noch an das Letzte, was Sie gesehen haben, bevor Sie erblindet sind?
Ja! Ich habe als Mädchen gerne in den Spiegel geschaut - was Mädchen halt gerne so machen. Zum Schluss musste ich fast in den Spiegel rein kriechen, um etwas zu erkennen. Meine Augen, meine Nase, mein Kinn, den Schatten meiner Haare habe ich noch erkannt. Hat mir ganz eigentlich gut gefallen, was ich gesehen habe (lacht). Danach konnte ich bald nichts mehr sehen. Das hat mich wirklich sehr traurig gestimmt.

Wie sind Sie damit fertig geworden?
Ich habe mich völlig zurückgezogen und bin total ernst geworden. Ich steckte in der Pubertät, und meine jüngere Schwester konnte durch die Gegend hüpfen und machen und tun, und ich nicht mehr. Ich habe mich nicht mehr getraut alleine auf die Straße zu gehen und saß viel alleine zu Hause rum. Ich wurde ganz schön depressiv.

Was hat Sie zurückgeholt ins Leben?
Ich habe in der Schule gemerkt, wie die damaligen Pädagogen mit den blinden Kindern umgegangen sind, und das hat mir nicht gefallen. Dass ich traumatisiert war und Hilfe gebraucht hätte, haben die damals zu meinen Eltern gar nicht gesagt. Ab da wusste ich, ich will Erzieherin werden, und das hat mir wieder Mut gemacht.

Sie malen wieder. Wie kam es dazu?
Vor zwei Jahren habe ich im Internet gelesen, dass blinde Kinder malen können - und da dachte ich: das kannst du auch. Dann habe ich mir eine Künstlerin gesucht, die mit verschieden dick aufgetragenen Acryl-Farben arbeitet. Bei Ihren Bildern habe ich mir eine eigene Vorstellung entwickelt und dachte: „Mann, das ist es doch!" Seit ich das mache, sind die Farben in meinen Kopf viel entspannter. Das ist für mich wie ein neues Leben, das Malen.

Was meinen Sie mit Farben in Ihrem Kopf?
Ich habe immer so gelb, grün, so ein Kuddelmuddel gesehen - und diese Farben wollte ich aufs Papier bringen. Aber alleine hätte ich es nicht geschafft. Ich brauche jemanden, der sie mir mischt, deswegen habe ich fast immer eine Assistentin dabei.

Wie malen Sie Licht?
Mit viel Gelb und Orange, die leuchten sehr stark. Meine Bilder sind daher auch etwas überladen. Damit möchte ich aber das Leben zeigen, dass ich führe. Ich verwende auch viele gegensätzliche Farbtöne, die man so normalerweise nicht sehen oder zusammenstellen würde - aber in meinem Kopf ist die Vorstellung einfach so.

Und Sie wissen noch ganz genau, wo welche Farben auf Ihren Bilder ist?
Manchmal nicht mehr. Ich versehe manche Farben mit Strukturpaste oder Materialien, so kann ich sie erkennen. Beim Malen berühre ich auch oft mein Bild und entscheide, welche Farbe ich wo haben möchte.

Würden Sie sagen, dass man Kunst auch ganz ohne Licht genießen kann? Sollten wir die Mona Lisa einmal mit geschlossenen Augen betrachten?
Auf jeden Fall! Nur bei einigen Blindenführungen darf man aber die Werke auch anfassen - wir Blinden sind einfach etwas geübter und feinfühliger. Ich durfte schon viele Bilder bei Ausstellungen anfassen. Wer das aber mal mitmachen möchte, sollte es auf jeden Fall tun. Meine Lieblingsbilder sind aber meine eigenen, die sind so, wie ich sie haben möchte.

Silja Korn (43) hat als Jugendliche Ihr Augenlicht verloren. Die Malerei musste Sie damals aufgeben. Es folgten Jahre der Zurückgezogenheit und Angst. Heute ist die Erzieherin glücklich verheiratet, hat einen Sohn, und seit kurzem malt Sie wieder, schreibt Kurzgeschichten und Sulky gefahren ist Sie auch schon. Vor einigen Jahren stand Sie der Basler Fotografin Noemi Nin Pflüger für eine Serie über Blinde Model. Mehr von Silja Korn gibt es auf Ihrer Internetseite www.siljakorn.de

Foto: Noemi Pflüger

Bilder: Silja Korn