Irgendwann hat der grüne Mann einfach nur noch genervt. Es war ein Samstag in einer Bar, als plötzlich ein Typ in einem Ganzkörperanzug aus grünem Polyester auftauchte, sich zu uns an den Tresen stellte und aus unseren Biergläsern trank. Bevor wir ihn verjagen konnten, war er verschwunden, weitergezogen zur nächsten Gruppe vermutlich. Es hatte etwas Surreales. Geblieben sind ein paar verwackelte Handyfotos von einem erwachsenen Mann in einem zu engen Leibchen aus grünem Kunststoff. Und eine Frage: Was soll das?
Ein weltweites Phänomen: Bei Rockfestivals, im Fußballstadion, bei Junggesellenabschieden und sogar beim New York Marathon – überall ist in letzter Zeit jemand dabei, der aussieht wie eine bunte, durchgeknallte Schaufensterpuppe. Und auch das Benehmen ist fast immer dasselbe: überschwängliches Getanze und Gegröle. In so einer Verkleidung lässt sich der größte Blödsinn anstellen, ohne die Furcht, dass verräterische Bilder auf Facebook landen. Statt peinliche Aufnahmen im Nachhinein aus dem Netz entfernen zu müssen, macht sich so ein Verkleideter prophylaktisch selbst unkenntlich.
Der Trick ist nicht neu – schon früher haben sich Menschen in der Öffentlichkeit gern hinter irgendwas versteckt: hinter großen Hüten oder Sonnenbrillen zum Beispiel. Aber diese Anzüge stehen für eine neue Qualität: Nicht mal der eigene Bruder ist darin zu erkennen.
Drei Studienfreunde aus Schottland sind mit diesen Anzügen reich geworden: Gregor Lawson und die Brüder Ali und Fraser Smeaton haben vor drei Jahren einen Onlinehandel mit den bunten Kostümen eröffnet. Mehr als 400 000 Stück haben sie seitdem verkauft, die meisten nach England und Australien, seit letztem Jahr gibt es ihre Seite auch auf Deutsch. Ihr Umsatz im letzten Jahr: rund zwölf Millionen Euro. Die Idee für die Anzüge kam ihnen übrigens bei einer Kostümparty, als ein Gast mit einem einfarbigen Ganzkörperanzug herumlief und damit der Star des Abends war – ständig wurde er fotografiert, bekam Freibier und konnte sich nach Herzenslust danebenbenehmen. Er hatte den Anzug aus Japan, wo so eine Verkleidung »Zentai« heißt und schon eine Weile in Mode ist.
Die drei Schotten haben erkannt: Das ist das perfekte Kostüm für Menschen, die gern in der Öffentlichkeit über die Stränge schlagen würden, sich aber nicht trauen. Unter dem Namen »Morphsuit« haben sie das Kostüm zum Massenprodukt gemacht: 45 Euro kostet der Anzug, es gibt ihn in mehr als fünfzig Designs, und der Stoff ist so dünn, dass man sogar durch ihn hindurch trinken kann. Und die meisten Morphsuit-Träger tun genau das – sie trinken, und zwar viel. Die Kombination aus Suff und Anonymität ist unschlagbar, die Seite der drei Schotten hat fast eine Million Fans bei Facebook, Tausende Bilder sind dort zu sehen: Bunte Männer rennen durch die Fußgängerzone, bunte Männer im Striplokal, bunte Männer, die einem vorbeifahrenden Polizeiauto den Mittelfinger zeigen. Was dabei auffällt: Viele haben einen Bauchansatz, der sich unter dem hautengen Kunststoff sehr unvorteilhaft abzeichnet. Aber solange man sein Gesicht nicht zeigt, braucht einem offenbar die sonst mühsam unter Pullovern und Jacketts versteckte Plauze nicht peinlich zu sein.
Aber ums gute Aussehen geht es wirklich nicht: »In dem Anzug verwandelt man sich zu einer witzigeren Version seiner selbst«, hat einer der Morphsuit-Erfinder der BBC erzählt, »man macht einfach mehr Party.« Tatsächlich hat der Sozialpsychologe Robert Ezra Park schon vor mehr als achtzig Jahren beschrieben, dass Menschen ihr wahres Gesicht vor allem dann zeigen, wenn sie sich hinter einer Maske verstecken können: Im Schutz der Maskierung offenbart sich »das Selbst, das wir sein möchten«. Im Fall der Morphsuits bedeutet das: Tausende von Menschen möchten insgeheim überdrehte Nervensägen sein. Keine so tolle Vorstellung. Und in Deutschland geht es ja gerade erst los damit.
Fotos: privat