Wetten, dass ich recht hab?

Wer sich nicht einig ist, kann gegeneinander wetten. Das muss nicht im Streit enden. Unser Autor weiß, wie die Wette zur gegenseitigen Liebeserklärung wird.

Klassischer Einsatz bei einer Wette: die De­monstration einer beachtlichen Lächerlichkeit.

Foto: Renke Brandt

Hans-Peter Briegel! Das war ja einer. Die Walz aus der Pfalz. Wie der die Außenbahn rauf- und runterwalzte …

Ja, super Innenverteidiger.

Ich sagte, DIE AUSSENBAHN, Marco. Außenverteidiger.

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Innen!

Außen!

Wie kann mein Freund Marco etwas so Groteskes behaupten, wie dass Hans-Peter Briegel in der Innenverteidigung gespielt hätte? Ich sehe Briegel noch genau vor mir, immer der Seitenlinie nah (aber leider 1986 nicht nah genug am argentinischen Stürmer Jorge Burruchaga, der daher das 3:2 – ach, sprechen wir nicht davon). Marco ist seinerseits davon überzeugt, recht zu haben. Was nun? Ein Duell im Morgengrauen wäre eine Lösung, aber ich bin echt kein Frühaufsteher und hätte auf die Schnelle auch keinen Sekundanten zur Hand, müssen ja alle ins Büro. Wir könnten uns anschreien, bis einer aufgibt. Oder wir könnten wetten.

Wetten, da klingt etwas Verruchtes mit, und das zu Recht. In den Höhlen und Apps der kommerziellen Wettanbieter sind viele Menschen wettsüchtig geworden, nach Sportwetten vor allem. Aber von einer Sucht nach privaten Wetten hat man nie gehört, also nach Wetten unter Freunden, Kolleginnen, Verwandten.

Neulich aß ich kostenlos zu Mittag, weil ein Freund, der vor 15 Jahren auch mein Kollege gewesen war, sich daran erinnerte, dass er gegen mich damals eine Wette verloren und die Wettschuld nie eingelöst hatte (es ging ebenfalls um Fußball, ich bin kein übertrieben komplexer Mensch). Das war einfach nett. Das von ihm bezahlte Essen, und die Geste. Mir wiederum fiel dabei ein, dass ich eine Wettschuld von vor 30 Jahren nie beglichen habe. Thomas, wenn du dieses Jahr zum Abi-Treffen kommst, kriegst du deinen Kasten Bier endlich.

Natürlich sind Wetten zunächst einmal etwas Feindseliges. Der Mensch, gegen den ich wette, ist mein Gegner. Wetten ist kompetitiv, und es ist rechthaberisch. In der Wette drückt sich die Unfähigkeit aus, zumindest der Unwille, etwas einfach stehen zu lassen. Menschen, die regelmäßig gern wetten, ziehen vielleicht auch regelmäßig gern gegen ihre Gartennachbarn vor Gericht. Die Meinungsverschiedenheit unter Freunden bekommt durch die Wette sozusagen ein Aktenzeichen, und die Sache wird geklärt, aber ein für alle Mal! Die bürokratischste, man könnte sagen: deutscheste Variante dieses Prinzips ist die Wette UMS RECHT. Hat keine Konsequenzen, aber irgendwie einen Stempel. Ist Billy Joel US-Amerikaner oder Kanadier? Sind die Mieten in Hamburg am teuersten oder in München? Hat Hans-Peter Briegel als Außen- oder als … nee, das ist ja gar keine Frage.

Aber so ehrlich muss ich sein: Wenn ich A denke, und der andere denkt B, dann meine ich ja so oder so, A sei richtig. Die Wette ist nur die Sichtbarmachung des Rechthabenwollens, sie ist nicht das Rechthabenwollen selbst. Der Teil des Wettens, der unsympathisch, streitlustig, feindselig wirkt, existiert also auch außerhalb von ihr – er wird beim Wetten bloß nicht mehr versteckt.

Klassisches Thema einer Wette: die Demonstration einer beachtlichen Fertigkeit.

Foto: Renke Brandt

Und Wetten sind auch etwas Freundschaftliches. Ich wette mit dir um ein Bier, dass der HSV dieses Mal aufsteigt! Zack, schon ist man wieder verabredet. Oder man wettet so, dass die Wette eine gegenseitige Liebeserklärung ist. Die befreundeten Filmemacher George Lucas und Steven Spielberg wetteten 1977, ob Spielbergs Film Unheimliche Begegnung der dritten Art oder Lucas’ Krieg der Sterne mehr Erfolg haben würde. Lucas wettete auf Spielbergs Film, Spielberg auf Lucas’ Film. Krieg der Sterne spielte mehr Geld ein – und schöner hätte Steven Spielberg kaum ausdrücken können, wie sehr er seinem Freund den Erfolg gönnte, ja sogar den Sieg über ihn selbst. Agatha Christie wettete mit ihrer Schwester, dass sie einen Krimi hinbekäme, dessen Leserschaft den Täter nicht vor der Auflösung erkennen könnte. Ergebnis: der Bestseller Das fehlende Glied in der Kette. Eine Wette als wohlwollender Tritt in den Hintern.

Zumindest in der Zeit, bis die Wettfrage aufgelöst und die Wettschuld eingelöst ist, bleibt man durch die Wette miteinander verbunden wie durch einen Faden, den nur die beiden Beteiligten sehen können. Im Fall von Spielberg, Lucas, Christie und ihrer Schwester sind es längere Zeiträume, in der digitalen Gegenwart können es auch nur die Augenblicke sein, ehe einer dem anderen triumphierend einen Wikipedia-Eintrag vor die Nase hält. Siehste, Amerikaner! Aber eine gemeinsame Geschichte ist eine gemeinsame Geschichte, und sei sie noch so kurz.

Bleibt da trotzdem dieses ungute Gefühl der Ver­bissenheit? Dann sollte man es vielleicht halten wie mein Kollege Jonas. Der pflegt einen Wetteinsatz, der dem unterschwelligen Ernst des Wettens vollkommen die Schärfe nimmt. Es geht um die »Hut-Wette«. Wer eine Wette gewinnt, darf festlegen, a) mit welcher Kopfbedeckung und b) an welchem Tag der Verlierer oder die Verliererin von früh bis spät herumlaufen muss. Ja, auch im Büro, weswegen Jonas mal mit einer Art Plüsch-Gießkanne auf dem Kopf vor dem Computer saß.

Die schönste Art von Wette, sagt Jonas, und das finde ich auch, ist jene, bei der sich am Ende herausstellt, dass beide recht haben. Dann wird der Wunsch nach Rechthaben genauso erfüllt wie der Wunsch nach Übereinkunft, und Streit geht über in Harmonie. So hätte es auch bei Marco und mir sein können. Ich habe in Fachpublikationen recherchiert, mir wurde der Kontakt zu einem Experten für den 1. FC Kaiserslautern vermittelt, ich habe Hans-Peter Briegels eigene Aussagen in Interviews durchforstet. Unterm Strich ist es so, dass er Abwehr-Allrounder war, meistens Innen­verteidiger, in der Nationalmannschaft Außenverteidiger. Marco und ich lagen beide richtig. Es war eine perfekte Wette. Bloß dass wir in unserem Eifer in dem Moment nicht daran dachten zu wetten.