Wenn meine Sorgen mich nicht schlafen lassen, gibt es eine Sache, auf die ist Verlass: »Das Geräusch von Regen und Gewitter in einem Zelt«, zehn Stunden Laufzeit, rund 3,8 Millionen Aufrufe auf Youtube. Die Decke bis zum Kinn und das Handy am Ladekabel, verschwinde ich beim Zuhören aus meinem Zimmer und sehne mich nach Wasser, das vom Himmel fällt und beinahe die Haut berührt. Ich habe eine Heizung neben dem Bett und ein festes Dach über dem Kopf und kann mir in schlaflosen Nächten trotzdem nichts vorstellen, das beruhigender klingt als Regen auf Polyester. Es ist der fragile Schutz, der das Prasseln für mich so gemütlich macht: Was eben noch die Kleidung durchtränkt hat, perlt jetzt einfach so ab. Auch diesem Schauer konntest du entkommen, also: Schlaf ruhig – alles wird gut.
Nur, was macht diesen Effekt auf mich aus? Ob wir etwas gemütlich finden oder nicht, so schreibt es die Kulturwissenschaftlerin Brigitta Schmidt-Lauber in ihrem Buch Gemütlichkeit – Eine kulturwissenschaftliche Annäherung, kann zwar nicht »losgelöst von äußeren Umständen« betrachtet werden, hängt in erster Linie jedoch von unserer »inneren Verfassung« ab: Wer es sich gemütlich macht, meint Schmidt-Lauber, drängt Unangenehmes für einen Moment zur Seite und macht Platz für eine bewusste Wahrnehmung des Augenblicks. Gemütlichkeit ist pure Gegenwart – ein »Gefühl der Übereinstimmung mit sich und der Welt« und damit ein Zustand »subjektiven Wohlbefindens«, der Sicherheit und Freiwilligkeit voraussetzt: Regen und Gemütlichkeit in einem Satz nennen zu können, ist auch ein Privileg.
Für ihre Habilitation zum Thema Gemütlichkeit wertete Schmidt-Lauber 65 Interviews mit Menschen aus Deutschland aus. Dabei zeigte sich: Was die Befragten unter Gemütlichkeit verstanden, welche Momente sie der Forscherin beschrieben und welche Wörter sie dafür verwendeten, war oft »bemerkenswert einheitlich« – unabhängig von Alter, Geschlecht und sozialer Zugehörigkeit. Gemütlichkeit, erklärt Schmidt-Lauber, zeigte sich gleichzeitig als persönliche Erfahrung und als Stereotyp. Auch mit meiner Vorliebe für Regengeräusche auf einem Zelt bin ich nicht allein, das zeigen allein die Aufrufzahlen der Einschlafvideos und die Variationen (mal mehr, mal weniger Gewitter), die es gibt. Den Rückzug in einen abgeschlossenen Raum gemütlich zu finden, während drum herum Blitz und Donner walten, ist ein gelebtes Klischee: Von »Absicherung im Inneren durch Abschottung nach außen« schreibt Brigitta Schmidt-Lauber in ihrem Buch.
Es ist genau diese Illusion eines schutzspendenden Kokons, die auch die Fotografin Liesbeth Abbenes und der Fotograf Maurice Scheltens festhalten wollten. Darum sammelten sie Steilwandzelte, leichte und hochwertige, rollten sich mit der Kamera auf dem Stativ in der Mitte der Zelte zusammen und suchten nach den richtigen Ausschnitten für ihre abstrakten Kompositionen. Um die technischen Details und die glatte Oberfläche des Stoffes hervorzuheben, beleuchteten sie die Zelte von außen nach innen: Im Mittelpunkt sollte die saubere Dehnung des Gewebes stehen, das den Menschen durch eine dünne Schicht vor der Außenwelt schützt – vor Regen und Wind und all den anderen Unwägbarkeiten, die sie bereithält.
Ich glaube, einige der besten Wochenenden in meiner Jugend fanden in Zelten statt. Meistens nur wenige Meter von zu Hause entfernt. Was meine Freundinnen und ich uns von den Nächten im Zelt erhofften, waren Abenteuer. Was wir bekamen, waren vor allem Mückenstiche. Aber auch das Gefühl, die Welt um uns herum ein wenig übersichtlicher gemacht zu haben. Manche Dinge lassen sich leichter aussprechen, wenn über dem Kopf nur die Decke ist und sonst nichts. Im Regen allerdings habe ich erst einmal gezeltet. Ich lieh mir mit zwei Freundinnen ein Zelt, ohne die Nähte zuvor geprüft zu haben. Wir hätten es besser wissen müssen, natürlich. Gleich in der ersten Nacht regnete es so stark, ich hätte die zehn Stunden Regengeräusche selbst aufzeichnen können. Am nächsten Morgen wurde ich in einer Pfütze wach. Das Zelt war an einer Seite undicht und ich von oben bis unten nass. Wir überklebten die Nähte mit Folie, doch im anhaltenden Regen wurden Schlafsack und Kleidung auch in den Tagen und Nächten darauf nicht richtig trocken. Es war unglaublich ungemütlich, Glück hatten wir trotzdem: Der Regen blieb bis zur Abreise unsere größte Sorge.